Juno Ludovisi

Juno Ludovisi

Als Juno Ludovisi (auch Hera Ludovisi) wird ein kolossaler Frauenkopf aus Marmor bezeichnet, der in das 1. Jahrhundert v. Chr. datiert wird und sich heute im Museo Nazionale Romano in Rom befindet; ausgestellt ist er im Palazzo Altemps. Der Kopf war Teil einer akrolithen Statue, die zunächst als Juno identifiziert wurde, heute jedoch oft als Porträt der Antonia Minor interpretiert wird, die sich als Juno darstellen ließ.

Forschungsgeschichte

Der zu einem unbekannten Zeitpunkt wohl in Rom gefundene Kopf der Juno Ludovisi ist in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Besitz des Kardinals Federico Cesi nachweisbar und wurde 1622 mit den übrigen Prachtstücken seiner Sammlung von Kardinal Ludovico Ludovisi angekauft, wodurch den sie ihren Beinamen erhielt.[1]

Den am Eingang der Villa Ludovisi aufgestellten Kopf deutete zuerst 1764 Johann Joachim Winckelmann auf die Göttin Juno und nahm an, dass der Kopf ein Teil eines kolossalen Kultbildes der Göttin sei[2]. Johann Heinrich Füssli schrieb 1766: „Dieser Kopf ist der schönste in Marmor, welcher uns von der Königin der Götter übrig geblieben ist.“[3] Besonders im 18. Jahrhundert und frühen 19. Jahrhundert wurde der Marmorkopf zu einer Art Idol der Kunstverehrung deutscher Dichter und Denker. Friedrich Schiller[4], Johann Wolfgang von Goethe und Wilhelm von Humboldt sahen die Juno Ludovisi als einen Inbegriff dessen, was als griechische Idealität verstanden wurde. Goethe schrieb in einem Brief von 1781 aus Rom, nachdem er einen Abguss erworben hatte: „Es war dieses meine erste Liebschaft in Rom, und nun besitz' ich sie. Keine Worte geben eine Ahnung davon. Es ist wie ein Gesang Homers.“[5] Wilhelm von Humboldt schrieb sogar ein von der Juno Ludovisi inspiriertes Sonett[6] – womit er nicht der Einzige war.[7]

1867 hat zuerst Alexander Conze die Deutung des Kopfes als Juno (bzw. als römische Marmorkopie einer klassisch-griechischen Bronzestatue der Hera) angezweifelt und eine Entstehung in der römischen Kaiserzeit behauptet. Die These, dass es sich bei der gezeigten Frau um eine historische Persönlichkeit handele, wurde aufgestellt und immer häufiger in der Forschung vertreten. Zwischenzeitlich folgte man meist der Zuordnung von Andreas Rumpf[8], demzufolge es sich um eine Kolossalstatue der Antonia Minor (36 v. Chr. – 37 n. Chr.), einer Angehörigen der julisch-claudischen Dynastie, handele. Sie war die Mutter des Kaisers Claudius und die Nichte des Augustus. Es wurde angenommen, dass Claudius seine Mutter als eine idealisierte Juno darstellen ließ. Münzbilder der Antonia sowie ein im Sommer 2003 gefundener, ähnlicher Kopf stützen diese Annahme, die jedoch weiterhin umstritten ist.

Beschreibung

Aufstellung im Palazzo Altemps

Der kolossale Kopf ist ein Frauenkopf aus Marmor mit einer Höhe von 116 Zentimetern, was ein vergleichsweise monumentales Format für diese Zeit ist. Die Gesichtszüge wirken unpersönlich und sind frontal zum Betrachter gewandt. Die lockige Frisur ist im Nacken locker gebunden und zeigt unter einem hohen Diadem einen deutlichen Mittelscheitel. An den Seiten des Halses, hinter den Ohren, die halb von den Haaren verdeckt sind, fallen Strähnen in Korkenzieherlocken herab. Insgesamt wirkt die gezeigte Frau sehr idealisiert und ihre unpersönlichen Gesichtszüge sowie die monumentale Größe des Kopfes sprechen für die Darstellung einer Göttin.

