Henri Jozef Machiel Nouwen (* 24. Januar1932 in Nijkerk, Provinz Gelderland; † 21. September1996 in Hilversum) war ein niederländischer katholischer Theologe, Priester, Psychologe und bedeutender geistlicher Schriftsteller, der vor allem an der Yale University und der Harvard University in den USA wirkte und zehn Jahre in einer christlichen Lebensgemeinschaft in Kanada lebte. Er veröffentlichte etwa 40 Bücher und Hunderte von Artikeln zu spirituellen Themen. Seine Werke wurden insgesamt über 7 Millionen Mal verkauft, in über 30 Sprachen übersetzt und von einem breiten Publikum gelesen.[1]
Nouwens Vater war der Rechtsanwalt für Steuerfragen Laurent Nouwen, seine Mutter Maria Ramselaar arbeitete als Buchhalterin im Familienunternehmen. Henri war das älteste von vier Kindern. Bereits als Kind wollte er Priester werden. Seine Kindheit war mitgeprägt von der deutschen Besatzung der Niederlande von 1940 bis 1945. Nach dem Schulabschluss in Den Haag 1950 nahm Nouwens 1951 das Studium der Theologie und Philosophie an den Priesterseminaren in Apeldoorn und Rijsenburg bei Utrecht auf. 1957 empfing er dort die Priesterweihe.
Nach seiner Rückkehr in die Niederlande war Nouwen am Pastoralinstitut in Amsterdam tätig und promovierte an der Nimweger Fakultät in Theologie. In Utrecht lehrte er von 1968 bis 1970 Pastoralpsychologie und Spiritualität. Während dieser Zeit erschien sein erstes Buch Mit offenen Händen. Über das Beten. Von 1971 bis 1981 forschte und lehrte er schwerpunktmäßig an der Yale Divinity School der Yale-Universität in New Haven in Connecticut auf den Gebieten Mystik, Spiritualität, praktische Pastoral und Pastoralpsychologie und veröffentlichte drei weitere Bücher.
1974 zog Nouwen sich für sieben Monate in die Abtei Genesee der Trappisten zurück. Von den in dieser Zeit gewonnenen Eindrücken und Einsichten berichtete er in dem Buch Ich hörte auf die Stille.
1978 war Nouwen fünf Monate als Gastdozent am Päpstlichen Nordamerika-Kolleg in Rom tätig, wo auch sein Buch Gottes Clown sein entstand. Im selben Jahr starb seine Mutter, zu der er eine enge Beziehung hatte und die ihn in seiner spirituellen Entwicklung beeinflusst hatte. Ihren Tod verarbeitete er in dem Buch Sterben, um zu leben.
1985 erhielt Nouwen den Thomas Merton Award für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Neue Eindrücke gewann er 1983 durch den Besuch der 1964 gegründeten Arche des Kanadiers Jean Vanier, einer Lebensgemeinschaft von Menschen mit und ohne Behinderung in Frankreich. Diese tiefgehende Erfahrung veranlasste ihn im Sommer 1985, die Harvard University zu verlassen und ein Jahr in der Arche in Trosly-Breuil zu leben. Mitte 1986 besuchte er das Haus der verstorbenen französischen Mystikerin Marthe Robin in Châteauneuf-de-Galaure im Département Drôme. Ende 1986 fand er in der Arche-Gemeinschaft Daybreak in Richmond Hill bei Toronto in Kanada ein bleibendes Zuhause, wo er mit sechs behinderten Personen zusammen wohnte und als geistlicher Leiter, Seelsorger und zugleich Lernender bis zu seinem unerwarteten Tod 1996 wirkte.[3]
1996 reiste Nouwen nach St. Petersburg, um einen Film über Rembrandts Gemälde Die Rückkehr des verlorenen Sohnes zu drehen. Bei einem Zwischenhalt in den Niederlanden starb er in Hilversum an einem Herzinfarkt.[4]
Im Jahr 2002 erschien Michael Fords Biografie Wounded Prophet (deutsch: Verwundeter Prophet), in dem Nouwen aufgrund eher äußerlicher Indizien eine homosexuelle Orientierung zugeschrieben wurde. Diese These ist umstritten, da Nouwen selbst sich nie direkt dazu geäußert hat.[8]Leanne Payne, die 1981 als seine Assistentin an der Yale Divinity School gearbeitet hatte, bezeichnete die These als zu oberflächlich. Ihre Einschätzung war, dass obwohl Nouwen in seiner Kindheit Traumata erlebt, eine starke Mutterbindung, ein unsicheres Lebensgefühl entwickelt und tiefe Depressionen durchlitten hatte, sei er durch mit Gott gemachten Erfahrungen zu einem starken Selbst geworden.[9]
Nouwen war imstande, vielen innerlich bedürftigen Menschen zu helfen, weil er seine eigene Gebrochenheit, Zerrissenheit und Verzweiflung gut kannte und beschreiben konnte. Er „umarmte“ seine „Dämonen“ und nannte sie auch „verkleidete Engel“. Manchmal war aber sein Bedürfnis nach Bestätigung so groß, dass er damit selbst seine engsten Freunde überforderte und überwältigte.[10]
Werke
Nouwen fand als Autor geistlicher Literatur internationale Beachtung. In seinen ungefähr 40 Büchern verstand er es, fachwissenschaftliche Kenntnisse mit christlicher Spiritualität zu verbinden und für das geistliche Leben vieler Menschen aus unterschiedlichen christlichen Konfessionen nutzbar zu machen. Seine Bücher leben nicht zuletzt von der Wahrnehmung und Widerspiegelung eigener geistlicher Erfahrungen und den daraus abgeleiteten existentiellen Entscheidungen und Praktiken. Einzelne unveröffentlichte Texte – vor allem Tagebücher – wurden nach seinem Tod publiziert, wobei unklar bleibt, ob sie alle zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Viele seiner Werke erfuhren zahlreiche Auflagen und wurden in über 30 Sprachen übersetzt.[11]
Schriften (Auswahl)
Mit offenen Händen. Über das Beten, 1970; Patmos-Verlag, 1973, ISBN 3-491-00415-2; neuer Untertitel: Unser Leben als Gebet, Herder, Freiburg 1996, ISBN 3-451-23782-2.
