Dieser Artikel behandelt das Lauteninstrument in den verschiedenen Stilrichtungen der Jazzmusik. Für den umgangssprachlich häufig als „Jazzgitarre“ bezeichneten Gitarrentyp mit Hohlkorpus siehe Archtop.
Der Begriff Jazzgitarre bezeichnet die Rolle der Gitarre im Jazz, insbesondere die im Laufe der Jazzgeschichte entstandenen spezifischen Spiel- und Grifftechniken. Typisch sind der Einsatz von Jazz-Akkorden sowie das Akkord-Melodie-Spiel, bei dem Melodien mit Jazz-Harmonik harmonisiert werden.
Die Anfänge der Jazzgitarre / Das Instrument und seine Bauformen
Die Geschichte der Jazzgitarre begann Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten mit verschiedenen Musikrichtungen, die von den Nachkommen von Afrikanern entwickelt wurden, welche in vorhergehenden Jahrhunderten in die Sklaverei verschleppt worden waren.
In der afroamerikanischen Volksmusik – Field Hollers, Worksongs, Spirituals, Gospelmusik und Blues – wurde die Gitarre zunächst nur als rein akustisches Instrument von Sängern, Solisten sowie in kleinen Ensembles als Begleitinstrument für Gesang eingesetzt. In größeren Musikgruppen war die Gitarre bis in die 1920er Jahre eine Randerscheinung – aufgrund ihrer im Vergleich zu Piano und Bläsern geringen Lautstärke war sie weitgehend auf die Rolle als ein zur Rhythmusgruppe von Orchestern und Combos zählendes Begleitinstrument festgelegt. Dies änderte sich ab etwa Mitte der 1930er Jahre mit der neu entwickelten elektrischen Verstärkung von Gitarren. Durch den so gewonnenen Lautstärkezuwachs kann die Gitarre seitdem auch in lauteren Musikgruppen als Melodie- und Solo-Instrument eingesetzt werden und ersetzte häufig das bis dahin im Jazz übliche Banjo. Als vollwertig einzusetzendes Instrument gewann die Gitarre nicht nur im Jazz an Popularität und Bedeutung.
Gitarren in der an die Konstruktionsform von Streichinstrumenten angelehnten Vollresonanz-Bauweise – Archtops mit Hohlkorpus (Hollowbody), mit oder ohne Tonabnehmer – sind bis in die Gegenwart bei traditionell orientierten Jazzgitarristen besonders verbreitet und werden deshalb häufig als „Jazzgitarren“ bezeichnet. Sie haben häufig einen Cutaway, um das Spiel oberhalb des 14. Bundes zu erleichtern.
Die historische Entwicklung der Gitarre als Jazz-Instrument
Das Instrument wird ab 1920 gelegentlich vom Multiinstrumentalist Lonnie Johnson bei den Jazz-O-Maniacs gespielt, der 1927 mit Louis Armstrong arbeiteten: Johnson spielte als einer der Ersten Single-Note-Melodien auf der Gitarre in Jazz-Orchestern. Ein weiterer aus New Orleans stammender Rhythmusgitarrist und Banjospieler war Johnny St. Cyr, der u. a. bei Jelly Roll Morton, King Oliver und Armstrong spielte. Lonnie Johnson, der von Anfang an auch als Solist hervortrat, hat vor allem Eddie Lang, den wichtigsten Gitarristen des Chicago-Stils beeinflusst. Von St. Cyr ist wiederum Eddie Condon geprägt, Akkordmusiker und Vertreter der Dixieland und Chicago-Stil-Szene in New York. Dagegen kommt Elmer Snowden vom Harlem Banjo, das in seiner Spieltradition eher auf den Ragtime als auf den Jazz aus New Orleans zurückgeht.
Die Gitarre in der Big-Band- und Swing-Ära
Für die Gitarre als Teil der Rhythmusgruppe in Big Bands des Swing steht der Name von Freddie Green; dieser prägte mit seinem elastischen Spiel als elementarer Teil der Rhythmusgruppe den Sound der Basie-Band; Green gilt als der „überragende Vertreter der rhythmischen Akkordspielweise“ (Berendt/Huismann). Um in einer Big Band die Rhythmusgitarre hörbar zu machen, entwickelte man lautere Instrumente mit voluminösem Korpus. Beispielhafte Modelle sind die Gibson L-5 (seit 1924), die Gibson Super 400 oder die Epiphone Emperor.
Die Entwicklung der elektrisch verstärkbaren Schlaggitarre in den USA seit Mitte der 1920er-Jahre war die Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Gitarre als Melodieinstrument im Jazz der 1930er- und 40er-Jahre. Beispiele für diese frühen E-Gitarren sind die Rickenbacker Spanish-Electric (1935) und die Gibson ES-150 (1936). Bereits 1935 spielte Eddie Durham (damals Gitarrist und Posaunist bei Jimmie Lunceford) ein erstes elektrisches Gitarrensolo: Hittin’ the Bottle. Er spielt dabei die Tonfolge weitgehend auf einer Saite (single string). Um 1937 begann die Emanzipation der Gitarre von ihrer Rhythmusfunktion.[1] Um die Durchsetzung der elektrischen Gitarre als gleichberechtigtes Melodieinstrument macht sich ab 1939 besonders der schon 1937 von Durham zum Spiel der E-Gitarre angeregte[2]Charlie Christian in der Band von Benny Goodman verdient. Seine Melodielinien orientierten sich an den Soli der Bläser. Weiterhin sind hier Musiker wie George Barnes, Leonard Ware und in Europa Eddy Christiani zu nennen.
