Horst Dreier studierte von 1975 bis 1981 Rechtswissenschaften an der Universität Hannover. Anschließend wechselte er an die Universität Würzburg, wo er als Assistent von Hasso Hofmann arbeitete und bei diesem 1985 mit einer Arbeit über den Rechtstheoretiker Hans Kelsen zum Dr. jur. promoviert wurde. Ebenfalls bei Hofmann folgte 1989 die Habilitation für die Fächer Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Verwaltungswissenschaften mit der Arbeit Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat. Von 1989 bis 1991 war Dreier Vertreter von Lehrstühlen in Würzburg und Heidelberg, 1990 folgte die Berufung auf die C3-Professur „Öffentliches Recht“ an der Universität Heidelberg. Von 1991 bis 1995 war Dreier Inhaber des Lehrstuhls für „Öffentliches Recht und Verwaltungslehre“ am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg, ab 1995 war er Ordinarius für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Am 30. September 2020 ging er im Alter von 66 Jahren in den Ruhestand.[1] Dreier ist Mitglied der SPD.[2]
Im Januar 2008 wurde Dreier als Kandidat der SPD für die Nachfolge Winfried Hassemers als Richter am Bundesverfassungsgericht nominiert. Als Nachfolger Hassemers wäre er bei erfolgreicher Wahl wahrscheinlich auch Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts geworden.[2] Da Dreier vorgeworfen wurde, in seiner Kommentierung von Art. 1 des Grundgesetzes (GG)[3] in bestimmten Extremfällen die Rechtmäßigkeit von Folter für diskutabel zu halten,[4] wurde Kritik an seiner Nominierung geübt.[5][6][7]
In seiner Kommentierung zu Art. 1 GG[8] führt Dreier zunächst aus, dass die Garantie des Art. 1 GG jeder Abwägung mit anderen Werten von Verfassungsrang entzogen sei (Rn. 132) und dies nach herrschender Meinung auch für die Situation gelte, in der polizeiliche Folter des mutmaßlichen Täters zum Schutz des Lebens eines entführten Opfers eingesetzt werde. In der folgenden Rn. 133 führt Dreier aus, dass dieser absolute Vorrang der Menschenwürde nicht weiterhelfe, wenn sie auf beiden Seiten ins Feld geführt werden könne, und sich staatliche Organe mit zwei Rechtspflichten konfrontiert sehen könnten, die beide aus Art. 1 GG folgten. Für diesen Fall gibt Dreier keine „Lösung“, sondern sagt im folgenden Satz nur, dass bei der Beurteilung solcher Fälle „der Rechtsgedanke der rechtfertigenden Pflichtenkollision nicht von vornherein ausgeschlossen sein“ dürfte. Dabei bezieht er sich auf einen Aufsatz seines Schülers, des Münsteraner Rechtswissenschaftlers Fabian Wittreck, in dem dieser „präventivpolizeiliche Folter“ zum Schutz der Menschenwürde von Entführungsopfern befürwortet.[9] Darüber hinaus wurde Dreier wegen seiner Ansichten zum Embryonenschutz im Rahmen der Stammzellforschung kritisiert.[10]
Daraufhin kündigte die CDU an, Dreiers Wahl im Bundesrat zu blockieren.[11] Trotzdem erhielt Dreier aber auch Rückendeckung aus verschiedenen Lagern.[12][13][14] Die für den 15. Februar 2008 im Bundesrat geplante Wahl wurde verschoben. Am 17. April 2008 zog die SPD Dreier als Kandidaten zurück und benannte am Tag darauf stattdessen den Freiburger Juristen Andreas Voßkuhle.[15]
In der deutschen Rezeptionsgeschichte der Theorien von Hans Kelsen komme Dreier „als praktisch dem ersten deutschen Nachkriegsjuristen, der als Kelsenianer bezeichnet werden kann […] eine eminente Rolle“ zu, schrieb der ungarische Staatsrechtler Péter Techet.[16]
Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, Nomos, Baden-Baden 1986 (Dissertation), ISBN 3-7890-1211-4.
Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat. Genese, aktuelle Bedeutung und funktionelle Grenzen eines Bauprinzips der Exekutive, Mohr Siebeck, Tübingen 1991.
Dimensionen der Grundrechte, Hennies u. Zinkeisen, Hannover 1993.
Grundrechtsschutz durch Landesverfassungsgerichte, de Gruyter, Berlin 2000.
Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, de Gruyter, Berlin 2001.
(mit Wolfgang Huber) Bioethik und Menschenwürde. Ethik & Gesellschaft, Lit Verlag, Münster 2002.
(mit Peter Badura) (Hrsg.) Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Mohr Siebeck, Tübingen 2001.
(mit Hans Forkel und Klaus Laubenthal) (Hrsg.) Raum und Recht. Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, Duncker u. Humblot, Berlin 2002.
Säkularisierung und Sakralität. Zum Selbstverständnis des modernen Verfassungsstaates. Mit Kommentaren von Christian Hillgruber und Uwe Volkmann. Mohr Siebeck, Tübingen 2013, ISBN 978-3-16-152962-7.
Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates. Mohr Siebeck, Tübingen 2014, ISBN 978-3-16-153486-7.
Staatsrecht in Demokratie und Diktatur. Studien zur Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus. Mohr Siebeck, Tübingen 2016, ISBN 978-3-16-154764-5.
Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, C.H. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-71871-7.
Außerdem ist er Mitherausgeber der Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung und der Zeitschrift für Gesetzgebung. Vierteljahresschrift für staatliche und kommunale Rechtsetzung sowie der Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie.
Horst Dreier: Selbstentmachtung des Bundestags. Vorlesung zu verfassungsrechtlichen Fragen der Corona-Pandemie-Bekämpfung, gehalten beim Symposium „Infektionen und Gesellschaft“ am 30. Oktober 2020 in Hamburg; Audio bei Deutschlandfunk Nova, Video bei Akademie der Wissenschaften in Hamburg.
↑Thorsten Jungholt: Horst Dreier und seine Version des Rufmordes. Fast-Verfassungsrichter. In: Welt Online. Axel Springer AG, 18. Juli 2008, abgerufen am 3. November 2011: „Eigentlich sollte der Jurist Horst Dreier Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts werden. Doch weil seine Ansichten zum Thema Stammzellen der katholischen Kirche nicht passten, musste Dreier weichen. Mit Welt Online sprach er über die Kampagne von CDU und katholischer Kirche, die seinen Ruf beschädigte.“
↑Peter Techet: Rezension zu: Horst Dreier: Kelsen im Kontext. Beiträge zum Werk Hans Kelsens und geistesverwandter Autoren. Tübingen 2019, in: H-Soz-Kult, 28. August 2020.