International Fusion Materials Irradiation Facility
Die International Fusion Materials Irradiation Facility (IFMIF)[1][2]
ist eine seit den 1990er Jahren geplante Forschungseinrichtung, die Materialien auf ihre Eignung für den Einsatz in potenziellen Fusionsreaktoren testen soll. In einem Fusionsreaktor treffen sehr viele Neutronen mit sehr hoher Energie auf das Wandmaterial. Um die Schädigung durch diese Belastung untersuchen und mit Berechnungen vergleichen zu können, soll IFMIF mit einem Teilchenbeschleuniger einen hohen Neutronenfluss entsprechender Teilchenenergie erzeugen. Es handelt sich um ein gemeinsames Projekt der EU, Japans, Russlands und der USA unter Federführung der Internationalen Atomenergie-Organisation.
Das Projekt befindet sich zurzeit (2022) in der sogenannten Engineering Validation and Engineering Design Activities (EVEDA)-Phase.[3][4] In Bezug auf den Standort dieser internationalen Anlage bewertete die europäische Agentur Fusion for Energy (F4E) im Dezember 2017 den gemeinsamen Vorschlag Spaniens und Kroatiens, IFMIF-DONES (DEMO Oriented NEutron Source) in Granada zu errichten, positiv.[5]
Einige Strukturteile des Reaktors müssen – neben hoher Wärmebelastung – einer hohen Neutronenbelastung für genügend lange Zeit (z. B. zwei Jahre) standhalten. Handelt es sich beispielsweise um Stahl, liegt der Versetzungsschaden, der sich in dieser Standzeit ansammelt, in der „ersten Wand“, also den an das Fusionsplasma grenzenden Blanket-Teilen, in der Größenordnung von 50 dpa (engl. displacements per atom, Verlagerungen pro Atom). Eine ähnlich wichtige Schadensart ist die Gasentwicklung (Wasserstoff und Helium) durch Neutronenreaktionen im Material (siehe Reaktorwerkstoffe).
Bisher können diese Belastungen experimentell nur unvollkommen simuliert werden. Neutronenbestrahlungen in Hochfluss-Forschungsreaktoren nützen nur begrenzt, weil das Energiespektrum der Neutronen nicht so hoch hinauf reicht wie im Fusionsreaktor. Experimente mit Selbstimplantation – dabei werden Ionen des Zielmaterials mit hoher Energie auf das gleiche Material geschossen, zum Beispiel Wolframionen auf Wolfram – ergeben Versetzungen, aber nicht die gleichzeitige Gasentwicklung. Mehrere Studien haben ergeben, dass keiner der bisher üblichen Neutronenquellen-Typen sich eignet.[6][7]
Werkstoffe, deren Festigkeitseigenschaften nach der genannten Schädigung noch ausreichen, lassen sich jedoch nicht ohne Bestrahlungsversuche unter realistischen Bedingungen entwickeln. Auch ein Versuchs-Fusionsreaktor wie ITER bietet diese Bedingungen nicht, denn er wird nicht im Dauerbetrieb, sondern in relativ kurzen Experimentierphasen mit dazwischenliegenden Umbaupausen laufen. Der zu entwickelnde Strukturwerkstoff soll aber für den Bau des Prototypkraftwerks DEMO, also am Ende der Nutzungszeit von ITER, schon bereitstehen.
Konzept von IFMIF
Neutronenquelle
Um mit heute existierender Technologie eine geeignete Neutronenquelle zu schaffen, soll IFMIF Neutronen nutzen, die von schnellen Deuteronen in Lithium ausgelöst werden. Zwei parallel nebeneinander stehende Hochstrom-Linearbeschleuniger liefern je einen Deuteronenstrahl von 40 MeV und der hohen Stromstärke 125 Milliampere; die beiden Strahlen überlappen sich auf dem Target, einer 2,5 cm dicken Schicht von strömendem, flüssigem Lithium. In dieser Schicht werden die Deuteronen vollständig gestoppt. Das Lithium wird in geschlossenem Kreislauf durch einen Kühler gepumpt, um die unvermeidlich entstehende große Wärmeleistung abzuführen. Bei der hohen Deuteronenenergie werden die Neutronen hauptsächlich durch die (d,n)-Strippingreaktion freigesetzt. Sie treten daher nicht isotrop, sondern bevorzugt nach vorne aus dem Target aus. Dort befindet sich die Testzelle mit den Bestrahlungsproben.
