Hans Gudewerdt der Jüngere oder Hans Gudewerth der Jüngere (auch u. a.:[1]Hans Gudewerdt II bzw. Hans Gudewerth II; * zwischen 1593 und 1603 in Eckernförde;[2] † 12. Februar1671 ebenda[3]) aus der Bildhauerfamilie Gudewerth (überwiegend in der Schreibweise Gudewerdt[4]) war der bedeutendste Bildschnitzer des Barock im Herzogtum Schleswig.
Hans Gudewerdt d. J. war Sohn des seit 1596 nachweisbaren Hans I. (auch: Hans Gudewerth der Ältere; † 1642 in Eckernförde) und dessen Frau Wiebke. Die Künstler entstammten einer angesehenen Familie, die möglicherweise erst zwischen 1540 und 1542 nach Eckernförde kam: in der Bürgerliste des Stadtbuches von Eckernförde ist der Name erstmals 1542 verzeichnet (Balzer Gudewerdt und Clawes Gudewerdt). Aus dem Jahre 1619 ist bekannt, dass Heinrich Gudewerdt zweimal für Holzladungen Zoll zu zahlen hatte,[5] woraus sich ergibt, dass ein Teil der Familie „irgendwie mit Holz“ tätig war (etwa ein Holzhandelsunternehmen besaß). Zu irgendeinem Zeitpunkt könnten dort Familienmitglieder mit Holzschnitzarbeiten begonnen oder zuerst Holzschnitzer dort angestellt haben. Eine Carstine Gudewerdt, möglicherweise die Witwe von Clawes Gudewerdt, betätigte sich mindestens im Zeitraum zwischen 1614 und 1627 als Leinwandhändlerin und lieferte in der Zeit große Mengen an Leinwand an den Hof von Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf;[6] von einem Johan Gudewerdt weiß man, dass er zur See fuhr, 1653/54 in türkische Gefangenschaft geriet und ausgelöst wurde. Mehrere Familienmitglieder waren Ratsherren, Deputierte, Kirchengeschworene und/oder Mitglieder der Eckernförder Bürgerschützengilde von 1570. Ratsherr Detleff Gudewerdt wirkte auf einen Hexenprozess 1573 mäßigend ein: die Angeklagte[7] durfte ihre unter Folter gemachte Aussage zurückziehen. Ab 1575 (wohl bis 1608) war er zuständig für den Totschlagsbereich als Teil der Rechtspflege.[8]
Vage blieb von Anbeginn ein Bezug zu einem belgischen Maler Godewert des 15. Jahrhunderts.[9]
Hans Gudewerdt der Ältere wurde in der Kunstgeschichte zunächst auch mit dem NotnamenMeister mit dem flöteblasenden Hasen bezeichnet,[10] weil viele der unverkennbar von ihm geschaffenen Braut- oder Hochzeitstruhen unter der Abbildung des Hochzeitspaares den flötespielenden Hasen als Symbol der Fruchtbarkeit zeigen. Seine Truhen finden sich im Besitz norddeutscher und dänischer Museen.[11] Die Merkmale seiner Truhen fanden sich auch an seinem Hauptwerk, der Kanzel (1598) von St. Jürgen in Gettorf, so dass eine zweifelsfreie Zuordnung erfolgen konnte. Hans I. war Ältermann der Schnittker und zog sich wohl um 1635 zugunsten seines Sohnes Hans II. (des Jüngeren) aus dem Berufsleben zurück.
Hans II. hatte mit seiner Ehegattin Christine wiederum selbst zwei Söhne, die ebenfalls Bildschnitzer wurden und die wohl ihre Lehr- und Gesellenzeit in seinem Betrieb in Eckernförde absolvierten:
Hans III. (Hans Gudewerdt der Jüngste). (1640–1706/07) übernahm die Werkstatt von Hans II. und führte diese fort. 1672 soll er einen Triumphwagen an den Hof von Schloss Gottorf geliefert haben.[12]
David (auch: Dauit,* 1642) ist als Geselle noch 1671 im Gesellenbuch erwähnt und wanderte dann nach dem Tod von Hans II. aus.
Ein weiterer Bildschnitzer aus der Familie Gudewerdt war Marcus Gudewerdt (* 1626), dessen genaue verwandtschaftliche Beziehung zu den anderen ungeklärt ist.
