Graf-Goltz-Kaserne

Deutschland Graf-Goltz-Kaserne
Unterkunftsgebäude, 2015 Nutzung durch Bundeszollverwaltung

Unterkunftsgebäude, 2015 Nutzung durch Bundeszollverwaltung

Land Deutschland Deutschland
Heute Wohngebiet Boltwiesen
Gemeinde Hamburg
Koordinaten: 53° 36′ 28″ N, 10° 10′ 27″ OKoordinaten: 53° 36′ 28″ N, 10° 10′ 27″ O
Eröffnet 1939
Ehemals stationierte Truppenteile
vor 1993:
Teile der 6. Panzergrenadierdivision
vor 1945:
Teile der 20. Infanterie-Division

Deutschland

Deutsches Reich
Graf-Goltz-Kaserne (Hamburg)
Graf-Goltz-Kaserne (Hamburg)

Lage der Graf-Goltz-Kaserne in Hamburg

Die Graf-Goltz-Kaserne war eine Kasernenanlage in Hamburg-Rahlstedt, die von 1939 bis 1992 militärisch genutzt wurde. Die Anlage umfasste eine Fläche von 26,971 ha.[1] Im Rahmen der Konversion entstand ab 1999 das Wohnquartier Boltwiesen.

Geschichte

NS-Staat und Zweiter Weltkrieg

Die Kaserne wurde im Zuge der Aufrüstung der Wehrmacht von 1938 bis 1939[2] am östlichen Rand Rahlstedts gebaut. Benannt wurde sie nach Rüdiger von der Goltz. Der markanteste Baukörper der Anlage war die Toranlage,[3] deren Pfeiler auf der Innenseite Bilder des Einmarsches deutscher Truppen in Prag und der Besetzung Brest-Litowsks zeigten,[2] die 1939, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, entstanden. Die Bilder sollten an die Beteiligung des in Hamburg stationierten Infanterieregiments 76 an der Besetzung Brest-Litowsks erinnern.[4] Die Kaserne war annähernd achsensymmetrisch zum Tor und dem direkt dahinter liegenden Platz mit einem kleinen Denkmal aufgebaut.

Bezogen wurde die Truppenunterkunft vom III./Infanterieregiment 76, der Nachrichtenausbildungsabteilung 20 (mit Stab, 1./ sowie 2./Ausbildungs- und Lehrgangskompanie) der 20. Infanteriedivision (mot.) und der Ausbildung für Nachrichteneinheit X des Wehrkreises X.[5] Zur Vorbereitung des Überfalls auf Polen verlegte das Infanterieregiment 76 im August 1939 nach Pommern. Es zogen Landesschützen ein und ab 1944 beherbergte die Kaserne Marscheinheiten.[6]

Britische Besatzungszeit

Während die Boehn-Kaserne in Hamburg-Rahlstedt von der Britischen Rheinarmee besetzt und belegt wurde, erfolgten in der Graf-Goltz-Kaserne keine Stationierungen.[7] Die Anlage wurde daher als Wohnunterkunft genutzt.[8] 1949 übernahmen die Geyer-Filmkopierwerke im östlichen Teil des Geländes ein ehemaliges Unterkunftsgebäude. Ab 1950 kamen weitere Ansiedlungen hinzu. Der Vorschlag, die Graf-Goltz-Kaserne zur „Filmstadt Hamburg“ umzunutzen, fand in der Hamburger Bürgerschaft jedoch keine Zustimmung.[9]

Bundesgrenzschutz und Bundeswehr

Die ab 29. Mai 1951 in Lübeck in der St. Hubertus-Kaserne aufgestellte Grenzschutzabteilung Nord IV (s) verlegte am 28. Juni 1951 in die Graf-Goltz-Kaserne. Zum 1. Januar 1954 wurde diese Einheit in III./Grenzschutzgruppe 7 umbenannt. Bis zu ihrer Auflösung am 30. Juni 1956 und Eingliederung in die Bundeswehr blieb diese Abteilung in der Kaserne beheimatet.[10]

Im Laufe der Nutzung durch die Bundeswehr (hauptsächlich durch Teile der Panzergrenadierbrigade 17) entstanden im westlichen und nördlichen Teil einige moderne Gebäude, im östlichen Teil ein Übungsgelände sowie an der Nordseite eine direkte Zufahrt zum damaligen Standortübungsplatz Höltigbaum.

