Historisch und fachlich existiert im Chinesischen weiterhin für die kantonesische Sprache die Bezeichnung Guangfuhua (廣府話, Jyutpinggwong2fu2waa2)[1], welche sich auf den historischen Verwaltungsbegriff fu (府 – „Präfektur, Amts-, Regierungssitz, Palast, Residenz“)[2] für Präfektur bezieht. Dabei bevorzugen die Muttersprachler in der Region Guangzhou meist den chinesischen Begriff Guangzhouhua (廣州話, Jyutpinggwong2zau1waa2)[3] für das Kantonesisch, während Muttersprachler der Region Hongkong und Macau eher die Bezeichnung Guangdonghua (廣東話)[4] für die kantonesische Sprache benutzen. Sprecher der kantonesischen Sprache in anderen südchinesischen Regionen Guangdongs und Guangxis nutzen manchmal auch den Begriff Shengchenghua (省城話, Jyutpingsaang2seng4waa2 – „Sprache der Provinzhauptstadt“)[5] oder seltener den Begriff Báihuà (白話, Jyutpingbaak6waa2 – „Umgangssprache“)[6].
Einteilung
Sprachlich bildet die kantonesische Sprache mit dem Standardkantonesisch (標準粵語)[7], repräsentiert durch das Guangzhouer Kantonesisch (廣州正音 – „Guangzhou'er Standardton“)[8], den linguistischen Hauptvertreter. Andere Regiolekte des Kantonesischen (粵語方言 – „Dialekte des Kantonesischen“)[9], wie beispielsweise der Siyi-Regiolekt (四邑話, Jyutpingsei3jap1waa2)[10] – auch Siyi-Yue (四邑粵語)[11] genannt – und das Hongkonger Kantonesisch (香港粵語)[12], sind wichtige sprachliche Vertreter der regionalen Mundart.
Verbreitung
Kantonesisch gilt als dritt- oder viertgrößte chinesische Sprache, je nach Kategorisierung. In China wird Kantonesisch im Großteil der Provinz Guangdong (Exonym „Kanton“, daher „Kantonesisch“) und in Teilen von Guangxi, wie z. B. Wuzhou gesprochen. Eine Ausnahme bildet die SonderwirtschaftszoneShenzhen. Hier wird wegen des sehr hohen Anteils an Zuwanderern aus den südöstlichen bzw. verschiedenen Teilen Chinas neben Kantonesisch, Hakka und Teochew vorwiegend Hochchinesisch, auch Standardchinesisch genannt, gesprochen. In den beiden SonderverwaltungszonenHongkong und Macau wird ebenfalls Kantonesisch gesprochen.
Weiterhin wird Kantonesisch von ausgewanderten Chinesen mit kantonesischen Wurzeln in chinesischen Bevölkerungsgruppen mehrerer südostasiatischer Staaten sowie einigen Chinatowns weltweit gesprochen. Historisch gehört Südostasien zu den ersten Verbreitungsgebieten der kantonesischen Sprache.
Phonetik
Kantonesisch hat im Vergleich zum Standardchinesisch (Hochchinesisch) das spätmittelchinesische Tonsystem des 12. Jahrhunderts stärker bewahrt. Es besitzt neun Töne (sechs Töne plus drei phonetisch abgekürzte Varianten), die in drei Kategorien eingeteilt werden; Standardchinesisch kennt nur noch vier Töne. Ein weiterer auffälliger Unterschied in der Aussprache ist, dass Silben mit Verschlusslauten enden können (z. B. Sun Yat-sen oder Pak Choi).
Töne
Kantonesisch ist eine Tonsprache. Hier unterscheidet man Yam-Töne – Hochchinesisch Yin-Töne – (陰聲)[14] und Yeuhng-Töne – Hochchinesisch Yang-Töne – (陽聲)[15]. Yam-Töne sind hoch, Yèuhng-Töne sind tief. Die tiefen Töne werden in der Yale-Romanisierung durch ein h gekennzeichnet, das dem Vokal angehängt wird. Es gibt drei Yam- und drei Yeuhng-Töne. Diese unterscheiden sich im Tonverlauf. Des Weiteren werden auch drei Eintrittstöne, auch Yap-Töne – Hochchinesisch Ru-Töne – (入聲)[16] genannt, unterschieden, die von drei der Yām- und Yèuhng-Töne abgeleitet werden können und daher nicht als distinktiv gelten.
