Die International Psychoanalytic University Berlin (deutsch: Internationale Psychoanalytische Universität Berlin, kurz IPU) ist eine 2009 gegründete staatlich anerkannte und vom Wissenschaftsrat 2014 akkreditierte private Hochschule. Träger ist die International Psychoanalytic University Berlin gGmbH, deren alleinige Gesellschafterin derzeit die Stiftung zur Förderung der universitären Psychoanalyse ist. Diese Stiftung wurde von Christa Rohde-Dachser ebenfalls 2009 gegründet. Ehren- und Gründungspräsident der IPU ist Jürgen Körner.
Christa Rohde-Dachser folgte 1987 in Frankfurt am Main auf den Lehrstuhl, der ursprünglich für Alexander Mitscherlich eingerichtet wurde. Die akademische Psychologie favorisiert inzwischen die naturwissenschaftlich geprägte Verhaltenstherapie, Psychoanalyse wurde vom Prüfungsfach zum Wahlfach zurückgestuft. Nach 13 Jahren akademischem Lehrbetrieb an der Frankfurter Universität und als Zeugin der Umwidmung zahlreicher Lehrstühle stellte sie die Frage: „Wo soll der Nachwuchs an psychoanalytischen Professoren und Forschern da herkommen?“[3] Mit 6 Millionen Euro Stiftungskapital aus ihrem Privatvermögen gründete sie gemeinsam mit Jürgen Körner als Gründungspräsidenten[4] 2009 eine private Hochschule für Psychoanalyse. Manuela Heim berichtete in der Berliner taz darüber.[3]
Mit dem Erbe des Vaters rief Rohde-Dachser zunächst die Stiftung zur Förderung der universitären Psychoanalyse ins Leben,[5] welche Gesellschafterin des Trägers der IPU, der International Psychoanalytic University Berlin gGmbH wurde.[6] Hintergrund war eine universitäre Entwicklung, die auch dazu geführt hatte, dass psychologische Lehrstühle über viele Jahre hinweg immer seltener mit Psychoanalytikern besetzt wurden.[7] Rohde-Dachser beschreibt das Ziel der Gründung der IPU wie folgt:
„Damit sollte der Psychoanalyse innerhalb der deutschen Universitätslandschaft, in der sie durch die naturwissenschaftliche Orientierung der akademischen Psychologie in den letzten Jahrzehnten immer mehr zurückgedrängt wurde, wieder ein akademischer Standort geschaffen werden, in dem Lehre und Forschung nicht nur auf psychologischer, sondern auch auf psychoanalytischer Grundlage wieder wachsen und gedeihen konnten.“
Die IPU hat sich über die Jahre entwickelt, inhaltlich, aber auch quantitativ, was sich am Ausbau der Curricula und an der wachsenden Zahl der Studierenden und der Mitarbeitenden zeigt. Im Wintersemester 2020/21 gab es 777 Studierende (gegenüber 583 Studierenden im Wintersemester 2015/16[9]) und 105 wissenschaftliche Mitarbeiter. Um auch weniger begüterten Interessenten die Möglichkeit eines Studiums zu eröffnen, wurde ein Finanzierungsmodell entwickelt, das unter dem Begriff umgekehrter Generationenvertrag angeboten wird. Den Teilnehmern an diesem Programm wird das Studium finanziert und „im Gegenzug“ zahlen sie einen „prozentualen Anteil“ für die „Finanzierung weiterer Studienplätze“ zurück, sobald sie „über ein Mindesteinkommen verfügen“.[10]
Akkreditierungen
Nach ihrer zunächst bis zum 30. April 2015 befristeten staatlichen Anerkennung wurde die IPU Berlin vom Wissenschaftsrat mit seiner Entscheidung vom 24. Oktober 2014 institutionell akkreditiert, erhielt jedoch einige, binnen Jahresfrist zu erfüllende Auflagen.[11] Überdies gab der Wissenschaftsrat Empfehlungen. Ein eigenständiges Promotionsrecht wurde nicht zuerkannt und bis zur Reakkreditierung eine stärkere Methodenpluralität in Lehre und Forschung gefordert.