1963 veräußerte der Bund eine Teilfläche der Kaserne an die Firmen Geyer-Werke GmbH und Deutsche Wochenschau GmbH.[11]

Folgende Stäbe, Verbände, Einheiten und Dienststellen der Bundeswehr waren in der Graf-Goltz-Kaserne stationiert:[12]

Einheit Stationierung ab Herkunft Stationierung bis Verbleib
III./Feldartilleriebataillon 1 1. Juli 1956 aufgestellt aus III./Grenzschutzgruppe 7 des Bundesgrenzschutzes 3. Juni 1957 verlegt nach Buxtehude, Estetal-Kaserne[13]
Panzerbataillon 3 3. September 1956 neu aufgestellt 16. März 1959 umbenannt in Panzerbataillon 174[14]
Panzerbataillon 23 16. Januar 1958 neu aufgestellt aus Panzerbataillonen 3 und 13 Februar 1958 verlegt nach Schwanewede, Lützow-Kaserne, dort am 16. März 1959 umbenannt in Panzerbataillon 324
Panzerbataillon 174 16. März 1959 aus Panzerbataillon 3 30. September 1992 aufgelöst
Panzerjägerkompanie 170 16. März 1959 nach Aufstellung am 1. Oktober 1956 als 2./Panzerjägerbataillon 3 verlegt aus Neumünster, Scholtz-Kaserne November 1968 zunächst Umzug in Estorff-Kaserne in Hamburg; im November 1969 weiterverlegt nach Schwarzenbek in die Sachsenwald-Kaserne, dort in Panzerjägerkompanie 160 umbenannt[15]
Panzeraufklärungskompanie 170 1. August 1959 aus Panzeraufklärungsbataillon 6 in Neumünster herausgelöst 1. April 1962 wiedereingegliedert in Panzeraufklärungsbataillon 6 in Eutin[16]
3./Versorgungsbataillon 176 1. Februar 1968 nach Aufstellung ab 1. Juli 1959 in der Boehn-Kaserne in Hamburg verlegt 30. September 1972 zur Instandsetzungskompanie 170 umgegliedert[17]
Materialausstattung Sanitätsbereich 10/3 1. Juli 1972 neu aufgestellt 30. September 1992 aufgelöst
Instandsetzungskompanie 170 1. Oktober 1972 aus 3./Versorgungsbataillon 176 gebildet 30. September 1992 aufgelöst[18]
Panzergrenadierbataillon 171 mit 1./ (Teileinheit 37) und 4./ 1. April 1981 neu aufgestellt, teilaktiv 30. September 1992 aufgelöst

Die Kaserne wurde im Zuge der Verkleinerung der Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges und der Deutschen Wiedervereinigung am 30. September 1992 als erste Hamburger Truppenunterkunft endgültig geschlossen.[19]

Nachnutzung

Nach der Räumung der Kaserne wurden ab 1992 einige Gebäude an der Sieker Landstraße zeitweise als Unterkunft für Asylbewerber genutzt.[20] 1995 konnte nach achtmonatiger Umbauzeit ein Gebäude westlich der Hauptzufahrt als Studentenwohnheim für 136 Studierende übergeben werden.[21]

Im Mai 1993 hatte die Senatskommission für Umweltpolitik und Stadtentwicklung die Erstellung von Realisierungskonzepten für den Wohnungsbau auf der ehemaligen Militärliegenschaft beschlossen. 1996/97 fand ein kooperatives Entwurfsfindungsverfahren statt. Am 2. Mai 1997 wurde der Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan Rahlstedt 108 gefasst und zwei öffentliche Auslegungen 1997/98 durchgeführt. 1998 folgte ein städtebauliches Gutachten. Die städtebauliche Zielvorstellung sah eine Gartenstadt mit Reihenhäusern als Bebauung vor. Darüber hinaus sollte eine zentrale Gemeinbedarfsfläche um eine Sporthalle geschaffen werden. Da die Anlage aufgrund ihrer Baufälligkeit 1999 abgerissen werden musste, änderte die Senatskommission für Stadtentwicklung, Umwelt, Wirtschaft und Verkehr am 27. Januar 2000 zu einer Wohngebietsausweisung. Eine Änderung des Aufstellungsbeschlusses am 11. April 2000 und eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung wurden durchgeführt. Am 17. Dezember 2002 wurde das Gesetz über den Bebauungsplan durch den Hamburger Senat erlassen. Der Bebauungsplan weist im nördlichen Bereich 14 reine Wohngebietsflächen, ein Kindertagesheim, ein Waldgebiet, eine öffentliche Parkanlage, einen privaten Grünzug und einen öffentlichen Spielplatz aus. Im zentralen und südlichen Teil der ehemaligen Kaserne wurden 9 reine Wohnbauflächen, 6 allgemeine Wohngebiete, 4 private Grünflächen, ein Jugendclub und ein öffentlicher Spielplatz festgelegt.[22][23]

