Der im damals österreichischen Czernowitz geborene Gregor studierte an der Universität Wien Musikwissenschaft, Germanistik und Philosophie und wurde 1911 promoviert. Er arbeitete unter Max Reinhardt als Regieassistent und 1912–14 als Lektor für Musik an der Franz-Josephs-Universität Czernowitz. Ab 1918 war er an der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien angestellt, deren Theatersammlung er leitete, gegründet 1922, in die er ab 1929 auch den Kinofilm einbezog. Daneben lehrte er 1932–38 und 1943–45 am Max-Reinhardt-Seminar.[1] 1953 schied er aus dem Dienst der Nationalbibliothek aus und zog sich ins Privatleben zurück.
Umstritten ist Gregor wegen seiner Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus, weil er die Aufnahme von Bibliotheksbeständen politisch Verfolgter in die von ihm geleitete Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek betrieb. Die einen sehen darin den Versuch, diese bedeutsamen Bestände durchaus im Sinne ihrer Vorbesitzer vor ihrem Untergang zu retten, die anderen sehen Gregor hingegen als Kollaborateur und Nutznießer des nationalsozialistischen Regimes. Das gilt z. B. für die „Schenkung“ von Teilen der Autographensammlung von Stefan Zweig im Jahr 1937: Nach Ansicht von Oskar Pausch war mit dieser Schenkung die Verpflichtung von Joseph Gregor verbunden, diese Sammlung auch nach einem Regimewechsel, der 1938 tatsächlich erfolgte, zu beschützen, und tatsächlich soll Joseph Gregor wegen seiner Erwerbungspolitik und seinem großen jüdischen Bekanntenkreis unter dem nationalsozialistischen Regime zunächst in existentielle Gefahr geraten sein[2]. Andere sehen es kritischer[3]. Dasselbe gilt für den Erwerb der Theatersammlung von Fritz Brukner oder Helene Richter (1861–1942) für die Österreichische Nationalbibliothek.[4] Als Gregor 1940 von der Beschlagnahme der Bibliothek von Heinrich Schnitzler, mit dem Gregor befreundet war, aus der Zeitung erfuhr, setzte er sich dafür ein, dass sie unter seine Obut kam[5]. Andere sind der Auffassung, das Gregor die entscheidende Rolle beim Raub dieser Bibliothek spielte[6]. 1943 widmete Gregor sein Buch Das Theater des Volkes in der Ostmark dem Wiener Gauleiter und ReichsstatthalterBaldur von Schirach, was manche als ein weiteres Indiz dafür werten, dass Gregor ein Nutznießer und Apologet des NS-Regimes war.
Ein Jahr nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Deutschland emigrierte Stefan Zweig nach London. Daher war Richard Strauss auf der Suche nach einem neuen Librettisten. Zweig schlug Joseph Gregor als seinen Nachfolger vor. Strauss, der die theoretischen Werke Gregors sehr schätzte, akzeptierte die Wahl und so kam es zu einer mehrjährigen, allerdings nie harmonischen Zusammenarbeit. Es entstanden die Opern Friedenstag (nach einem Szenarium von Stefan Zweig), Daphne und Die Liebe der Danae (nach einem Entwurf von Hugo von Hofmannsthal).
Nach Abschluss der Danae-Partitur plante Strauss 1940 – auf Anregung von Heinz Drewes und Hans Joachim Moser – gemeinsam mit Joseph Gregor eine Neubearbeitung der Oper Jessonda (Musik: Louis Spohr, Libretto: Eduard Heinrich Gehe). Als Gregor daraufhin anbot, auch zur Oper Die schweigsame Frau einen neuen Text zu erstellen, der den von Stefan Zweig ersetzen könnte, lehnte Strauss ab und ließ auch das Jessonda-Projekt fallen[8].
Werke
Theoretische Texte
Wiener szenische Kunst. Bd. II. Das Bühnenkostüm in historischer, ästhetischer und psychologischer Analyse. 1925.
Das amerikanische Theater und Kino. Zwei kulturgeschichtliche Abhandlungen. Amalthea, Leipzig 1931 (zusammen mit René Fülöp Miller)
Bibliothekarische Aufgaben zum Filmwesen. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Jg. 48, 1931, S. 382–394.
Weltgeschichte des Theaters. Phaidon, Zürich 1933[9]
Shakespeare. Phaidon, Wien 1935
Perikles. Griechenlands Größe und Tragik. München 1938
Richard Strauss. Der Meister der Oper. Piper, München 1939
Alexander der Große. Die Weltherrschaft einer Idee. Piper, München 1940
Kulturgeschichte der Oper. Ihre Verbindung mit dem Leben, den Werken, des Geistes und der Politik. Gallus, Wien 1941
Das Theater des Volkes der Ostmark. Deutscher Verlag für Jugend und Volk, Wien 1943
Kulturgeschichte des Balletts. Seine Gestaltung und Wirksamkeit in der Geschichte und unter den Künsten. Gallus, Wien 1944
Weltgeschichte des Theaters. Band 1: Von den Ursprüngen bis zum Ausgang des Barocktheaters. Piper, München 1944, wieder 1960[10]
Geschichte des österreichischen Theaters. Donau, Wien 1948
Gerhart Hauptmann Das Werk und unsere Zeit, Diana Verlag Wien 1951
Richard Wagner in unserer Zeit. Ansprache aus Anlaß der Neugründung des Richard-Wagner-Verbundes. Verlag Die Mitte, Saarbrücken 1958
↑Peter Roessler, Günter Einbrodt, Susanne Gföller (Hg.) Die vergessenen Jahre. 75 Jahre Max Reinhardt Seminar. Wien 2004
↑Oskar Pausch: Richard Strauss, Stefan Zweig, Joseph Gregor und das Jahr 1938, Studien zur Musikwissenschaft (Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmalern der Tonkunst in Österreich) Band 47 (1999), S. 395–400. Vgl. JSTOR:41467122
↑Peter Malina: Von Büchern und Menschen. Neue Veröffentlichungen zur NS-Geschichte des Bibliothekswesens. In: Mitteilungen der VÖB 60 (2007), Nr. 1, S. 56
↑Christiane Hoffrath: Widmungsexemplare aus der Bibliothek von Elise und Helene Richter. In: Stefan Alker, Christina Köstner, Markus Stumpf (Hg.): Bibliotheken in der NS-Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte. Göttingen 2008. S. 118
↑Evelyn Adunka: Der Raub der Bücher. Über Verschwinden und Vernichten von Bibliotheken in der NS-Zeit und ihre Restitution nach 1945. Wien 2000. S. 196–111