Dieser Artikel behandelt die J. S. Bach-Stiftung in St. Gallen. Zur Johann-Sebastian-Bach-Stiftung in Leipzig siehe Neue Bachgesellschaft.
Die J. S. Bach-Stiftung ist eine im Jahr 1999 gegründete SchweizerStiftung mit Sitz in St. Gallen. Sie realisiert die Aufführung und Dokumentation des gesamten Vokalwerks von Johann Sebastian Bach mit Rudolf Lutz als künstlerischem Leiter.
Das wichtigste Ziel der Stiftung ist es, das gesamte Vokalwerk Johann Sebastian Bachs (1685–1750) in einer Gesamtaufführung darzustellen. Bei den öffentlichen Konzerten werden hochwertige Videoaufnahmen angefertigt.[1]
Bei einer Aufführung pro Monat dauert das Vorhaben mehr als 20 Jahre, geht es doch um mehr als 200 Kantaten, sechs Motetten, diverse Messen-Sätze, Oratorien, Passionen und die h-Moll-Messe. Derzeit (2020) wird mit einem Abschluss des Projekts im Jahr 2027 gerechnet.[2]
Die Stiftung bemüht sich, insbesondere der Jugend die Bedeutung des musikalischen Schaffens von Johann Sebastian Bach näherzubringen. Mit ihren Aktivitäten will sie das Kulturleben in der Region Ostschweiz fördern.[3]
Der Stiftungsrat der J. S. Bach-Stiftung besteht derzeit aus Konrad Hummler (Vorsitzender), Cla Reto Famos und Christoph Rohner.[5] Der Bach-Experte Anselm Hartinger unterstützt die Arbeit der Stiftung als musikwissenschaftlicher Berater.[6]
2011 wurde als eine zweite Stiftung die Internationale J. S. Bach-Stiftung Zürich gegründet. Diese verfolgt das Ziel, die künstlerische Arbeit der J. S. Bach-Stiftung über deren ursprüngliches Wirkungsgebiet in der Ostschweiz hinaus bekannter zu machen – in der ganzen Schweiz und international. Zu diesem Zweck organisiert sie Auftritte bei Musikfestivals und renommierten Veranstaltern. Ferner kümmert sie sich um Aufgaben in den Bereichen Social Media und Finanzierung.[7]Gerhard Schwarz leitet den dreiköpfigen Stiftungsrat der J. S. Bach-Stiftung Zürich, Anneliese Looser fungiert als Geschäftsführerin.
Zur Entlastung der J. S. Bach-Stiftung wurde deren operative Tätigkeit Anfang 2016 auf eine Tochtergesellschaft übertragen. Diese Vertriebs-AG wurde im März 2017 umbenannt und firmiert seitdem als J. S. Bach St. Gallen AG. Konrad Hummler ist Vorsitzender des dreiköpfigen Verwaltungsrates der J. S. Bach St. Gallen AG,[8] Xoán Elías Castiñeira fungiert als Geschäftsführer.
Aufführungen
Pro Abend wird nur eine Kantate, diese aber zweimal, aufgeführt. Vor der ersten Aufführung findet eine musikalisch-theologische Einführung statt, die auch als «Workshop» bezeichnet wird. Zwischen den beiden Aufführungen wird eine Reflexion über den Kantatentext vorgetragen.
Musikalisch-theologische Einführung
Vor der Aufführung führen der künstlerische Leiter Rudolf Lutz und ein Theologe das Publikum in das Werk ein. Rudolf Lutz erläutert musikalische Besonderheiten der Kantate, wobei er Passagen am E-Piano spielt und gegebenenfalls dazu singt. Seine handgeschriebenen Werkeinführungsblätter, die sogenannten «Lutzogramme», werden dem Publikum ausgehändigt und sind online abrufbar.[9]
Im Wechselspiel mit Lutz beleuchtet ein Pfarrer theologische Aspekte der Kantate. Dieser Part wurde mehr als elf Jahre lang und bei über 100 Kantaten von Karl Graf übernommen.[10] Graf war von 1966 bis 1993 Pfarrer an der evangelischen Stadtkirche St. Laurenzen in St. Gallen gewesen und hatte dort mit Lutz zusammengearbeitet, der von 1973 bis 2013 als Organist in St. Laurenzen tätig war. Letztmals wirkte Karl Graf bei einer Werkeinführung im April 2018 mit, im Rahmen der Uraufführung der Landsgemeindekantate, die Rudolf Lutz im Stil von Johann Sebastian Bach komponiert hatte und an der Karl Graf als Librettist beteiligt war.[11][12] Seit August 2018[11][13] gestaltet Niklaus Peter-Barth, Pfarrer am Fraumünster in Zürich und Dekan des Pfarrkapitels der Stadt Zürich, gemeinsam mit Rudolf Lutz die Werkeinführungen.[14]
«Reflexionen»
Die J. S. Bach-Stiftung lädt Referenten aus verschiedenen Wissenschafts- und Erfahrungsgebieten ein, im Rahmen der jeweiligen Aufführung eine auf die Thematik der Kantate abgestimmte «Reflexion» vorzutragen.[15] Für die Auswahl der Referenten ist Arthur Godel verantwortlich.[16] Zu den bisherigen Referenten zählen unter anderen:[17]
Der Chor und Orchester der J. S. Bach-Stiftung stehen unter der Leitung von Rudolf Lutz. Das Ensemble führt die Kantaten mit der erforderlichen variablen Besetzung auf und orientiert sich an der historischen Aufführungspraxis.[20]
Von 2006 bis im Januar 2011 trat das Vokal- und Instrumentalensemble unter dem Namen Schola Seconda Pratica auf. Der Fachbegriff seconda pratica bezieht sich auf den seinerzeit neuartigen Stil der frühen Barockmusik, insbesondere bei Claudio Monteverdi.
