Georges Livanos war Sohn eines griechischen Vaters und 100 % „Marseillais“.[1] Als Handelsvertreter für Druckerzeugnisse, war er mit einer Vespa 10 Jahre lang in den DépartementsBouches du Rhône, Var und Vaucluse unterwegs.[2] Später arbeitete er bei der Sozialversicherungsanstalt.[1] Im Jahr 1948 lernte er seine spätere Ehefrau Geneviève (* 14. November 1923, † 16. April 2018) kennen. Sie wurde Sonja genannt, in Erinnerung an eine Figur aus Alphonse DaudetsSchelmenromanDie wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon. Ihre gemeinsame Kletterkarriere dauerte über vierzig Jahre.[3]
Mit 14 Jahren war er während eines Familienurlaubs im Mont-Blanc-Massiv, in dem er seine Liebe für die Berge entwickelte. Kurz darauf begann er zu klettern, erst mit Alfred Burnet und Ulysse Simond, bevor er selbstständig Klettertouren unternahm. Seine Leidenschaft für das Klettern entdeckte er aber im Massif des Calanques,[1] das im Umfeld von Marseille an der Küste liegt.
Livanos nannte sich selbst einen „Sonntagskletterer“. Im Gegensatz zu den „Profis“ kletterte er nur an den Wochenenden, die damals am Samstagnachmittag begannen, sowie während seiner Sommerferien, die maximal 4 Wochen dauerten. Da er keinen Führerschein besaß, war er darauf angewiesen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Um zum Beispiel mit Sonja und Freunden am Pic de Bertagne im Massif de Sainte Baume zu klettern, nahmen sie erst die Straßenbahn nach Aubagne, dann den Bus nach Gémenos und gingen schließlich zu Fuß zu den Felsen. Für weite Entfernungen wie nach Chamonix nahm er den Zug und in das 100 km entfernte Vercors fuhr er mit seiner Vespa.[2]
Le Grec hörte 1978, im Alter von 55 Jahren, auf zu klettern. Zur Erklärung schrieb er in seinem Buch „Au delà de la verticale“ folgende drei Zitate:[4]
„Der Adler jagt keine Fliegen“, sagte einer von Tartarins Begleitern,
„Wenn man Löwen gejagt hat, sehen Kaninchen mager aus“ schrieb er selbst an Robert Paragot,
„Wenn ich mich in den Calanques oder in leichtem Gelände umbringen würde, würde ich es nicht mehr wagen, hinauszugehen“ sagte Robert Gabriel .
Kletterkarriere
Der Großteil seiner bergsteigerischen Karriere fand zwischen 1941 und 1971 statt. 1941 gelangen Livanos und Gaston Rébuffat mehrere Erstbegehungen im Massif des Calanques, darunter die Route La Centrale an der Grande Candelle, eine der längsten Routen im 6. Grad der Calanques.[5] Die Route wird noch heute wegen ihrer logischen Linie und schönen Kletterstellen als eine der besten Anstiege der Calanques angesehen.[6] 1945 nahm er an einem Ferienlager der Jeunesse et Montagne teil. Dabei gelang ihm mit dem verantwortlichen Kletterlehrer Jean Franco in 4 Stunden die dritte Begehung des Südpfeilers des Barre des Écrins.[4] In den folgenden Jahren gelangen ihm im Mont-Blanc-Massiv unter anderem 1946 die fünfte Begehung der Nordwand der Aiguille des Grands Charmoz, 1947 die zweite Begehung der Nordwand des Dent du Requin und 1949 die zweite Begehung der Nordwand der Aiguille de Leschaux.[4]
Ab 1950 verlegte er den Großteil seiner alpinen Tätigkeiten in die Dolomiten, wo er zahlreiche Erstbesteigungen und sehr frühe Wiederholungen machte. So gelang ihm 1950 die Cassin-Route an der Westlichen Zinne Nordwand (10. Begehung mit Robert Gabriel) oder 1952 mit seiner Frau Sonja die 3. Begehung der Vinatzer-Route in der Marmolada di Rocca Südwand.