Schöpferische Seelsorge, Herder, Freiburg 1989; Neuauflage 1991, ISBN 3-451-21544-6.
Geheilt durch seine Wunden. Wege zu einer menschlichen Seelsorge, Herder, Freiburg 1987; Neuauflage 1994, ISBN 978-3-451-20853-9.
Der dreifache Weg. Drei Bewegungen spirituellen Lebens, 1975; St. Benno Verlag, Leipzig 1984 und 1988, ISBN 3-7462-0119-5; Herder, Freiburg 1991, ISBN 3-451-08737-5; neuer Titel: Die dreifache Spur. Orientierung für ein spirituelles Leben, Herder, Freiburg 2012, ISBN 978-3-451-33416-0.
Ich hörte auf die Stille. Sieben Monate im Trappistenkloster, Herder Verlag, Freiburg 1978, 1997 und 2012, ISBN 978-3-451-06395-4; viele Auflagen.
Gebete aus der Stille. Den Weg der Hoffnung gehen, Herder, Freiburg 1983; Neuauflage 2014, ISBN 978-3-451-06575-0.
Wohin willst du mich führen. Notizen aus Lateinamerika, Herder, Freiburg 1983; Neuauflage 1989, ISBN 978-3-451-19885-4.
Zeit, die uns geschenkt ist. Älterwerden in Gelassenheit, Herder, Freiburg 1983; Neuauflage 1991, ISBN 978-3-451-19760-4.
Suche nach Einklang. Von der geistlichen Kraft der Erinnerung. Dienst und Gebet in Erinnerung an Jesus Christus, Herder, Freiburg 1988 (Neuauflage 1992, ISBN 978-3-451-20253-7; 1999. ISBN 978-3-451-08774-5)
Gottes Clown sein. Reflektionen, Einsamkeit, Ehelosigkeit. Gebet und Kontemplation, Herder, Freiburg 1989; neuer Untertitel: Vom Beten und Dienen, 1992, ISBN 978-3-451-20544-6; Spiritualität und Dienst, 2014, ISBN 978-3-451-06574-3.
Jesus, Sinn meines Lebens. Briefe an Marc, Herder, Freiburg 1988, ISBN 3-451-21329-X.
Nachts bricht der Tag an. Tagebuch eines geistlichen Lebens, Herder, Freiburg 1989, 1992 und 1999, ISBN 978-3-451-21443-1.
Der Spiegel des Jenseits. Gedanken um Tod und Leben, Herder, Freiburg 1990, ISBN 978-3-451-21869-9
Im Haus des Lebens. Von der Angst zur Liebe, Herder, Freiburg 1990 und 1993; neuer Titel: Dem Leben neu begegnen. Wege aus der Angst, Claudius, München, 2011, ISBN 978-3-532-62423-4.
Zeig mir den Weg. Ein Begleiter durch die Fasten- und Osterzeit, Herder, Freiburg 1990; Neuauflage 2008, ISBN 978-3-451-29357-3.
Dem vertrauen, der mich hält. Das Gebet ins Leben nehmen, Herder, Freiburg 2003, ISBN 3-451-27914-2.
Höre auf die Stimme, die Liebe ist. Geistliche Deutung der Geschichte von Jesus. Mit Illustrationen von Rembrandt, Herder, Freiburg 2003 und 2008, ISBN 3-451-27903-7.
Unser heiliges Zentrum finden. Jesus und Maria, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2003, ISBN 3-87868-609-9.
Wenn dein Herz nach Hause kommt. Bild und Geschichte vom barmherzigen Vater. Geistliche Übungen, Herder, Freiburg 2013, ISBN 978-3-451-32306-5.
Mit einem weiten Herzen. Betend leben lernen, Herder, Freiburg 2014, ISBN 978-3-451-32391-1.
Jesus nachfolgen. Nach Hause finden in einem Zeitalter der Angst, Gabrielle Earnshaw (Hrsg.); Bernardin Schellenberger (Übersetzer), Originaltitel: Following Jesus, Neufeld Verlag, Cuxhaven 2021, ISBN 978-3-86256-162-9.
Adam. Mein Freund ohne Worte, Übersetzer: Eva Weyandt, Neufeld Verlag, Cuxhaven 2022, ISBN 978-3-86256-177-3.
Wunibald Müller: Erinnerungen an Henri Nouwen, Vier Türme, Münsterschwarzach 2012, ISBN 978-3-89680-553-9.
Christian Sint: Karriere nach innen. Leben mit Menschen mit Behinderung. Meine Erfahrungen in der Arche, Tyrolia, Innsbruck 2004, ISBN 978-3-7022-2600-8.
Henri J. M. Nouwen und Carolyn Whitney-Brown: Loslassen und fliegen. Henri Nouwens ungewöhnliche Freundschaft mit Zirkus-Artisten, übersetzt von Eva Weygandt, Neufeld Verlag, Cuxhaven 2023, ISBN 978-3-86256-180-3.