Unter Irredentismus versteht man die Ideologie, Gebiete eines anderen Staates oder den Staat selbst dem eigenen Staatsgebiet anzuschließen, um dadurch etwa möglichst alle Vertreter einer bestimmten Ethnie in einen Staat mit festen Territorialgrenzen zu vereinen. Diese Bestrebung ist Teil vieler Panbewegungen, wie des Pangermanismus, des Panslawismus oder des Panturanismus.
Im historischen Sinne bezeichnet das Wort den italienischen Irredentismus, der selbst eine Panbewegung darstellt. Man spricht auch von „Panitalianismus“. Als Irredentismus wurde zunächst die italienisch-nationalistischeIdeologie bezeichnet, deren Ziel nach der Einigung Italiens 1861 die Angliederung der unter österreichischer Herrschaft verbliebenen italienisch besiedelten Gebiete Trentino und Triest war. Das beanspruchte Gebiet im Ausland wird (die) ‚Irredenta‘ oder italienisch: ‚terra irredenta‘ (das [noch] unbefreite Land, verlorene Land, wörtlich: das unerlöste) genannt. Von einer politisch isolierten Minderheit im italienischsprachigen Schweizer Kanton Tessin wurde der Irredentismus auch auf die Italienische Schweiz übertragen.[1]
Das Wort Irredentismus kommt vom italienischen Begriff terre irredente (‚unerlöste Gebiete‘, vom ital. Verb "redimere = erlösen" ist es das Partizip Perfekt: redento), womit ‚Volksteile‘ gemeint sind, die Anschluss an ihr Mutterland (oft im Sinne von ‚muttersprachliches Land‘) suchen, bzw. die Nation, die ihr Gebiet überall dorthin ausdehnen will, wo Volksangehörige von ihr leben. Es waren auch Bestrebungen dieser Art, die 1918 zur Aufteilung des HabsburgerVielvölkerstaatsÖsterreich-Ungarn in neue Staaten führten: Tschechoslowakei, Deutschösterreich, Ungarn und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen.
Sprach- oder ethnienbezogene Nationalismen bergen überall dort, wo politische Lösungen für das Zusammenleben vieler Ethnien nicht ohne Benachteiligung einzelner Gruppen gelingen, die Gefahr von Territorialkonflikten, so zum Beispiel innerstaatlich bezüglich der Grenzen zwischen Kantonen oder Banaten, aber auch zwischen großen Staaten.
Nach der nationalstaatlichenEinigung Italiens mit der neuen Hauptstadt Rom 1871 unter König Viktor Emanuel II. waren Gebiete mit italienischsprachiger Bevölkerung unter der Herrschaft von Österreich-Ungarn verblieben. 1878 gründete sich in Italien der Bund Italia Irredenta, dessen Hauptziele die Angliederung „unerlöster italienischer Volkstumsgebiete“ (Italia irredenta, terre irredente) an Italien war. Hauptgebiete waren Trentino-Südtirol und Istrien, auf die Italien im Frieden von Wien (1866) verzichtet hatte, außerdem Dalmatien. Als „die Irredenta“ wurde sowohl diese politische Bewegung in Italien bezeichnet, als auch die nationalrevolutionären Organisationen in diesen Gebieten, die die Abspaltung vom Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn und den Anschluss an den Nationalstaat Italien anstrebten.
Edgar Bonjour: Geschichte der schweizerischen Neutralität, Bd. 3: 1930–1939. 4. Aufl., Helbing und Lichtenhahn, Basel 1970, DNB456159622; Kurzfassung 1978, ISBN 3-7190-0736-7.