Tiedje entstammte einer nordfriesischen Familie. Sein Vater Detlef Peter Wilhelm Theodor Tiedje (1840–1917) hatte ein dänisches Abitur, war 1864 dänischer Offizier im zweiten schleswigschem Krieg und später Pfarrer in Øsby bei Hadersleben.
1909 hatte Tiedje in fünf Artikeln in der Christlichen Welt die Germanisierungspolitik in Nordschleswig verurteilt; er plädierte für eine bessere Behandlung der dänischen Volksgruppe und für friedliche, kulturelle Auseinandersetzung statt Zwang. Die regierungstreue Presse und die deutschen Organisationen in Nordschleswig reagierten mit Empörung, aber im Verborgenen sammelten sich versöhnliche Kräfte im nordschleswigschen Pastorenverein und im Verein für deutsche Friedensarbeit in der Nordmark. Tiedje wirkte auch für die Verbreitung von N.F.S. Grundtvigs Gedanken in Deutschland und gab 1927 in deutscher Übersetzung seine Schriften über die Heimvolkshochschulbewegung heraus: Schriften zur Volkserziehung und Volkheit I–II.
In der Versailler Friedensdelegation war er, berufen vom deutschen Außenministerium, als Sachverständiger für Nordschleswig vertreten. Er wurde Mitglied der DDP[1] und war von 1922 bis 1934 als Ministerialrat im Reichsinnenministerium unter anderem zuständig für Deutschtumsarbeit.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Tiedje im Herbst 1945 von der britischen Militärverwaltung zum Landrat von Flensburg ernannt. Sowohl vor als nach dem Krieg verteidigte er auch die dänische Minderheit in Südschleswig. Im Frühjahr 1946 trat er dem Südschleswigschen Verein bei. Kurz darauf musste er aus Gesundheitsgründen sein Amt als Landrat aufgeben und starb im Mai desselben Jahres.
Tiedje warf während des Ersten Weltkrieges den Dänen „Rassenschande“ durch Verbrüderung mit den Slawen vor.[3][4] Nach dem Zweiten Weltkrieg äußerte er sich als Landrat von Flensburg gegen die Ansiedlung deutscher Flüchtlinge aus den Ostgebieten und verlangte, „daß wir Niederdeutschen und Schleswig-Holsteiner ein eigenes Leben führen, das in keiner Weise sich von der Mulattenzucht ergreifen lassen will, die der Ostpreuße nun einmal im Völkergemisch getrieben hat.“[5] Der Anlass seiner rassistischen Bemerkung war der Umstand, dass im Zuge der Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa vor allem aus Ostpreußen, Westpreußen und Pommern etwa 1 Million Flüchtlinge nach Schleswig-Holstein gekommen waren und infolgedessen damals in Südschleswig fast so viele Flüchtlinge wie Einheimische lebten.
Tiedje-Linie
Tiedje wurde bekannt durch die nach ihm benannte Tiedje-Linie, die einen Gegenvorschlag zur Clausen-Linie für die Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark darstellte. Sein Vorschlag fand bei der Volksabstimmung in Schleswig 1920 aber aufgrund der politischen Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg keine Berücksichtigung.
Die Linie spielte auch in der Zwischenkriegszeit eine Rolle, da grenznahe Gebiete mit deutscher Mehrheit in der Volksabstimmung (Tondern, Hoyer, Ubjerg und Tingleff) zu Dänemark gekommen waren. Die deutsche Minderheit in Dänemark sowie politische Kräfte in Schleswig-Holstein hofften so bis 1945 auf eine Grenzrevision.
Werke (Auswahl)
Die deutsche Freimaurerei. Christliche Welt, Marburg 1913.
Hrsg.: Die deutsche Note über Schleswig. DVG für Politik und Geschichte, Charlottenburg 1920.
Die nationale Schichtung Schleswigs. In: Schleswig-holsteinisches Jahrbuch (1921), S. 16–23.
Die Änderung des Versailler Friedensvertrages für Schleswig. In: Schleswig-holsteinisches Jahrbuch (1921), S. 26–28.
Deutschland und Nordschleswig. In: Schleswig-holsteinisches Jahrbuch (1921), S. 32–36.
Die Zustände in Nord-Schleswig. Carl Schünemann. Bremen 1925.
Freimaurer-Dokumentation Marburg. Bearb. v. Helmut Keiler, Gießen 1980 [UB Marburg]
Erich Wyluda: Biographien von Landräten. Johannes Tiedje. In: Der Landkreis Schleswig-Flensburg 1867–1914. Ein preußischer Landkreis in Schleswig-Holstein. Teil 1. Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, Flensburg 1981 (Schriften der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte e.V.; 30), S. 246–262.
Friedrich Wilhelm Graf: Tiedje, Johannes. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Band 12. Bautz, Nordhausen 1997, Sp. 43–67.
Johannes Hürter (Red.): Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945. 5. T – Z, Nachträge. Herausgegeben vom Auswärtigen Amt, Historischer Dienst. Band 5: Bernd Isphording, Gerhard Keiper, Martin Kröger: Schöningh, Paderborn u. a. 2014, ISBN 978-3-506-71844-0.
Einzelnachweise
↑Eric Kurlander: „Multicultural and Assimilationist Models of Ethnopolitical Integration in the Context of the German Nordmark, 1890-1933“ in: The Global Review of Ethnopolitics. Ausg. 1, Nr. 3, März 2002, S. 39–52. S. 48, Fn. 22. online (pdf) (Memento des Originals vom 26. Juni 2007 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ethnopolitics.org
↑Ingo Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der »Volkstumskampf« im Osten. S. 179 f. online
↑Brief an Silvio Broederich vom 30. Dezember 1945, zitiert in Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. Siedler, München 2008, S. 73.