Nachleben

Es existieren zahlreiche Gipsabgüsse der Juno Ludovisi. So zum Beispiel im Goethehaus in Weimar[9], in der Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts der Georg-August-Universität Göttingen[10] oder im Museum of Classical Archaeology der Universität Cambridge[11].

Goethe und die Juno Ludovisi

Goethe scheint bereits während seiner Italienreise von der Juno Ludovisi begeistert gewesen zu sein. In seinem Bericht zu seiner Italienreise aus dem April 1788 schreibt er, dass er für seinen zweiten Aufenthalt in Rom in ein Atelier umgezogen sei, wo er einige Gipsabgüsse bestaunen könne. Weiter spricht er in seinem Bericht über die Eindrücke, die diese alten Plastiken bei dem Betrachter hinterließen, und stellt die Juno Ludovisi mit einer besonderen Verehrung vor:[12]

„Den ersten Platz bei uns behauptete Juno Ludovisi, um desto höher geschätzt und verehrt, als man das Original nur selten, nur zufällig zu sehen bekam und man es für ein Glück achten musste, sie immerwährend vor Augen zu haben; denn keiner unsrer Zeitgenossen, der zum erstenmal vor sie hintritt, darf behaupten, diesem Anblick gewachsen zu sein.“

Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise[13]
Junozimmer in Goethes Wohnhaus am Frauenplan

Bereits in einem Brief aus dem Januar 1787 an Charlotte von Stein berichtet er über die Juno und bezeichnet sie als seine erste Liebe in Rom und dass er sie nun endlich besitze. Er äußert das Vorhaben, sie mit nach Deutschland zu bringen und die Vorfreude darauf, sie der Adressatin zu zeigen.[14] Goethes Bewunderung der Juno Ludovisi ging so weit, dass eines der Zimmer in seinem Wohnhaus in Weimar als das Juno-Zimmer bekannt wurde. Diesen Namen erhielt das Zimmer nach Goethes Tod[15] durch einen Abguss der Juno Ludovisi, den er hier aufstellte. Hierbei handelt es sich aber nicht um den Abguss aus seiner römischen Wohnung, den er in seinem Bericht oder seinem Brief an Charlotte von Stein nennt. Diese Juno aus seinen Berichten überließ er 1788 Angelika Kauffmann, denn es war ihm unmöglich, den Abguss unbeschädigt über die Alpen zu transportieren. Erst 1823 schenkte ihm der Staatsrat Christoph Friedrich Ludwig Schultz aus Berlin einen neuen Abguss des kompletten Kopfes, der von Goethe im Junozimmer in der Ecke zwischen Fenster und Tür aufgestellt wurde, so dass er von zwei Seiten natürlich beleuchtet wird. An diesem von Goethe vorgesehenen Platz steht die Figur noch heute im Goethehaus.[16] Er besaß noch einige andere antike Abgüsse, darunter einen Laokoons-Kopf, Niobes Töchter und einen Sappho-Kopf: „Diese edlen Gestalten waren eine Art von heimlichem Gegengift, wenn das Schwache, Falsche, Manierierte über mich zu gewinnen drohte“.[17]

Durch Goethe angeregt, erfasste Schiller 1795 die Statue als einen der zentralen Begriffe seiner Briefe Über die ästhetische Erziehung des Menschen.[18]