Die Künstlerfamilie bildete für drei Generationen den Kern der sogenannten Eckernförder Bildhauerschule oder Eckernförder Bildschnitzerschule. Ihre Arbeiten und die weiterer Holzschnitzkünstler dieser Bildschnitzerschule befinden sich im Gebiet des Herzogtums Schleswig, aber auch in Holstein, Lübeck, Mecklenburg,[13] Jütland und in Dorfkirchen auf den Inseln der Dänischen Südsee sowie schließlich durch die ausgewanderten Bildschnitzkünstler der Eckernförder Schule Peter Neelsen, Anders Lauritzen Smith, Barrelt Gnauwst und Ewerdt Friis auch in Norwegen, Estland und Schweden. Nach heutigem Stand ist Ciriacus Dirkes der erste bedeutende Meister der Eckernförder Bildschnitzerschule; er war u. a. Lehrmeister von Hans Dreyer, seinem Sohn Hans Dirkes (ebenfalls Meister) und wahrscheinlich auch von Hans Gudewerdt dem Älteren.
In Eckernförde sind nach der Künstlerfamilie die Gudewerdtstraße und die Gudewerdtschule (Realschule) benannt worden.
Leben
Hans Gudewerdt der Jüngere schloss im Alter von 18 Jahren die Eckernförder Lateinschule mit einem dem heutigen Abitur vergleichbaren Bildungsabschluss ab.[14] Danach begann er die damals sechs Jahre dauernde Lehre als Tischler und Bildschnitzer nach Angabe[14] in der Werkstatt seines Vaters, wo er sich schon zuvor an der Seite des Gesellen Key Möller nützlich machen musste. Es wird teilweise aber auch vermutet, dass Hans der Jüngere zuvor oder danach eine Lehrzeit bei dem ManieristenLudwig Münstermann verbracht haben könnte, der vorwiegend im Oldenburger Land tätig war; in einigen Publikationen wird eine Ausbildung sowohl bei Münstermann als auch bei seinem Vater angegeben.[15] Der Lehre folgte die Zeit der Wanderschaft von drei Jahren, die Hans der Jüngere um weitere drei Jahre verlängerte, da sämtliche acht Meisterstellen in Eckernförde besetzt waren. Seine Wanderjahre führten ihn quer durch Europa.[14] 1634 erhielt Hans d. J. die Meisterwürde und galt bereits in dieser Zeit als in Eckernförde etabliert und angesehen. 1667 wurde er Ältermann der Eckernförder Schnittger. Seine Werkstatt arbeitete für den schleswig-holsteinischen Uradel und für den die Kunst liebenden Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf. Seine Lieferungen an die Residenzen in Gottorf und Husum sind durch die herzoglichen Rechnungsbücher nachgewiesen. Das erhaltene Hauptwerk besteht indessen aus fünf Retabeln, die seine hohe Kunst[16] und Perfektion im von ihm mit entwickelten regionaltypischen barocken Knorpelstil unter Beweis stellen:
der Altar der Nicolaikirche von Eckernförde von 1640,
Sein Altaraufbau bricht deutlich mit den Formen der Renaissance und gliedert sich in drei übereinanderliegende Geschosse. Aus der Signatur der Altäre wird geschlossen, dass die beiden erstgenannten Altäre vollständig eigene Arbeiten Gudewerdts sind, während der künstlerische Wert der beiden letzteren geringer eingeschätzt wird; sie haben wohl mehr Mitarbeit durch Gesellen der Werkstatt erfahren. Diese frühere Einschätzung bedarf aber bezüglich des Altarretabels von Schönkirchen einer Korrektur: signiert wie die beiden anderen Altäre, stellt er in der Verbindung künstlerischer Gestaltung mit theologischer Tiefe ein Werk von singulärem Charakter in der sakralen Kunst Norddeutschlands dar.
Für öffentliches Ansehen sorgte auch die Fertigung von vier Brautwagen für die herzogliche Residenz Schleswig-Holstein-Gottorf: 1648 für die Prinzessin Sophie Auguste, 1650 für die Prinzessin Maria Elisabeth, 1654 für die Prinzessin Hedwig Eleonore[18] zur Vermählung mit dem schwedischen König Karl X. Gustav, 1654 für die Prinzessin Magdadena Sybille.