Von zentraler Bedeutung ist für die J.S. Bach-Stiftung die weltweite Verbreitung von Johann Sebastian Bachs Vokalwerk. Aus diesem Grund bestand seit August 2015 eine eigene Streaming-Plattform, über welche sämtliche Einspielungen in Ton und Bild zugänglich gemacht werden. Seit Januar 2019[21] geschieht das auf der Website Bachipedia, wo alle Inhalte kostenfrei zugänglich sind.[22]
Bach Factory
Seit 2021 werden die von Rudolf Lutz und Xoán Castiñeira kuratierten Education-Workshops in englischer Sprache regelmässig auf dem YouTube-Kanal der J. S. Bach-Stiftung veröffentlicht.[23]
Social Media
Die J. S. Bach-Stiftung ist seit 2009 bei YouTube und Facebook präsent. Auf ihrem YouTube-Kanal präsentiert sie ausgewählte Aufnahmen und Ausschnitte aus den Aufnahmen, zum Beispiel Einzelsätze der Kantaten sowie Beispiele von Workshops und Reflexionen. Der Kanal erreicht 36'800 Abonnenten und verzeichnet eine Gesamtzahl von mehr als 11,6 Millionen Aufrufen (Stand August 2020).[24] Die Facebook-Seite der Stiftung hat mehr als 295.000 Abonnenten.[25]
Im Jahr 2011 hat die J. S. Bach-Stiftung bei der ersten Verleihung des Schweizer Social Media Award den dritten Rang erzielt.[26] Im Jahr 2014 wurde die Facebook-Seite der J. S. Bach-Stiftung bei einem von dem Schweizer Software-Unternehmen Beecom veranstalteten Wettbewerb von mehr als 10.000 Fans unterstützt und erwies sich unter den 77 Nominierten als zweitbeliebteste Facebook-Seite der Schweiz.[27]
DVD
Eine Sammlung von allen DVDs mit den Workshop- und Konzertmitschnitten eines «Bachjahres» erscheint ebenfalls jährlich.
CD
Seit November 2011 werden jährlich drei CDs mit jeweils drei Kantaten publiziert. Bis Oktober 2017 lagen 20 CDs dieser Reihe vor. Ab 2019 wurde die Anzahl Neuerscheinungen auf vier Kantaten-CDs erhöht.
Georg Friedrich Händel: L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato, HWV 55. Joanne Lunn (Sopran), Charles Daniels (Tenor), Peter Harvey (Bass); Chor & Orchester der J.S. Bach-Stiftung, Leitung Rudolf Lutz. Gallus-Media, 2016.
J. S. Bach: h-Moll-Messe, BWV 232. Julia Doyle (Sopran), Alex Potter (Altus), Daniel Johannsen (Tenor), Klaus Mertens (Bass); Chor & Orchester der J. S. Bach-Stiftung, Leitung Rudolf Lutz. Gallus-Media, 2017.
J. S. Bach: Johannespassion, BWV 245. Julia Doyle (Sopran), Alex Potter (Altus), Daniel Johannsen (Evangelist – Tenor), Johannes Kaleschke (Arien – Tenor) Peter Harvey (Jesus – Bass) und Matthias Helm (Pilatus und Arie Nr. 24 – Bass); Chor & Orchester der J. S. Bach-Stiftung, Leitung Rudolf Lutz. Gallus-Media, 2019.
Reflexionen
Die Reflexionen zu den Kantatentexten wurden bis 2019 als Einzelausgaben im Druck und elektronisch veröffentlicht.
Rezeption
Presse
Konzert-Besprechungen erscheinen regelmässig im St. Galler Tagblatt. Dort erschien auch die erste Rezension zur Aufnahme der Matthäus-Passion.
↑Beispiel: Kantate BWV 146 auf bachipedia.org. Das «Lutzogramm» zur Werkeinführung findet sich unterhalb der drei Videos zur Aufführung, Werkeinführung und Reflexion.
↑ abSiehe „Referenten“ im Auswahlmenü auf bachipedia.org. Die Auswahl eines Namens führt zu dem jeweiligen Werk und der Reflexion als Videoaufzeichnung und Text.
↑Eberhard Jüngel wurde wegen Krankheit vertreten durch den Pfarrer Tilman Knödler, der Jüngels Reflexion über die Kantate BWV 108 Es ist euch gut, daß ich hingehe bei der Aufführung am 20. Mai 2011 vortrug.
↑Eine gekürzte und leicht bearbeitete Fassung der Reflexion von Kerstin Odendahl erschien unter dem Titel Gottvertrauen als Kraft zur Veränderung in der NZZ vom 2. April 2011.
↑Neue Zürcher Zeitung, 29. Dezember 2008; 19. Januar 2009; 21. Januar 2010; 2. Juli 2010; 6. Januar 2012; 21. Mai 2012, 16. August 2014, 14. März 2016 (Bericht zur Aufführung von Bachs h-Moll-Messe in Zürich).