Johannes Semper wurde in eine Lehrerfamilie geboren. Von 1901 bis 1905 besuchte Semper das Heine-Progymnasium in Viljandi, von 1905 bis 1910 das Gymnasium in Pärnu.
Er studierte 1910 bis 1914 Philologie an der Universität in der russischen Hauptstadt Sankt Petersburg. 1915/16 belegte er das Fach Architektur am Rigaer Polytechnikum, das kriegsbedingt nach Moskau ausgelagert war. 1916/17 wurde er in die russischen Streitkräfte eingezogen. Er schloss die Militärschule in Moskau im Rang eines Fähnrichs ab.
Politik
Mit dem Zusammenbruch der zaristischen Herrschaft in Russland schloss sich Semper linksrevolutionären Kreisen an. 1917 war er stellvertretender Vorsitzender des Estnischen Soldaten-Hauptausschusses (Eesti Sõjaväelaste Ülemkomitee, Главный комитет войнов эстовъ).
Semper wurde Mitglied des Zentralkomitees der 1917 gegründeten Estnischen Partei der Sozialisten-Revolutionäre (Eesti Sotsialistide-Revolutsionääride Partei, ESRP), der estnischen Abspaltung der russischen Partei der Sozialrevolutionäre (Партия социалистов-революционеров).
Semper entschloss sich dann aber, kein aktiver Politiker zu werden und eine literarisch-wissenschaftliche Karriere anzustreben. Von 1921 bis 1925 studierte er an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Von 1925 bis 1927 lebte er in Paris.
1928 legte Semper seine Magisterarbeit an der Universität Tartu im Fach Literaturgeschichte über „Die Struktur des Stils von André Gide“ vor. Bis 1940 blieb er als Dozent an der Universität in Tartu tätig. Gleichzeitig war er von 1930 bis 1940 Redakteur der 1923 gegründeten estnischen Kulturzeitung Looming. Von 1928 bis 1940 war Johannes Semper Vorsitzender des estnischen PEN-Klubs.
In der Sozialistischen Sowjetrepublik Estland
Mit der sowjetischen Besetzung Estlands im Juni 1940 stellte sich Semper auf die Seite der neuen stalinistischen Machthaber. 1940 wurde er Bildungsminister in der ersten kommunistischen Regierung. Im selben Jahr trat in die KPdSU ein.
Während der deutschen Besetzung Estlands von 1941 bis 1944 lebte Semper hinter der Front in der Sowjetunion. Von 1941 bis 1948 war er Kulturverantwortlicher für die Estnische SSR. Von 1940 bis 1951 gehörte er als Abgeordneter dem Obersten Sowjet der Estnischen SSR an. Von 1946 bis 1950 bekleidete er das Amt des Vorsitzenden des Schriftstellerverbands der Estnischen SSR an. 1945 wurde er „Verdienter Schriftsteller der Estnischen SSR“. 1947 erhielt er den Staatspreis der Estnischen SSR.
1950 fiel Semper in Ungnade bei den sowjetischen Behörden und wurde aus der KP ausgeschlossen. Ihm wurden sowohl „bürgerlicher Nationalismus“ als auch „Kosmopolitismus“ vorgeworfen. Semper schlug sich in dieser Zeit als anonymer Übersetzer durch. Erst 1955, nach Stalins Tod, wurde er rehabilitiert.
Von 1963 bis zu seinem Tod 1970 war Semper erneut Abgeordneter im Obersten Sowjet der Estnischen SSR. 1962 erhielt er den Leninorden. 1964 wurde ihm die Auszeichnung „Volksschriftsteller der Estnischen SSR“ verliehen.
Rote Nelken. Übersetzt von Alexander Baer. Rostock: Hinstorff [1960.] 420 S.
Eine Erzählung ist zweimal erschienen:
Der Irrtum. Übersetzt von Siegfried Behrsing, in: Der letzte Strandräuber. Estnische Erzählungen aus sieben Jahrzehnten. Ausgewählt von Alexander Baer, Welta Ehlert, Nikolai Sillat. Berlin: Volk und Welt 1975, S. 72–90.
Ein Irrtum. Übersetzt von Aivo Kaidja, in: Estnische Novellen. Ausgewählt von Endel Sõgel. Tallinn: Perioodika 1979, S. 113–132.
Verstreut sind auch einige seiner Gedichte in deutscher Übersetzung erschienen:
Frühling in der Grosstadt [sic] – Reglose Stunden – Va banque – Selbstmord der Lokomotive. Übersetzt von Walter von Maydell, in: Almanach estnischer Dichtung und Kunst. Tartu: Pallas-Verlag 1927, S. 114–120.
Der verriegelte Speicher. Übersetzt von Waldemar Dege, in: Der flammende Dornbusch. Lyrik aus der Sowjetunion. Berlin: Verlag Volk und Welt 1987, S. 88–89.
Ein Urwald. Übersetzt von Ilmar Laaban, in: Manfred Peter Hein (Hg.): Auf der Karte Europas ein Fleck. Gedichte der osteuropäischen Avantgarde. Zürich: Ammann Verlag 1991, S. 297.
Privatleben
Johannes Semper war ab 1920 mit der estnischen Musikkritikerin Aurora Semper (1899–1982) verheiratet. Beider Tochter war die Pianistin Lilian Semper (1933–2007). Die erste Tochter Siiri-Mall (1930–1944) starb früh.
Literatur zum Autor
Johannes Semper elus ja kirjanduses. Tallinn: Eesti Raamat 1967. 427 S.
Erna Siirak: Johannes Semper. Tallinn: Eesti Raamat 1969. 253 S. (Eesti kirjamehi)
Euroopa, esteedid ja elulähedus. Semperi ja Barbaruse kirjavahetus 1911–1940. 1. köide (1911–1929), 2. köide (1930–1940). Koostanud Paul Rummo. Toimetanud ja kommenteerinud: Paul Rummo, Abel Nagelmaa, Tiina Saluvere ja Ülo Treikelder. Tartu: EKM Teaduskirjastus 2020. 1166 S.
Merlin Kirikal: „Olen lahti murdnud elule“. Modernse soo ja keha kujutamine Johannes Semperi Teise maailmasõja eelses loomingus. Tallinn: Tallinna Ülikool 2021. 268 S.(Tallinna Ülikooli humanitaarteaduste dissertatsioonid 67)