Leonardo Sciascia wurde an der Fachhochschule für Lehrer in Caltanissetta ausgebildet. Er war Angestellter der Behörde für Getreidespeicherung in seinem Heimatort Racalmuto in der Nähe von Agrigent. Von 1949 bis 1957 arbeitete er dort als Volksschullehrer. 1975 wurde er als unabhängiger Kandidat über die Liste des Partito Comunista Italiano (PCI) in den Stadtrat von Palermo gewählt, 1977 trat er von seinem Posten zurück. 1979 wurde er als Abgeordneter des Partito Radicale bis 1983 ins italienische Abgeordnetenhaus und für kurze Zeit auch in das Europaparlament gewählt.
Mit dem 1961 erschienenen Roman Der Tag der Eule wurde Leonardo Sciascia berühmt. Der Autor wurde bald als bedeutendster lebender sizilianischer Schriftsteller angesehen und als „Gewissen der italienischen Gesellschaft“, das seine Stimme in vielen kulturellen und politischen Debatten des Landes erhob. Das Buch rückte die Problematik der Mafia über die Grenzen Italiens hinaus ins öffentliche Bewusstsein[1] und gilt als erste literarische Behandlung der Mafia.[2] Laut Manfred Hardt entwickelte Sciascia in seinen Romanen „eine neue Form von kritischem Realismus“, in der er innerhalb des Genres des Kriminalromans Erzählung mit Argumentation und Essay verknüpfte, um an die Tradition der Aufklärung anzuknüpfen.[1]
In Sciascias Werken werden neben gesellschaftlichen Strukturen insbesondere politische Machtsysteme behandelt und aufgegriffen, vom faschistischen bis zum christdemokratischen Italien, von den italienischen Machtverhältnissen und gesellschaftlichen Verhältnissen der Macht im Allgemeinen. Justiz, Richteramt und Kommissare bilden häufige Charaktere. Die Frage der Schuld und Unschuld nimmt ebenso wie überhandnehmende Verstrickungen in den Erzählungen und Romanen eine zentrale Position ein. Die Analyse der Machtverhältnisse anhand eines Tatsachengegenstandes findet sich schließlich in Die Affäre Moro, 1989 auf Deutsch erschienen.
Trotz seines literarischen Engagements gegen die Mafia diskreditierte er in einem Artikel[3] im Corriere della Sera (10. Januar 1987) die Antimafiabewegung um die Staatsanwälte Antonino Caponnetto, Giovanni Falcone, Paolo Borsellino, Leonardo Guarnotta und Giuseppe Di Lello mit den Worten „Heute brauche man nur einen Prozess gegen die Mafia zu leiten, um Karriere zu machen“. Er bezweifelte die Aussagekraft der Überläufer (pentiti) wie Tommaso Buscetta, die dem Antimafiapool so viele Erfolge beschert hatten. Seine Polemik und die Kritik anderer Zeitungen trugen dazu bei, dass die Strategie zentralisierter Ermittlungen gegen die Cosa Nostra Palermos und Italiens ein Jahr später aufgegeben wurde.
Zu seinem Artikel und den heftigen Reaktionen darauf meinte er später:
„Als erster in der italienischen Literatur habe ich kein verteidigendes Bild des Phänomens Mafia gezeichnet, allerdings immer mit dem Vorbehalt, dass es nicht damit endet, sie mit den gleichen Mitteln zu bekämpfen, mit denen sie der Faschismus bekämpft hat (also eine Mafia gegen die andere) […], in diesem Sinne habe ich die Artikel im Corriere della Sera verfasst. Und daraus ist eine wilde Polemik entfacht, man hat mich gar beschuldigt, den Kampf gegen die Mafia zu schwächen und sozusagen ihre Existenz zu fördern.“[4]
Der Tag der Eule. Übersetzung Arianna Giachi. Olten, Freiburg 1964, ISBN 3-7466-1656-5.
Il consiglio d’Egitto. Turin 1963
Der Abbé als Fälscher. Übersetzung und Nachwort Arianna Giachi. Olten, Freiburg 1967, ISBN 3-548-20212-8.
Das ägyptische Konzil. Übersetzung Monika Lustig, Nachwort Maike Albath. Die Andere Bibliothek, Berlin 2016.
Morte dell’Inquisitore. Bari 1964.
L’Onorevole. Turin 1965.
Feste religiose in Sicilia. (Fotografien von Ferdinando Scianna), Bari 1965.
A ciascuno il suo. Turin 1966.
Tote auf Bestellung. Übersetzung Arianna Giachi. Olten, Freiburg 1968, ISBN 3-7466-1716-2.
Narratori in Sicilia (zusammen mit S. Guglielmino), Mailand 1967.
Recitazione della controversia liparitana dedicata ad A.D. Turin 1969.
La corda pazza. Turin 1970.
Atti relativi alla morte di Raymond Roussel. Palermo 1971.
Il contesto. Turin 1971.
Tote Richter reden nicht : eine Parodie. Übersetzung Helene Moser. Benziger, Köln 1974, ISBN 3-545-36187-X auch unter dem Titel Die Macht und ihr Preis : eine Parodie. 1978.
Ein einfacher Fall. In: Der Ritter und der Tod/Ein einfacher Fall. Wien/Darmstadt 1990, ISBN 3-552-04227-X.
Fatti diversi di storia letteraria e civile. Palermo 1989.
A futura memoria (se la memoria ha un futuro). Mailand 1989.
Occhio di capra. Adelphi Edizioni, Milano 1990, ISBN 88-459-0768-6. (Kurze Kommentierungen racalmutesischer Redensarten und Originale, in den Wortspielen wohl nicht übersetzbar).[7]
Mein Sizilien (Aufsätze). Übersetzung Martina Kempter, Sigrid Vagt. Wagenbach, Berlin 1995, ISBN 3-8031-1152-8.
Jagd auf sizilianisch (A ciascuno il suo), Rundfunk der DDR 1988, mit Martin Seifert
Der Tag der Eule (Il giorno della civetta), WDR 2002, mit Dietmar Mues
Literatur
Claude Ambroise: Invito alla lettura di Leonardo Sciascia. Ugo Mursia Editore, Mailand 1995.
Albrecht Buschmann: Die Macht und ihr Preis. Detektorisches Erzählen bei Leonardo Sciascia und Manuel Vázquez Montalbán. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2005.
Joseph Farrell: Leonardo Sciascia : the man and the writer, Firenze : Leo S. Olschki Editore, 2022, ISBN 978-88-222-6821-1
Sandro Moraldo (Hrsg.): Leonardo Sciascia. Annäherungen an sein Werk. C. Winter Verlag, Heidelberg 2000.
↑Im Anhang („Appendice“, Seite 149 der genannten Ausgabe) führt der Autor diese Sammlung zurück auf „die Liebe zum Ort unserer Geburt, zu den Menschen, zu den Dingen, zu den Wörtern, von denen unser Leben in der Kindheit und der Jugendzeit durchdrungen ist.“