Die Gebäude wurden ab 1999 weitgehend abgerissen. Der Hauptteil des Geländes wurde zwischen 2001[24] und 2007[25] in das Wohngebiet Boltwiesen umgewandelt, das 530 Wohneinheiten umfasst.[26][27] Um den Erhalt der Toranlage entwickelte sich eine politische Diskussion, die im April 1999 mit der Entscheidung der Hamburger Bürgerschaft zum Abriss des Tores endete. Im selben Jahr wurde die Anlage entfernt.[2][28] Im Bereich des ehemaligen Tores entstand unmittelbar an der Sieker Landstraße eine Ladenzeile mit Geschäften des täglichen Bedarfs.

Im östlichen Teil gab es den Gebäudekomplex der Geyer-Filmkopierwerke, deren Betrieb 2013 eingestellt wurde, noch bis zu dessen Abriss Ende 2014. Zwischen 2016 und 2018 entstanden hier weitere 155 Wohneinheiten.[29]

Im westlichen Teil wurden Teile der Anlage in den 1990er-Jahren durch die Bundeszollverwaltung übernommen und umgebaut. Einer der ursprünglichen Unterkunftsblöcke, einige Gebäude aus den 1970er-Jahren und einige Fahrzeughallen beherbergen seitdem den Hauptsitz[30] des Zollfahndungsamtes Hamburg.

Fotos

Trivia

Für den Tatort: Gelegenheit macht Liebe (1984) mit Manfred Krug als Kommissar Stoever diente die Kaserne als Drehort für die Bundeswehr-Szenen.