Verschiedene Sprachen des Yue unterscheiden sich in einigen Eigenschaften des Tonsystems. So weist der Yamping-Ton – Hochchinesisch Yinping-Ton – (陰平)[17] in Guangzhou die Varianten 53 und 55 auf, während in Hongkong die Kontur 55 vorherrscht. Auch diachronische Veränderungen spielen hierbei eine Rolle; so hat sich die Kontur des Yamseuhng-Tons – Hochchinesisch Yinshang-Tons – (陰上)[18] im 20. Jahrhundert von 35 nach 25 gewandelt.
Der chinesische Sprachwissenschaftler Zhao Yuanren hat ein System zur Notierung der Töne entwickelt. Er unterteilt die Tonhöhe in fünf Ebenen, wobei 5 der höchste und 1 der niedrigste Ton ist. Die Tonänderung (Tonverlauf) kann durch eine Verkettung der Zahlen dargestellt werden. Diese Zahlenverkettung, die Höhe und Verlauf der Tonänderung ausdrückt, nennt man auch Tonkontur bzw. Tonform. Die Töne des Kantonesischen lassen sich dadurch wie folgt durch jeweils ein Zahlenpaar charakterisieren:[19]
Allgemein wird in der kantonesischen Sprache historisch zwischen neun Tönen unterschieden (z. B. Cantonese Pinyin). Bei einer genauen phonetischen Unterscheidung ergibt sich, dass die neun Töne (九声六调 – „Neun Töne sechs Anlaute“)[24] sechs Hoch-Tief-Tönen und drei sogenannte Eintrittstöne umfassen; die drei Eintrittstöne (Nr. 7 bis 9; Tonkontur 5, 3 bzw. 2) sind aber letztlich nur die abgekürzten Varianten des 1., 3. bzw. 6. Tons (Kontur 53/55, 33 bzw. 22). Diese Töne werden gesprochen, wenn eine Silbe auf einen Verschlusslaut (-p, -k, -t) endet. Je nach Umschriftsystem werden die Fälle des Eintrittstons (Nr. 7 bis 9; Tonkontur 5, 3 bzw. 2) jedoch nicht als eigenständiger Ton behandelt, sondern als eine Variante betrachtet. (z. B. Yale, Jyutping)
Beziehung zu den vier Tönen im Hochchinesischen
Bei Kenntnis des Tons der kantonesischen Lesung eines Zeichens lässt sich in den allermeisten Fällen der Ton im Standardchinesischen (bzw. Mandarin) ableiten:
1 ⇒ 1: 身、心、張、生、媽、工 …
2 ⇒ 3: 早、體、好、小、姐、許 …
3 ⇒ 4: 課、再、見、姓、性、貴 …
4 ⇒ 2: 晨、陳、婷、梁、同、原 …
5 ⇒ 3: 你、有、我、領、老、友 …
6 ⇒ 4: 第、二、部、分、問、候 …
Man muss allerdings sichergehen, dass es sich bei der kantonesischen Lesung um eine Standardlesung handelt, da manche Zeichen den Ton wechseln können, wenn sie allein oder in im Standardchinesischen oder in Mandarin unbekannter Komposition benutzt werden. Abweichungen von der oben genannten Regel sind auch dann zu erwarten, wenn die Lesung einen Verschlusslaut enthält, denn die Anzahl der möglichen Töne ist bei Vorhandensein eines Verschlusslautes auf nur drei eingeschränkt. Das Umwandlungsschema ist dann fast regellos. Man kann dann nur noch statistische Tendenzen angeben:
1 ⇒ 1, 4, 2: 一、級、室、築、足、急
3 ⇒ 4, 2, 3: 隔、潔、雪、…
6 ⇒ 4, 2: 學、屬、傑、達、實、服、白、薄
Tonwechsel
Ein beliebiger Ton kann sich unter Umständen in einen zweiten, manchmal auch in einen ersten Ton wandeln. Dieses Phänomen wird binjam (變音 – „Lautwandel, Tonänderung“)[25] genannt. Binjam – Hochchinesisch bianyin – kann folgende Funktionen haben:
Markierung von speziell kantonesischem Gebrauch eines Wortes, etwa die alleinstehende Benutzung dort, wo sie im Standardchinesisch (Hochchinesisch) nicht möglich wäre:
哥哥 go1go1 → 哥哥 go4go1 („Älterer Bruder – Schriftsprache“ – „Großer Bruder – Umgangssprache“)
4 4, 6 6 → 4 2
婆婆 po4po4 → 婆婆 po4po2 („Alte Frau, Oma – mütterlicherseits – Schriftsprache“ – „Oma, das Großmütterchen – Umgangssprache“)
弟弟 dai6dai6 → 弟弟 dai4dai2 („Jüngerer Bruder – Schriftsprache“ – „Kleiner Bruder – Umgangssprache“)
Im Standardchinesisch und Mandarin gibt es bei diesen Wörtern ebenfalls eine Tonänderung: Die zweite Silbe verliert einfach ihren Ton.