Django Reinhardt
Einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Jazzgitarre leistete Django Reinhardt. Er wird als einer der Begründer des europäischen Jazz angesehen. Er und die anderen Gitarristen des Hot Club de France wie Baro Ferret kamen vom Banjo und spielten seit Anfang der 1930er Jahre zunächst von dem italienischen Gitarrenbauer Mario Maccaferri für Henri Selmer entworfene Akustikgitarren, die beim D-Type oft mittels eines internen Resonators verstärkt wurden (Reinhardt spielte allerdings nie eine Gitarre mit Resonator). Reinhardt verarbeitete unter anderem auch Einflüsse vom Flamenco und russischer Folklore, im Jazz beruft er sich auf Eddie Lang. Michael Dregni Gypsy Jazz: In Search of Django Reinhardt and the Soul of Gypsy Swing Oxford: Oxford University Press 2008. Er beeinflusste zu Lebzeiten (und auch heute noch) unzählige Gitarristen wie Joe Pass, Larry Coryell, Christian Escoudé, Biréli Lagrène und Philip Catherine.[3]
Bebop, Cool und Jazzgitarre
Insbesondere Charlie Christian, der 1942 mit bereits 25 Jahren verstarb und bei den Sessions in Minton’s Playhouse an der Entwicklung des Bebop beteiligt war, kann als prägend für die nachfolgende Gitarristen-Generation bezeichnet werden. Die 1950er und 1960er Jahre des Jazz sind weit stärker von der Gitarre geprägt als die vorhergehende Epoche, was nicht zuletzt den neuen Möglichkeiten geschuldet ist, die sich aus der technischen Weiterentwicklung der E-Gitarren ergeben.[4]
Im Cool Jazz hat die Gitarre fast keine Funktion mehr als Rhythmusgitarre: Hier ist zunächst Billy Bauer (Tristano-Schule) zu nennen, der mit Warne Marsh und Lee Konitz (Duo: „Rebecca“) arbeitete sowie Jimmy Raney, Attila Zoller und Jim Hall. Mit seinem konzentrierten, lyrischen Spiel jenseits der Blockakkorde und dem klaren, warmen Klang ist Halls Bedeutung für die Entwicklung der Gitarre im Jazz mit der keines anderen Gitarristen seiner Generation vergleichbar.
Die 1960er Jahre waren vor allem vom seinerseits neue Maßstäbe setzenden Wes Montgomery geprägt. Als Ende der 1960er Jahre der von puristischen Klangidealen geprägte Jazz zunehmend vom Jazz-Rock abgelöst wurde, bedeutete dies auch für die Jazz-Gitarre einen Umbruch. Während der Stil eines Wes Montgomery z. B. von Pat Martino, Joe Pass und George Benson weiter gepflegt wurde, entwickeln Gitarristen wie Attila Zoller seit den frühen 1960er Jahren und später auch Rudolf Dašek eine freie Tonsprache. Die Möglichkeiten im Free Jazz wird durch Gitarristen wie Sonny Sharrock, der sich die Möglichkeiten des Feedbacks bereits angeeignet hat und dessen zunächst aggressiver Ton, der Geräusche einbezieht und von den Überblaseffekten der Saxophonisten John Coltrane, Pharoah Sanders und Albert Ayler beeinflusst ist, und in Europa vor allem durch Derek Bailey weiterentwickelt. Beide haben die Clustertechnik vom Klavier auf die Gitarre übertragen.
Auch ist ein neuer Einfluss aus der Klassischen Gitarre festzustellen. Hier ist zunächst Dušan Bogdanović zu nennen, der Jazz, klassische Musik und Balkan-Musik fusionierte, aber auch Miroslav Tadić. Unter den jüngeren Gitarristen sticht hier Pasquale Grasso hervor, der den klassischen Ansatz mit der Technik von Chuck Wayne kombinierte. In der Gegenwart ist eine enorme Stilvielfalt in der Musik und bei Instrumententypen festzustellen. Bill Frisell repräsentiert die stilistische Vielfalt in seinem Werk. Zunehmend wird die klare Abgrenzung zu anderen Musikrichtungen schwierig (als Beispiele seien hier genannt James „Blood“ Ulmer, Frank Zappa, Vernon Reid, Arto Lindsay, Fred Frith und Elliott Sharp).
Spieltechniken
Für das Solospiel sind Spieltechniken entwickelt worden, die teilweise von denen der klassischen Gitarre abweichen. Hier sind das
Fingerpicking, Wes Montgomerys Daumen-Technik, das Spiel mit Plektrum und die besondere Grifftechnik von Django Reinhardt zu nennen.
Diskographische Auswahl (Übersichtsalben)
Joe's Blues mit Joe Pass, Herb Ellis (1968)
Guitar Genius in Japan mit Kenny Burrell, Jim Hall, Attila Zoller (1970)
↑Alexander Schmitz: Die Gitarre im Jazz. Ergänzende Überlegungen zu J. E. Berendts Artikel. In: Gitarre & Laute 5, 1983, Heft 1, S. 82–84; hier: S. 83.