Einzelnachweise

  1. Bundeswehr in Hamburg. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Eich und der Fraktion DIE GRÜNEN – Drucksache 11/7889. Deutscher Bundestag, 30. Oktober 1990, abgerufen am 7. Januar 2024.
  2. a b c Tor der Goltz-Kaserne abgerissen in der Welt vom 6. September 1999. Abgerufen am 28. Januar 2024.
  3. Foto des Eingangstores aus den 1940er-Jahren auf hamburg-bildarchiv.de. Abgerufen am 5. Januar 2015.
  4. Matthias Donath: Hamburg 1933–1945. „Führerstadt“ an der Elbe. Ein Architekturführer. Imhof-Zeitgeschichte, Petersberg 2011, S. 41 f.
  5. Chronik des Standortes Hamburg: Bilder aus Hamburgs militärischer Vergangenheit, S. 328 und 358. Klaus Grot, 2010, abgerufen am 7. Januar 2024.
  6. Annemarie Lutz erinnert sich. Manfred Feldmann im Gespräch mit einer Alt-Rahlstedterin, in: Rahlstedter Jahrbuch für Geschichte und Kultur 2004, S. 6 ff. (14). Rahlstedter Kulturverein/Rahlstedter Wochenblatt, 2004, abgerufen am 7. Januar 2024.
  7. August-Wilhelm Beutel: Liliencron, die Rahlau und Alt-Rahlstedt. Books on Demand, 2018, ISBN 978-3-7460-8737-5, S. 34
  8. Liebe für ein ganzes Leben. Hamburg-Rahlstedter Baugenossenschaft eG, 2013, abgerufen am 28. Januar 2024.
  9. Marco Schmidt-Thedt: Eine kleine Geschichte der Hamburger Synchronfilm-Industrie. Film- und Fernsehmuseum Hamburg, abgerufen am 28. Januar 2024.
  10. Stephan-Th. Klose: Hamburger Hausbrigade 1959–1993. Geschichte der Panzergrenadierbrigade 17. Buchverlag Otto Heinevetter, Hamburg 1993, S. 13–15
  11. Plenarprotokoll der 262. Sitzung des Deutschen Bundesrats. Deutscher Bundesrat, 15. November 1963, abgerufen am 28. Januar 2024.
  12. Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr: Standortdatenbank der Bundeswehr in der Bundesrepublik Deutschland sowie den von der Bundeswehr genutzten Übungsplätzen im Ausland. Abgerufen am 27. Januar 2024.
  13. Stephan-Th. Klose: Hamburger Hausbrigade 1959–1993. Geschichte der Panzergrenadierbrigade 17. Buchverlag Otto Heinevetter, Hamburg 1993, S. 15
  14. Stephan-Th. Klose: Hamburger Hausbrigade 1959–1993. Geschichte der Panzergrenadierbrigade 17. Buchverlag Otto Heinevetter, Hamburg 1993, S. 17
  15. Panzerjägerkompanie 160. Verbände der Panzergrenadierbrigade 16. Private Website über die 6. Panzergrenadierdivision. Sören Kuhrt, abgerufen am 27. Januar 2024.
  16. Stephan-Th. Klose: Hamburger Hausbrigade 1959–1993. Geschichte der Panzergrenadierbrigade 17. Buchverlag Otto Heinevetter, Hamburg 1993, S. 40
  17. Stephan-Th. Klose: Hamburger Hausbrigade 1959–1993. Geschichte der Panzergrenadierbrigade 17. Buchverlag Otto Heinevetter, Hamburg 1993, S. 38 f. und 91
  18. Instandsetzungskompanie 170. Verbände der Panzergrenadierbrigade 17. Private Website über die 6. Panzergrenadierdivision. Sören Kuhrt, abgerufen am 27. Januar 2024.
  19. Graf-Goltz-Kaserne. Standorte der 6. Panzergrenadierdivision. Private Website über die 6. Panzergrenadierdivision. Sören Kuhrt, abgerufen am 27. Januar 2024.
  20. Christdemokratisch erobert: Graf-Goltz-Kaserne. taz/tageszeitung, 18. August 1992, abgerufen am 28. Januar 2024.
  21. 75 Jahre Studentenwerk Hamburg. „Service für Studierende“ 1922–1997, Hamburg, April 1997, S. 102. Studentenwerk Hamburg, April 1997, abgerufen am 28. Januar 2024.
  22. Bebauungsplan Rahlstedt 108. Planzeichnung und Gesetz. Freie und Hansestadt Hamburg, 17. Dezember 2002, abgerufen am 28. Januar 2024.
  23. Bebauungsplan Rahlstedt 108. Begründung. Freie und Hansestadt Hamburg, 17. Dezember 2002, abgerufen am 28. Januar 2024.
  24. Bernd Breuer/Robert Schmell: Neue Stadtquartiere. Bestand und städtebauliche Qualitäten. Vorgehen und Ergebnisse der laufenden Bestandserhebung des BBR zu neuen Stadtquartieren, BBR-Online-Publikation Nr. 01/2007, S. 40. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, 2007, abgerufen am 28. Januar 2024.
  25. Haus im Haus – Boltwiesen. Wohnquartier bestehend aus Reihenhäusern, Doppelhäusern und „Haus im Haus“-Wohnungstypen. LRW Architektur und Stadtplanung PartG mbB Loosen Rüschoff Winkler Hamburg, abgerufen am 28. Januar 2024.
  26. Wiederbelebte Gartenstadt-Tradition. Die Welt, 25. November 2000, abgerufen am 28. Januar 2024.
  27. Großes Interesse an neuen Stadtquartieren. Die Welt, 10. November 2001, abgerufen am 28. Januar 2024.
  28. Altes Kasernentor - frei zum Abriß. Hamburger Abendblatt, 9. April 1999, abgerufen am 28. Januar 2024.
  29. Ole Thorben Buschhüter: 155 neue Wohnungen an der Sieker Landstraße. 30. November 2015, abgerufen am 28. Januar 2024.
  30. Zollfahndungsamt Hamburg (ZFA Hamburg). Bundesverwaltungsamt Köln, abgerufen am 28. Januar 2024.

Literatur

  • Oliver Wolf: Der Umgang mit Kasernenbauten aus der Zeit des Nationalsozialismus in der Denkmalpflege. TU Berlin, Institut für Baugeschichte, Berlin (baugeschichte.a.tu-berlin.de [PDF; abgerufen am 5. Januar 2015] nach 1999).
  • Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung (Hrsg.): Hamburg in Luftaufnahmen und Bildern, 1964 bis 2012. Sutton Verlag, Erfurt 2013, ISBN 978-3-95400-165-1, S. 135.
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