Struktur
Die Struktur der Yue-Sprache ähnelt stark der anderer moderner chinesischer Sprachen. Der folgende Abschnitt stellt daher nur einige Charakteristika dar, die das Yue kennzeichnen.
Morphologie
Ein charakteristisches morphologisches Merkmal, das die Yue-Sprache von anderen chinesischen Sprachen unterscheidet, ist die Reihenfolge der Bestandteile in einigen Komposita, bei denen der Kopf nicht am Ende, sondern am Anfang steht: Kantonesisch: 人客 – jan4 haak3, wörtlich für Person-Gast = „Gast“; Hochchinesisch: 客人 – kèrén, wörtlich für Gast-Person = „Gast“.
In einigen Fällen unterscheidet sich die Satzstellung im Yue von der anderer chinesischer Sprachen. So stehen bestimmte Adverbien nicht vor, sondern hinter dem Verb. Zudem steht im Gegensatz zu nördlichen Formen des Chinesischen das direkte Objekt vor dem indirekten Objekt:[27]
Es gibt speziell kantonesische Wörter mit eigenen Schriftzeichen, beispielsweise das kantonesische Schriftzeichen „冇“[28] – Jyutpingmou5 – für „nicht“ bzw. „nicht haben“. Das Äquivalent im Standardchinesischen heißt „没有“[29] – Pinyinméiyŏu.[30][31]
Bislang gibt es für das Kantonesische kein einheitliches, offizielles Standardumschriftsystem, wie das Hanyu Pinyin für Hochchinesisch. Es existieren verschiedene Transkriptionssysteme zur Umschrift in lateinische Buchstaben, von denen die Yale-Romanisierung und Jyutping zu den populärsten gehören.
Literatur
chronologisch aufsteigend
Oi-kan Yue Hashimoto: Phonology of Cantonese. University Press, Cambridge 1972 (Studies in Yue Dialects 1, ZDB-ID 184532-9 = Princeton-Cambridge Studies in Chinese Linguistics 3).
Christopher Hutton, Kingsley Bolton: A Dictionary of Cantonese Slang. The Language of Hong Kong Movies, Street Gangs and City Life. Hurst & Company, London 2005, ISBN 1-85065-419-0 (englisch).
CHEN Siu-Pong, TANG Sze-Wing: The Routledge Encyclopedia of the Chinese Language. Hrsg.: CHAN Sin-Wai. 1. Auflage. Routledge, London & New York 2016, ISBN 978-0-415-53970-8, 2 Cantonese, S.18 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Text to Speech Tool – Aussprache-Tool. für chinesischen Text nach kantonesischer Aussprache mittels Schriftzeicheneingabe. In: textfromtospeech.com (englisch, deutsch)
Cantonese Keyboard – 粵語鍵盤Jyut8jyu9 gin6pun4. In: branah.com. Abgerufen am 29. März 2022 (englisch, virtuelle Tastatur zur Eingabe von Kantonesisch mittels Cantonese Pinyin. Chinesische Schriftzeichen online schreiben).
↑Guangfuhua (chinesisch廣府話 / 广府话, Pinyinguǎngfǔhuà, Jyutpinggwong2fu2waa2, Yalegwóngfúwá), wörtlich also die „Sprache des Provinzhauptsitz von Guangdong“ – Alternativbezeichnung für Kantonesisch
↑Guangzhouhua (廣州話 / 广州话, guǎngzhōuhuà, Jyutpinggwong2zau1waa2, Yalegwóngjāuwá), wörtlich also die „Sprache von Guangzhou (Provinzhauptstadt)“ – Alternativbezeichnung für Kantonesisch
↑Guangdonghua (廣東話 / 广东话, guǎngdōnghuà, Jyutpinggwong2dung1waa2, Yalegwóngdūngwá), wörtlich also die „Sprache von Guangdong (Provinz)“ – Alternativbezeichnung für Kantonesisch
↑Shengchenghua (省城話 / 省城话, shěngchénghuà, Jyutpingsaang2sing4waa2, Yalesáangsìngwá), wörtlich also die „Sprache der Provinzhauptstadt“ – Alternativbezeichnung für Kantonesisch
↑Baihua (白話 / 白话, báihuà, Jyutpingbaak1waa2, Yalebaahkwá), wörtlich also die „Sprache des Alltags“ oder „Umgangssprache“ – Alternativbezeichnung für Kantonesisch
↑
Die „Guangzhou'er Standardaussprache“ (廣州正音 / 广州正音, guǎngzhōu zhèngyīn, Jyutpinggwong2zau1 zing1jam1), wörtlich also der „Guangzhou'er Standardton“ oder auch als Guangzhou'er Kantonesisch (廣州粵語 / 广州粤语, guǎngzhōu yuèyǔ, Jyutpinggwong2zau1 jyut6jyu5).
