Der 1884 in Zürich geborene Hermann Rorschach wuchs in Schaffhausen auf und besuchte dort die Kantonsschule Schaffhausen[1]. Er wollte anfänglich Künstler werden. Schliesslich studierte er in Zürich doch Medizin mit dem Ziel, Psychiater zu werden. Er hörte u. a. Vorlesungen bei Eugen Bleuler zur allgemeinen und speziellen Psychiatrie sowie zur psychiatrischen Klinik und bei Carl Gustav Jung zur Psychopathologie der Hysterie. Nach Semestern in Zürich, Bern und Berlin schloss Rorschach sein Studium 1909 mit dem medizinischen Staatsexamen ab. Ein Jahr später heiratete er seine russische Studienkollegin Olga Stempelin, mit der er zwei Kinder hatte. Der Versuch, sich 1913 in Russland eine Existenz als Ärztepaar aufzubauen, scheiterte. Danach arbeitete er u. a. an den psychiatrischen Anstalten in Münsterlingen, Bern (Waldau) und Herisau.[2]
Viele Jahre lang galt sein hauptsächliches Interesse der Psychoanalyse. Er wurde zum Befürworter der damals neuen psychoanalytischen Technik in medizinischen Kreisen der Schweiz. 1919 wurde er zum Vizepräsidenten der Schweizer Gesellschaft für Psychoanalyse ernannt. Sein Werk Psychodiagnostik erschien 1921.
Rorschach entdeckte 1917 die Arbeit von Szymon Hens, der die Phantasie seiner Subjekte studierte und dabei Tintenklecks-Karten verwendete. Ein Jahr später begann er seine eigenen Experimente mit 15 zufälligen Tintenklecksen. Seiner Ansicht nach ermöglichten es die subjektiven Antworten, Rückschlüsse auf Wahrnehmungsvermögen, Intelligenz und emotionale Charakteristika der untersuchten Personen zu ziehen.
Der Rorschachtest basiert auf einer von Rorschach behaupteten menschlichen Neigung, die Interpretationen und Gefühle auf mehrdeutige Anreize zu projizieren, in diesem Falle Tintenkleckse. Geübte Beobachter sind danach angeblich in der Lage, tiefere persönliche Charakterzüge und Impulse der Testpersonen genau festzulegen. Rorschach veröffentlichte die Resultate seiner Studien an 300 mentalen Patienten und 100 „normalen“ Testpersonen in Psychodiagnostik. Seine Methode wird seitdem als Werkzeug für die psychologische Bewertung und Diagnose verwendet.
Der Rorschachtest ist umstritten. Seine Befürworter sehen in ihm ein qualitativ hochwertiges Testverfahren, das eine tiefgehende Einschätzung der Gesamtpersönlichkeit erlaubt. Seine Kritiker halten dem Test die mangelnde Reliabilität entgegen.
Trivia
In Schaffhausen, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte, wurde nach ihm die Hermann-Rorschach-Strasse benannt.
Sein Familienname diente einem der Helden in der Graphic Novel Watchmen als Vorlage. Dieser wird im Lauf der Handlung auch einem Rorschach-Test unterzogen.
Schriften
Artikel
Über „Reflexhalluzinationen“ und verwandte Erscheinungen, Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 13, 1912, S. 357–400
Reflexhalluzinationen und Symbolik, Zentralblatt für Psychoanalyse 3, 1912, S. 121–128
Pferdediebstahl im Dämmerzustand, Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik 49, 1912, S. 175–180
Ein Beispiel von mißlungener Sublimierung und ein Fall von Namenvergessen, Zentralblatt für Psychoanalyse 2, 1912, S. 403–406
Zur Pathologie und Operabilität der Tumoren der Zirbeldrüse, Beiträge zur klinischen Chirurgie 83, 1913, S. 451–474
Über die Wahl des Freundes beim Neurotiker, Zentralblatt für Psychoanalyse und Psychotherapie 3, 1913, S. 524–527
Analyse einer schizophrenen Zeichnung, Zentralblatt für Psychoanalyse und Psychotherapie 4, 1913, S. 53–58
Analytische Bemerkungen über das Gemälde eines Schizophrenen, Zentralblatt für Psychoanalyse und Psychotherapie 3, 1913, S. 270–272
Assoziationsexperiment, freies Assoziieren und Hypnose im Dienst der Hebung einer Amnesie, Correspondenz-Blatt für Schweizer Ärzte 47, 1917, S. 898–905
Einiges über schweizerische Sekten und Sektengründer, Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 1, 1917, S. 254–258
Weiteres über schweizerische Sektenbildungen, Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 2, 1919, S. 385–388
Ein Mord aus Aberglauben, Schweizer Volkskunde 10, 1920, S. 39–43
Über ein wahrnehmungsdiagnostisches Experiment, Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 6, 1920, S. 360–361
Monographie
Über Reflexhalluzinationen und verwandte Erscheinungen. Aus der kantonalen Irrenheilanstalt Münsterlingen (Direktor: Dr. U. Brauchli). Julius Springer, Berlin 1912, OCLC604386455 (Dissertation, Universität Zürich, medizinische Fakultät 1912/1913).
Psychodiagnostik : Methodik und Ergebnisse eines wahrnehmungsdiagnostischen Experiments; (Deutenlassen von Zufallsformen); mit den zugehörigen Tests bestehend aus zehn mehrfarbigen Tafeln Textbd., Ernst Bircher, Bern / Leipzig 1921, OCLC831762276.
Nachlass
Emil Oberholzer (Hrsg.): Zur Auswertung des Formdeutversuchs für die Psychoanalyse, Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 82, 1923, S. 240–274
Zwei schweizerische Sektenstifter (Binggeli und Unternährer), Imago 13 (Sonderheft), 1927, S. 395–441
Iris Blum, Peter Witschi (Hrsg.): Olga und Hermann Rorschach. Ein ungewöhnliches Psychiater-Ehepaar (= Das Land Appenzell 37). Appenzeller Verlag, Herisau 2008, ISBN 978-3-85882-472-1.
Marcel Müller-Wieland: Hermann Rorschach. In. Schaffhauser Beiträge zur Geschichte. Biographien Band II. 34. Jg. 1957, S. 344–353 (PDF; 378 kB)
Manfred Reitz: Die Psychologie der Kleckse. In: Die pharmazeutische Industrie. 70, Nr. 11, 2008, ISSN0031-711X, S. 1298–1300.
Damion Searls: Im Auge des Betrachters. Hermann Rorschach und sein bahnbrechender Test, aus dem Amerikanischen übersetzt von Harald Stadler, btb, München 2019, ISBN 978-3-442-75424-3.
Cornelia Thaten: Die Thurgauische Irrenanstalt Münsterlingen zur Zeit von Dr. med. Hermann Rorschach von 1909–1913. Institut für Pathologie des Kantons Thurgau, Münsterlingen, Kantonale Psychiatrische Klinik Münsterlingen, Zürich 2000, OCLC604150604 (Dissertation Universität Zürich, Medizinische Fakultät, 2000, 140 Seiten).