„Mit Hans Gudewerth (gemeint: der Jüngere, Anm.) in seiner Meisterschaft kann sich aus jener Zeit kaum ein Künstler in Deutschland vergleichen, am wenigsten darin, wie er die wildesten und ausgelassensten Formen zu künstlerischer Einheit bändigt,“
urteilte 1914 das Buchwerk Geschichte der Neueren Baukunst.[19]
Und Helmuth Eggert schrieb 1934[20]:
„Für das schleswigsche Gebiet und den anschließenden Norden ist von ausschlaggebendem Einfluß der Meister Hans Gudewerdt d. J. von Eckernförde († 1671), der in der Auflösung des Architektonischen und in der Häufung des Ornaments noch über Münstermann ... hinausgeht.“
Zusammen mit seiner Gattin Christine hatte Hans Gudewerdt insgesamt sechs Kinder, von denen zwei kurz nach ihrer Geburt verstarben: Hans (III) und David(t) wurden wie ihr Vater Bildschnitzer, Cyriacus (auch: Silaiakus) studierte Theologie und war danach von 1693 bis zu seinem Tode 1736 Pastor in Sehestedt, Wiebke vermählte sich mit dem Eckernförder Grobschmidt Lafrens Schevingk.[21]
Nachfolge Hans Gudewerdt II.
Die betriebliche Nachfolge übernahm Hans Gudewerdt der Jüngste; die künstlerische Nachfolge trat nach Ansicht Behlings[22] in Schleswig-Holstein direkt nur Klaws Eibe an; das künstlerische Erbe sei aber vor allem in den Regionen Dänemark-Norwegen und Schweden-Estland zu suchen. Namentlich wären es danach die Bildschnitzer Lorentz Jørgensen, Peter Neelsen, Anders Lauritzen Smith (Dänemark und Norwegen) sowie Ewerdt Friis und Barrelt Gnauwst (Schweden und Estland), die die künstlerische Nachfolge von Hans Gudewerdt dem Jüngeren antraten.
in der Sandby Kirke auf Lolland, Sandby Sogn (1635)
in der Marienkirche in Lübeck (im Querschiff namens Totentanzkapelle) für Lorenz Möller (1634)
in der Nikolai Kirke in Nakskov (1646) für Niels Nielsøn (Niels Thomesen Nielsen)[28]
Sonstiges:
vier Brautwagen, Rahmen der Blauen Madonna[29][30] im Schleswiger Dom, diverse Arbeiten im Schloss Gottorf und Neuen Gartenhaus beim Gottorfer Schloss, Reliefschild mit drei Stifterwappen für die Klosterkirche Preetz, Vertäfelung des Herrenhauses in Wensin, Taufbecken (u. a.) für die GeltingerSt. Katharinen-Kirche, große Anzahl an Bilderrahmen usf.
Bilder
Hans Gudewerdt d. J.: Altar in der St. Nicolai-Kirche zu Eckernförde
Detail des Gudewerdt-Altars in Eckernförde
Hans Gudewerdt d. J.: Altar in der St. Nikolai-Kirche zu Kappeln
Der frühere Mittelteil des Gudewerdt-Altars der St. Nikolai-Kirche Kappeln
Innenraum der St. Marien-Kirche zu Sörup mit der Kanzel Hans Gudewerdt d. J.
Hans Gudewerdt d. J.: Altar in der Klosterkirche Preetz
Hans Gudewerdt d. J.: Altar in der Marienkirche zu Schönkirchen
Weitere Holzschnitzer aus der Eckernförder Bildschnitzerschule
Weitere bedeutende Holzschnitzer der Eckernförder Bildschnitzerschule bzw. Eckernförder Bildhauerschule sind nach der Maximaldefintion des Begriffes unter anderen Ciriacus Dirkes, Hans Dreyer, Klavs Eibe, Ewerdt Friis, Barrelt Gnauwst, Hans Gudewerdt der Ältere, Lorentz Jørgensen, Jürgen Koberch, Peter Negelsen und Anders Lauritzen Smith. Der Begriff Gudewerdtsche Schule (siehe ebenfalls unter Eckernförder Bildschnitzerschule) schließt nur die Holzbildkünstler aus der Ausbildung durch Hans Gudewerdt dem Jüngeren ein.
Literatur
Hauptliteratur
Gustav Brandt: Hans Gudewerdt. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte Schleswig-Holstein. E. A. Seemann, Leipzig 1898 (Digitalisat).