↑
Der Regiolekt des Kantonesischen (粵語方言 / 粤语方言, yuèyǔ fāngyán, Jyutpingjyut6jyu5 fong1jin4, Yaleyuhtyúh fongyin), wörtlich also der „Dialekt der kantonesischen Sprache“ oder die „Mundarten der kantonesischen Sprache“.
↑
Der Siyi-Regiolekt (四邑話 / 四邑话, sìyìhuà, Jyutpingsei3jap1waa2), wörtlich also die „Sprache der Vier-Städte-Region“, eine historische Region der Provinz Guangdong.
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Das Siyi-Yue oder Siyi-Kantonesisch (四邑粵語 / 四邑粤语, sìyì yuèyǔ, Jyutpingsei3jap1 jyut6jyu5), eine Alternativbezeichnung des Siyi-Regiolekts – ein Zweig der kantonesischen Sprache.
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Das Hongkong'er Kantonesisch (香港粵語 / 香港粤语, xiānggǎng yuèyǔ, Jyutpinghoeng1gong2 jyut6jyu5) sticht gegenüber andere Regiolekten im Alltag insbesondere durch die Beimischung von englischen Begriffen in der Umgangssprache hervor – aufgrund der britischenkolonialenGeschichte Hongkongs, neben der hongkongtypischen Mundart mit regionalen kantonesischen Begriffen.
↑
Alexander L.Francis, Valter Ciocca, Lian Ma, Kimberly Fenn – Journal of Phonetics Vol. 36, Issue 2, April 2008, S. 268–294 ScienceDirect In: sciencedirect.com. Abgerufen am 8. November 2018
↑ ab
Der Yam-Tone – Hochchinesisch Yin-Ton – (陰聲 / 阴声, yīnshēng, Jyutpingjam1sing1, Yaleyāmsing), als der hohe Ton.
↑ ab
DerYèuhng-Töne – Hochchinesisch Yang-Töne – (陽聲 / 阳声, yángshēng, Jyutpingjoeng4sing1, Yaleyèuhngsing), also der tiefe Ton.
↑ ab
Der Yap-Ton – Hochchinesisch Ru-Ton – (入聲 / 入声, rùshēng, Jyutpingjap6sing1, Yaleyahpsing), also der Eintrittston.
↑
Der Yamping-Ton – Hochchinesisch Yinping-Ton – (陰平 / 阴平, yīnpíng, Jyutpingjam1ping4, Yaleyāmpìng), also ein gleichbleibender hoher Ton.
↑
Der Yamseuhng-Ton – Hochchinesisch Yinshang-Ton – (陰上 / 阴上, yīnshàng, Jyutpingjam1soeng5, Yaleyāmsèuhng), also ansteigender hoher Ton.
↑
Die „neun Töne“ (九聲六調 / 九声六调, jiǔshēng liùdiào, Jyutpinggau4sing4 luk6diu6, Yalegaausìng lukdiu), wörtlich also die „Neun Töne sechs Anlaute“. Sie umfassen sechs Hoch-Tief-Tönen und drei Eintrittstöne.
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Der binjām (變音 / 变音, biànyīn, Jyutpingbin3jam1, Yalebìnyām), wörtlich also der „Wandel der Laute“ oder die „Tonänderung“, ein sprachliches Phänomen der Tonwechsel in der kantonesische Sprache.
↑„mou (冇)“. Begriff. In: zdic.net. Abgerufen am 4. Januar 2018 (chinesisch, englisch).
↑„mou (冇)“. Begriff. In: xh.5156edu.com. Zaixian Hanyu Zidian – 在线汉语字典, abgerufen am 22. August 2021 (chinesisch, englisch).
In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen noch folgende wichtige Informationen:
Phonetik und Phonologie, Grammatik, Wortschatz (evtl. im Kontrast zum Hochchinesischen), Sprachbeispiele (vgl. Formatvorlage Sprache); Literaturhinweise; Verweise zu Artikeln über Romanisierungen: Meyer-Wempe, Yale-Romanisierung, Barnett-Chao, Kantonesisches Pinyin, Romanisierung des „Guangdong Provincial Education Department“ von 1960?