Livanos und seine Frau Sonja sammelten eine beeindruckende Reihe von Erstbegehungen, Frauenerstbegehungen und Erstwiederholungen, die ihnen den Spitznamen „das sestogradoistischste Ehepaar der Welt“ einbrachte (der Sestogrado oder 6. Grad stellte bis Ende der 1970er Jahre den höchsten Schwierigkeitsgrad beim Klettern dar).[7] Am Monte Cavallo, einem Gipfel des Heiligkreuzkofels, durchstiegen er und Robert Gabriel 1953 als erste die bis dahin unbezwungene Westwand.[7] Georges Livanos’ Meisterwerk war die Erstbegehung der Cima Su Alto Nordverschneidung in der Civetta Nordwestwand.[8] Für diese Begehung erhielt er bei seiner Rückkehr nach Marseille die goldene Sportmedaille. Die 800 m lange Route ist für ihre Brüchigkeit und schlechte Absicherung bekannt.[8] Nach einem gewaltigen Bergsturz im Jahre 2013 (der Ausbruch ist 350 m hoch) ist die Route nicht mehr begehbar (Stand 2023).
Buchautor
Livanos erzählte sein Bergsteigerleben in der Autobiographie „Über dem Abgrund“.[9] Das französische Original „Au delà de la Verticale“ erschienen 1958, als Livanos am Höhepunkt seiner Klettererlaufbahn stand.[4] 2006 veröffentlichte Richard Goedeke eine Rezension, in der er sowohl das Lebenswerk von Livanos würdigte, als auch dessen eigenwilligen und respektlosen Schreibstil hervorhob.[10] Das Buch ist voll Selbstironie wenn Livanos von sich selbst nur noch in der dritten Person schreibt oder von dem „Meister“. Auch Überlegungen zu Rollenproblemen in einer Seilschaft von Ehepartnern fehlen nicht. In seinem zweiten Buch „Cassin: Il était une fois le sixième degré“ würdigte Livanos das Leben und Werk des Kletterers Riccardo Cassin.[11]
Eine Zusammenfassung von Zeitungsartikeln und Berichten über und von George Livanos wurde unter Mitwirkung von Sonja Livanos zusammengestellt (siehe Weblinks, alles in französischer Sprache).
George Livanos: Cassin – Il était une fois le sixième degré, Collection Altitudes, Herausgegeben von Michel Schulman – Editions Arthaud – Paris 1983. Biographie von Riccardo Cassin
Auszeichnungen und Ehrungen
1951 – Médaille d’or des sports für die Begehung der Cima Su Alto Nordverschneidung, dem, wie man damals dachte, letzten großen Problem des VI. Grades in den Alpen.[4]
2002 – Georges und Sonia Livanos erhielten für ihre alpinistische Karriere den „goldenen Pelmo“, den „Oscar“ der italienischen Alpinisten[2]
Einzelnachweise
↑ abcGeorges Livanos, alpiniste. In: Le Monde.fr. 26. Mai 2004 (lemonde.fr [abgerufen am 20. November 2023]).
↑ abcdefGeorge Livanos: Au-delà de la Verticale. Éditions Guérin, Grenoble 1997.
↑Bernard Vaucher: Des rochers et des hommes. Cent vingt ans d’escalade dans les Calanques. Édition de l’Envol, 2001.
↑André Bernard, Gilles Bernard, Pierre Calarac, Hervé Guigliarelli, Bernard Privat: ESCALADE Les Calanques. Hrsg.: Fédération Francaise de la Montagne et de l'Escalade. S.375.
↑ abGeorges Livanos: Auf der Bühne des Sestogrado. In: Mitteilungsblatt der Sektion Spree-Havel des deutschen Alpenvereins. Januar 1961 (alpenverein.de [PDF]).
↑ abWalter Pause, Jürgen Winkler: Im extremen Fels: 100 Kletterführen in den Alpen. 2., neubearb. Auflage. BLV-Verlagsgesellschaft, München Bern Wien 1977, ISBN 978-3-405-11742-9, S.154.
↑Georges Livanos: Über dem Abgrund - senkrecht bis überhängend. Albert Müller Verlag, Rüschlikon – Zürich 1960.