Im April 2020 kam es zu einer erfolgreichen Reakkreditierung.[12] Die IPU berichtete darüber.[13] Das eigenständige Promotionsrecht wurde allerdings erneut verweigert, weil die IPU „derzeit nicht über die strukturellen Voraussetzungen für die Ausübung des Promotionsrechts“ verfüge. Die Entscheidung zur Reakkreditierung verband der Wissenschaftsrat „mit Auflagen zur Governance sowie zur Sicherstellung der hauptberuflichen professoralen Lehre“. Es wurden „verschiedene Empfehlungen insbesondere zur Stärkung der Forschung“ gegeben.[14]
Die IPU wurde vom Berliner Senat als Hochschule in freier Trägerschaft (private Hochschule) staatlich anerkannt.[15] Laut Eigenangabe erfolgte dies als Hochschule mit Universitätsstatus. Damit sind die zu erwerbenden Abschlüsse aller Studiengänge rechtlich denen jeder anderen deutschen Hochschule gleichgestellt. Die Curricula des Bachelor- und des Masterstudiengangs „Psychologie“ stellen bei konsekutiver Absolvierung die allgemein anerkannten Voraussetzungen für eine anschließende Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten ebenso wie eine einschlägige wissenschaftliche Befähigung sicher.[13]
Zertifiziert wurden Bachelor- wie Masterstudiengang durch die vom deutschen Akkreditierungsrat zertifizierte Akkreditierungsagentur ACQUIN.[16]
Studienangebot
An der IPU wird das Fach Psychologie mit Ausbildungsinhalten angeboten, die eine geisteswissenschaftliche Orientierung der psychoanalytischen Psychologie mit der naturwissenschaftlichen Ausrichtung der akademischen Psychologie integrierend verknüpft. Aktuell (mit Stand Sommersemester 2018) werden ein Bachelor of Science Studiengang für Psychologie und fünf Master of Arts-Programme angeboten. Wie jede deutsche Hochschule kann die IPU eigenständig darüber entscheiden, welchen akademischen Grad sie vergibt.
Ein Master-of-Arts-Programm in Psychologie stellt innerhalb der deutschen Hochschullandschaft ein Alleinstellungsmerkmal dar, ansonsten werden im Fach Psychologie die akademischen Grade Bachelor bzw. Master of Science vergeben. Dadurch wird die geisteswissenschaftliche Verortung der psychoanalytischen Psychologie von der IPU besonders betont. Anders stellt sich die Situation in den USA dar, wo Studienprogramme in Psychologie häufig im Rahmen von Bachelor of Arts bzw. Master of Arts-Programmen angeboten werden.[17] Die IPU stellte zum Wintersemester 2017/2018 den Bachelor of Arts Psychologie auf den Bachelor of Science Psychologie um, da sie den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie folgte, welche neuerdings den Bachelor of Science in Psychologie als Zugangsvoraussetzung für ein konsekutives Master-Programm empfiehlt.
Die Studienbewerber müssen sich einem zweistufigen Auswahlverfahren durch die Hochschule stellen: Neben der schriftlichen Bewerbung findet ein Auswahlgespräch statt. Die IPU Berlin erhebt keinen Numerus clausus (NC) auf die Studiengänge.[25]
In Kooperation mit der Humboldt-Universität (Institut für Rehabilitationswissenschaften) bietet die IPU das Promotionsbegleitprogramm Postgraduate Study Programme to Accompany Individual Doctoral Dissertations (kurz: PSAID) an, das von Michael B. Buchholz geleitet wird.[26] Der Wissenschaftsrat sieht „aufgrund struktureller Defizite im Personalbereich mit Auswirkungen auf die Forschungsleistungen sowie nicht hinreichend konkretisierter Planungen zur künftigen Nachwuchsförderung derzeit keine hinreichende Grundlage für die eigenständige Ausübung des Promotionsrechts“.[14]
Ranking
Der Master of Arts Psychologie belegte bei seiner erstmaligen Teilnahme am CHE-Masterranking (2016) auf Anhieb den ersten Platz vor der Universität Mannheim als bester staatlicher Universität. Die IPU Berlin liegt in 12 der insgesamt 13 untersuchten Kategorien in der Spitzengruppe.[27][28]
Der Akademische Senat (11 stimmberechtigte Personen) und ein Wissenschaftlicher Beirat (8 externe Professoren) unterstützen die Leitung. Außerdem existiert ein 25-köpfiges International Advisory Board.[31]
Nach Jürgen Körner (2009 bis 2012) folgten Martin Teising (2012 bis 2018), Ilka Quindeau (2018 bis 2020), Lilli Gast (2020 bis 2021 als Interimspräsidentin) und Jan-Hendrik Olbertz (seit 2021) als Präsidenten.
Die IPU unterhält seit November 2011 eine von Heinrich Deserno gegründete psychotherapeutische Hochschulambulanz, die nach §117 SGB V ermächtigt ist, die dort erbrachten Leistungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen.[32] Die Ambulanzleitung obliegt Lenka Staun, die Leitung der Psychoseambulanz wird von Dorothea von Haebler wahrgenommen (Stand Juni 2022). Die klinische Arbeit ist in die Lehre und Forschung der IPU eingebettet.