Ein Prototyp des Hochstrombeschleunigers in Rokkasho (Japan) wird zurzeit (2022) in Betrieb genommen.[8][9][10]
Das in einem Zyklotronexperiment gemessene[11] Neutronen-Energiespektrum weicht in der Form deutlich vom Fusionsreaktorspektrum ab, ist aber hinsichtlich der Materialschädigung gut damit vergleichbar.[12]
Testzelle
Die Testzelle unterteilt sich in eine Hochflusszone von 500 cm3 dicht am Target, eine dahinter liegende größere Mittelfluss- und eine noch größere Niedrigflusszone. In der Hochflusszone werden in Eisenmaterialien nach Berechnungen 20 bis 55 dpa (ortsabhängig) pro Bestrahlungsjahr erreicht.[12] Sie soll miniaturisierte Strukturwerkstoffproben aufnehmen. In den Mittel- und Niedrigflusszonen können beispielsweise Neutronenvervielfacher- und Brutmaterialien (siehe Blanket) getestet werden. Da monate- und jahrelange Bestrahlungen nötig sind, braucht die Testzelle ein leistungsfähiges Kühlsystem, das aber auch schnell auf Heizen umgeschaltet werden kann, um bei unvorhergesehen Ausfällen der Beschleuniger die Temperatur der Proben konstant halten zu können.
Die zu prüfenden Strukturmaterialien sind unter anderem die in Entwicklung befindlichen niedrigaktivierenden Stähle,[13][14] aber z. B. auch CFC (Carbon Fiber Carbon Composite, kohlenstofffaserverstärkter Kohlenstoff), SiC/SiC (siliziumkarbidfaserverstärktes Siliziumkarbid) und Wolfram als Material für Divertorplatten.
Literatur
Zum Beschleuniger:
A. Mosnier, P. Y. Beauvais, B. Branas et al.: The accelerator prototype of the IFMIF/EVEDA project. Proceedings of the International Particle Accelerator Conference, Kyoto, Japan, 2010, S. 588–590.
Zur Testzelle:
A. Möslang, V. Heinzel, H. Matsui et al.: The IFMIF test facilities design. Fusion Engineering and Design Band 81 (2006) Seite 863–871
Zum Lithiumtarget:
H. Nakamura, P. Agostini, K. Ara et al.: Status of engineering design of liquid lithium target in IFMIF-EVEDA. Fusion Engineering and Design Band 84 (2009) Seite 252–258
Einzelnachweise
↑J. Knaster, F. Arbeiter, P. Cara et al.: IFMIF, the European-Japanese efforts under the Broader Approach agreement towards a Li(d,xn) neutron source: Current staus and future options. Nuclear Materials and Energy, Band 9 (2016) Seite 46–54
↑J. Knaster, A. Ibarra, J. Abal et al.: The accomplishment of the engineering design acticities of IFMIF/EVEDA: the European-Japanese project towards a Li(d,xn) fusion relevent neutron source. Nuclear Fusion Band 55 (2015), 08603 [1]
↑A. Ibarra, R. Heidinger, P. Barabaschi, F. Mota, A. Mosnier, P. Cara, F. S. Nitti: A Stepped Approach from IFMIF/EVEDA Toward IFMIF. Fusion Science and Technology Band 66 (2017) S. 252-259, doi:10.13182/FST13-778
↑S. Zinkle and A. Moeslang, Evaluation of irradiation facility options for fusion materials research and development, Fusion Engineering and Design 88 (2013) 472-482
↑P. Vladimirov and A. Moeslang, Comparison of material irradiation conditions for fusion, spallation, stripping, and fission neutron sources, Journal of Nuclear Materials 33 (2004) 329-340
↑U. v. Möllendorff, F. Maekawa, H. Giese, H. Feuerstein: A nuclear simulation experiment for the International Fusion Materials Irradiation Facility (IFMIF). Forschungszentrum Karlsruhe, Bericht FZKA 6764 (2002)
↑ abE. Daum, P.P.H. Wilson, U. Fischer und K. Ehrlich: Characterization of the irradiation parameters in the IFMIF high flux test region. Journal of Nuclear Materials Bd. 258–263, S. 413–420 (1998)
↑A.A.F. Tavassoli, E. Diegele, R. Lindau, N. Luzginova, H. Tanigawa: Current status and recent research achievements in ferritic/martensitic steels. Journal of Nuclear Materials Band 455 (2014) Seite 269–276