Literatur

  • Andreas Rumpf: Antonia Augusta. Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse. Verlag der Akademie der Wissenschaften, Berlin 1941.
  • Helga von Heintze: Juno Ludovisi (= Opus Nobile. Bd. 4). Dorn, Bremen 1957.
  • Renate Tölle-Kastenbein: Juno Ludovisi: Hera oder Antonia Minor? In: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Athen. Band 89, 1974, S. 241–253 Taf. 91–96.
  • Alessandra Costantini in: Antonio Giuliano (Hrsg.): La Collezione Boncompagni Ludovisi: Algardi, Bernini e la fortuna dell'antico. Marsilio, Venedig 1992, S. 122–127 Nr. 10.
  • Nikos Kokkinos: Antonia Augusta: Portrait of a Great Roman Lady. Routledge, London/New York 1992, S. 119–121.
  • Rolf Winkes: Livia, Octavia, Julia. Art and Archaeology Publications, Louvain-la-Neuve/Providence 1995.
  • Charles Brian Rose: Dynastic Commemoration and Imperial Portraiture in the Julio-Claudian Period. Cambridge University Press, Cambridge 1997.
  • Hermann Pflug: Der flüchtige Zauber der Juno. Die „Juno Ludovisi“ zwischen Idealisierung und Erforschung. In: Antike Welt 31, 1, 2000, S. 37–42.
Commons: Hera Ludovisi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Christian Hülsen: Römische Antikengärten des 16. Jahrhunderts. Winter, Heidelberg 1917, S. 35, Nr. 149 (Digitalisat).
  2. Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthums. Walther, Dresden 1764, 5. Buch, Kap. 2 § 7
  3. Johann Heinrich Füssli: An den Uebersetzer von Herrn Webbs Versuch, über die Mahlerey. In: Daniel Webb: Untersuchung des Schönen in der Mahlerey, und der Verdienste der berühmtesten alten und neuern Mahlern. Zürich 1766, S. I–LXXXVIII, hier S. LXXVI f. (Digitalisat der 2. Auflage, 1771). Seitdem Herbert von Einem den Brief fälschlich in das Jahr 1756 datierte (in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, mit Kommentar und Registern, herausgegeben von Erich Trunz. Band 11. Christian Wegner Verlag, Hamburg 1950, S. 631), wird oftmals Füssli die Entdeckung der Juno zugeschrieben.
  4. Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 15. Brief
  5. Goethe, Italienische Reise, Abschnitt Rom, Brief vom 6. Januar 1787. Goethe schenkte seinen Abguss bei seiner Abreise von Rom an Angelica Kauffmann. Der Abguss im Junozimmer von Goethes Wohnhaus in Weimar ist ein Geschenk des Staatsrats Schultz an Goethe im Jahr 1823.
  6. Wilhelm von Humboldt: Juno Ludovisi. In: Albert Leitzmann: Wilhelm von Humboldts gesammelte Schriften. Abteilung 1: Werke, Band 9: Gedichte. Behr, Berlin 1912, S. 199 (Digitalisat).
  7. Das Goethezeitportal: Goethes Juno, Abschnitt 5: Gedichte über die Juno Ludovisi
  8. Andreas Rumpf: Antonia Augusta, Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, Nr. 5, 1941
  9. Klassik Stiftung Weimar, Goethes Wohnhaus
  10. Virtuelles Antikenmuseum – Archäologisches Institut der Universität Göttingen.
  11. Museum of Classical Archaeology
  12. Zu Goethe und der Juno Ludovisi siehe auch Reinhard Häußler: Hera und Juno, Wandlungen und Beharrung einer Göttin. Steiner, Stuttgart 1995, S. 16–18 und passim.
  13. Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise. In: Ludwig Geiger, Eduard von der Hellen: Goethes sämtliche Werke: Jubiläums-Ausgabe in 40 Bänden. Band 26, Teil 2. Cotta, Stuttgart u. a. 1907, S. 268 (Digitalisat, Ausgabe von 1913).
  14. Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise. In: Ludwig Geiger, Eduard von der Hellen: Goethes sämtliche Werke: Jubiläums-Ausgabe in 40 Bänden. Band 26, Teil 2. Cotta, Stuttgart u. a. 1907, S. 179 (Digitalisat).
  15. Goethe selbst nannte das Zimmer den blauen Salon, wegen der Tapete
  16. Hugo Bieber, Julius Zeitler: Goethe-Handbuch. Band 2: Gochhausen-Mythologie. Metzler, Stuttgart 1917, S. 288 f.
  17. Goethe: Italienische Reise, Zweiter Römischer Aufenthalt, Bericht vom April 1788
  18. Michail Pashchenko: Goethe und Schiller – eine Annäherung: Die Juno Ludovisi als Inbegriff der Weimarer Klassik. In: Voprosy filosofii. 2013. No 11. Abgerufen am 30. Dezember 2017.