Die Hochschulambulanz betreibt eine vormals sogenannte Forschungswerkstatt mit jährlich organisierten Veranstaltungen, die jeweils spezifische Themen aus der Arbeit mit den Patienten vorstellen. Sie nahm ihre Arbeit im Jahr 2012 auf mit der Debatte um die Diagnostik der Struktur. Danach befasste sie sich mit dem Erstgespräch (2013), mit qualitativer Sozialforschung in der Psychoanalyse (2014), mit Psychotherapie im dritten Lebensalter (2015), mit Angst und Persönlichkeit (2016), mit dem Traumabegriff (2017) und der Debatte über Nebenwirkungen von Psychotherapie (2018). Die Forschungsprojekte werden diagnostisch begleitet und durch die IPU-Ethikkommission begutachtet.[34]
Netzwerk
Unter der Bezeichnung Social Trauma wurde 2012 unter Beteiligung der IPU ein internationales Studien- und Forschungsnetzwerk mit Partnerhochschulen aus der Balkanregion und den anliegenden Staaten geschaffen, das sich „die Beleuchtung des vielschichtigen Themenkomplexes sozialer Traumata aus einer überregionalen und interdisziplinären Perspektive zum Ziel“ setzte.[35] Seit 2013 wird das Netzwerk mit Fördermitteln des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) finanziell unterstützt.
Bibliothek
Die Bibliothek der IPU wird seit 2010 aufgebaut und kontinuierlich durch Neuerwerbungen und Schenkungen erweitert, ist allerdings nicht der deutschen Fernleihe angeschlossen. Neben ihrer Präsenzbibliothek,[36] werden elektronischer Ressourcen[37] zur Verfügung gestellt.
Darüber hinaus baut die IPU kontinuierlich COTIPUB auf (kurz für: The Collection Of The International Psychoanalytic University Berlin), ein „open-source Projekt, welches die psychoanalytische Bewegung anhand ihrer Publikationsgeschichte nachzeichnet und sämtliche aufgefundene Monographien, Zeitschriften und Jahrbände aller Länder und Sprachen in texterkannten Faksimiles zur Durchsicht und zum Download zur Verfügung stellt“.[38] Bei Internet Archive finden sich inzwischen mehr als 1.600 Standardwerke der Psychoanalyse (Stand Juni 2022), eingescannt in guter Qualität und der Öffentlichkeit allgemein zugänglich.[39]
Online-Präsenzen
Seit Juni 2016 betreibt die IPU einen eigenen YouTube-Kanal, auf dem sie über die Universität oder beispielsweise den Masterstudiengang Leadership und Beratung informiert, psychoanalytische Podcasts von je 50 Minuten Dauer und Videos von Vorträgen und Gesprächen zur Verfügung stellt, über interdisziplinäre Psychosentherapie berichtet und Archivmaterial hochlädt.[40]
Daneben werden seit November 2018 Vorträge, Interviews und Features aus der IPU bei Podigee veröffentlicht.[41]
Für sämtliche Online-Präsenzen, zu denen auch eine mit der offiziellen IPU-Facebook-Seite verbundene Facebook-Gruppe gehört, hat die IPU ein Regelwerk mit Community-Richtlinien veröffentlicht.[42]
IPU-Förderkreis
Der Verein der Freunde und Förderer der IPU e. V. ist als gemeinnützig anerkannt und unterstützt Forschung und Ausbildung an der IPU. Ferner bildet er eine Plattform zur interdisziplinären Vernetzung zwischen der IPU und unterschiedlichen Verbänden, Unternehmen und der Politik.[43] Neben natürlichen Personen können auch Organisationen Mitglied werden. Der Vorstand des Vereins besteht aus den Mitgliedern des erweiterten Vorstandes – mit Stand Juni 2022 sind dies Johanna Jung, Constanze Oth und Alexander Degel – und den jeweils kooptierten Mitgliedern des erweiterten Vorstandes – mit Stand Juni 2022 ist dies Christa Marahrens-Schürg.
Lilli Gast: Freud’s Utopia revisited. The International Psychoanalytic University Berlin. In: International Forum of Psychoanalysis. Band27, Nr.1, 2018, ISSN0803-706X, S.35–39, doi:10.1080/0803706X.2016.1141234 (englisch, ipu-berlin.de [PDF; 321kB; abgerufen am 6. Juni 2022]).
↑Martin Teising: IPU News. Hohe Auszeichnung für Frau Prof. Rohde-Dachser. In: IPU. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 25. August 2018; abgerufen am 5. Juni 2022: „Ziel der Stiftung ist es, die in der universitären Psychologie in den zurückliegenden Jahren zugunsten verhaltenswissenschaftlicher Ansätze vernachlässigte Psychoanalyse mit ihrer Konzentration auf unbewusste Vorgänge wieder zur Geltung zu bringen.“
↑Edith Kresta: Dumme Vorurteile über Freud. In: taz. 12. Januar 2016, abgerufen am 23. Februar 2017: „Das Paradox fängt an den Universitäten an: Es wird fast nur Verhaltenstherapie gelehrt, obwohl beide Verfahrensweisen, die Verhaltenstherapie und die Psychoanalyse, in Deutschland von den Krankenkassen anerkannt sind.“