Willers Jessen: Hans Gudewerdt und die Eckernförder Bildschnitzerschule mit ihren Meistern Ciriacus Dirkes, Hans Dreyer, Hans Gudewerdt I, Hans Gudewerdt II, Hans Gudewerdt III, Lorentz Jories, Jürgen Koberch, Peter Neelsen. J. C. Schwensen-Verlag, Eckernförde 1931.
Holger Behling: Hans Gudewerdt der Jüngere, Bildschnitzer zu Eckernförde. Karl-Wachholtz-Verlag, Neumünster 1990, ISBN 3-529-02515-1.
Weitere Literatur
Hartwig Beseler (Hrsg. im Auftrag des schleswig-holsteinischen Kultusministeriums): Kunst-Topographie Schleswig-Holstein. Karl Wachholtz Verlag, Neumünster 1974.
Anne J. Christiansen: Egernførdes billedskærere. Hans Gudewerdt den Yngre og hans svend i Danmark. In: Harald Jørgensen, O.M. Olesen, Frants Thygesen (Red.): Egernførde bys historie. Studieafdelingen ved Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig, Flensburg 1980, ISBN 87-980393-5-0, S. 71 ff.
Karl Graucop: Kunsthandwerk - Die Holzbildschnitzerei. In: Karl Graucop, Detlef Thomsen (Hrsg. im Auftrag der Heimatgemeinschaft Eckernförde e. V.): Heimatbuch des Kreises Eckernförde. Band 2, Verlag C. J. Schwensen, Eckernförde 1971, S. 266 ff.
Eckardt Opitz: Hans Gudewerth – Vater und Sohn. In: Die unser Schatz und Reichtum sind. 60 Porträts aus Schleswig-Holstein. Christians, Hamburg 1990, ISBN 3-7672-1115-7, S. 24–26.
Daniela Roberts: German ‘Knorpelwerk’: Auricular dissemination in prints, woodcarving, and painted wall decorations, 1620–70. publiziert bei wordpress.com vom 23. Oktober 2016 zum Themenfeld Auricular Style: Frames (auricularstyleframes.wordpress.com) mit ausführlicher Betrachtung des Werkes Hans Gudewerdts des Jüngeren.
Karl Friedrich Schinkel: Eckernförde – ein Spaziergang durch die Stadtgeschichte. 2. Auflage. Manfred Goos, Horn-Bad Meinberg 2002.
↑Laut Kunsttopographie Schleswig-Holstein auch Hauptwerke des Barock im Lande.
↑Dieter F. Schütz: Der evangelische Altar. In: Heiko Seidel (Hrsg.): St. Marien Schönkirchen. Ludwig, Kiel 2011, ISBN 978-3-86935-058-5, S. 49–60.
↑zu diesem Brautwagen existiert eine Zeichnung Jürgen Ovens’; der Hofmaler Johannes Müller war für die Farb- und Goldverzierungen zuständig; die Brautfahrt führte von Schloss Gottorf nach Eckernförde - Referenz: Constanze Köster: Jürgen Ovens (1623–1678). Maler in Schleswig-Holstein und Amsterdam. (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte. 147). Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, ISBN 978-3-7319-0369-7, S. 89 f., 408. (gleichzeitig Dissertation an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 2016)
↑Jacob Burckhardt, Wilhelm Lubke, Albrecht Haupt, Cornelius Gurlitt, Otto Schubert, Paul Klopfer: Geschichte der Neueren Baukunst. Band 2: Wilhelm Lubke (Autor), Albrecht Haupt (Bearb.): Renaissance in Deutschland. 3. Auflage. Paul Neff Verlag, Esslingen 1914, S. 304.
↑Helmuth Eggert: Altarretabel (B. In der protestantischen Kirche). In: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. Band 1, 1934, S. 565–602 (Digitalisat), Abschnitt Denkmäler>Renaissance>Norddeutschland
↑der Kappelner Altar unterscheidet sich erheblich von den anderen Altaren Hans Gudewerdts, insbesondere durch die Ermangelung von Seitenflügeln. Nach Teuchert entstanden diese Abweichungen erst 1792 durch die Tischler Lehmeyer und Wolff; das heutige Mittelteilfeld besteht danach aus den beiden Feldern der ursprünglichen Seitenflügel; Wolfgang Teuchert: Die Rekonstruktion von Gudewerdts Altar in Kappeln. In: Nordelbingen. 24. Band, 1956, S. 41–44.