Günter Routhier

Günter Routhier (* 4. November 1928; † 18. Juni 1974 in Essen), teilweise auch falsch Günther Routhier, war ein Frührentner aus Duisburg, der nach einer Polizeiaktion im Juni 1974 ums Leben kam. Mehr als tausend Menschen, die aus Empörung über die Todesumstände wie die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) die Polizei des Mordes beschuldigten oder den Mordvorwurf in irgendeiner Form verbreiteten, wurden strafrechtlich verfolgt.

Das Geschehen

Der Frührentner Günter Routhier hatte am 5. Juni 1974 in Duisburg an einem Arbeitsgerichtsprozess teilgenommen, bei dem es um die Entlassung eines Mannesmann-Arbeiters ging, der der KPD/ML angehörte. Als dessen Klage auf Wiedereinstellung abgewiesen wurde, entstand im vollbesetzten Gerichtssaal Unruhe, worauf der Zuschauerraum umgehend von Polizeibeamten geräumt wurde. Dabei wurde Günter Routhier festgenommen und im Polizeigriff die Treppe des Gerichts hinuntergeführt, wobei er mit dem Kopf gegen die Wand und den Boden stieß. Nach etwa zwei Wochen starb Günter Routhier in einem Krankenhaus an einer Gehirnblutung. Bei der späteren Obduktion in einer Klinik in Essen wurde von einem Gutachter festgestellt, dass diese Gehirnblutung nicht auf Gewaltanwendung zurückzuführen sei. Ein zweites Gutachten von dem Direktor des Gerichtsmedizinischen Instituts Berlin, Walter Krauland, „kam zu dem entgegengesetzten Ergebnis: es gibt keinen Zweifel an der gewaltsamen Ursache des Todes von Günter Routhier, und als Tatzeit kommt aufgrund der erhobenen Befunde der 5.6.74 infrage.“

Mordvorwürfe

Von der KPD/ML, die ihn kurz vor seinem Tod als Mitglied aufgenommen hatte,[1] wurde der Tod Günter Routhiers in Flugblättern,[2] im Zentralorgan Roter Morgen[3] und auf Wandparolen mit einem Mordvorwurf gegen Polizei und Staat beantwortet. Auch einige andere linke Organisationen[4] und Einzelpersonen wiederholten diesen Vorwurf in Reden, auf Flugblättern oder die Verbreitung von Parteizeitungen. Anlässlich der Beisetzung Routhiers am 24. Juni 1974 in Duisburg kam es zu einem Demonstrationsverbot und zu Auseinandersetzungen, bei denen laut offiziellen Angaben 96 Demonstranten festgenommen und 14 Polizisten verletzt wurden.[5] Die Proteste gingen dabei über die KPD/ML und ihr Umfeld hinaus: „Der Tod von Routhier sorgte auch ausserhalb der kommunistischen Szene für Empörung. Der Dichter Erich Fried schrieb ein kurzes Gedicht zum Tod von Routhier. Der Liedermacher Walter Mossmann, der der undogmatischen Linken angehörte, verfasste die ´Ballade vom zufälligen Tod in Duisburg´“, urteilte der Journalist Peter Nowak.[6]

Die Antwort der Strafverfolgungsbehörden

Wegen des öffentlichen Interesses erstattete die politische Abteilung der Polizei in Duisburg in jedem Einzelfall Strafanzeige gegen Verbreiter des Mordvorwurfs. Prominenteste Opfer der Verfolgungsmaßnahmen waren zwei Professoren, der Soziologe Christian Sigrist und der Literaturwissenschaftler Gerhard Schneider[7].

Literatur

  • Helmut Loeven: Nie vergessen : Günther [!] Routhier, in Der Funke, Hamburg, Nr. 13/1974, S. 18 (evtl. Nachdruck aus anderer Zeitschrift, mit Abbildung der Todesanzeigen der Familie und der KPD/ML, Schreibweise des Vornamens: Günter)
  • (anon.): „Nicht zu beanstanden“. Staatsanwalt stellt im Fall Routhier die Ermittlungen ein, in: Kommunistische Volkszeitung (KVZ), Nr. 10 vom 13. März 1975, S. 14
  • (anon.): Vom Dienst suspendiert, in: KVZ Nr. 43 vom 30. Oktober 1975, S. 10 (Fall Professor Gerhard Schneider)
  • (anon.): Die Wahrheit mit Gefängnis bestraft, in: KVZ Nr. 11 vom 18. März 1976, S. 9 (Fall eines Buchhändlers)
  • Rosemary Callmann: Der Fall Sigrist. In Münster wird ein unbequemer Professor verfolgt, in: Die Zeit, Nr. 11 vom 4. März 1977, S. 13
  • Selma Schelling: Tod eines Arbeiters und Verfolgung eines empörten Professors, in: Berliner Extra-Dienst, Nr. 26/XI vom 1. April 1977, S. 11–12
  • Urteil. Christian Sigrist […], in: Der Spiegel Nr. 44/1978, S. 284 (Rubrik „REGISTER“)
  • acm.: Prof. Sigrist verurteilt wegen „Übler Nachrede“, in: KVZ Nr. 15 vom 6. April 1981, S. 2
  • Hellmut Brunn, Thomas Kirn: Rechtsanwälte – Linksanwälte, Frankfurt am Main (Eichborn) 2004 (Tausende von Verfahren, S. 295–297) ISBN 3-8218-5586-X
  • Andreas Kühn: Stalins Enkel, Maos Söhne: die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre, Frankfurt/Main (Campus Verlag) 2005 (Haltung zur Gewalt und eigene Gewaltanwendung, S. 161–168, mit weiteren Nachweisen im Literaturverzeichnis) ISBN 3-593-37865-5
  • KPD: Dokumentation zum Fall Günther Routhier, Selbstverlag, Köln 1974
  • Kommunistische Partei Deutschlands – Marxisten-Leninisten (Hg.): Genosse Günther Routhier ist tot, die Polizei hat ihn erschlagen! Dokumentation, Dortmund 1974

Einzelnachweise

  1. Der Tod Günter Routhiers im Spiegel der radikalen Linken
  2. KPD/ML und Rote Garde: Rache für den Polizeimord an unserem Genossen Günter Routhier. Nieder mit seinen Mördern ! Nieder mit dem Polizeiterror !, (Flugblatt), Abbildung bei A. Kühn, S. 162
  3. Mordanschlag auch medizinisch einwandfrei bewiesen, in: RM Nr. 25 vom 22. Juni 1974, S. 2
  4. Polizeimord an Günter Routhier, in: KVZ Nr. 13 vom 26. Juni 1974, S. 1 (diese Ausgabe wurde wie auch mehrere Nummern des Roten Morgen beschlagnahmt, siehe z. B. (dpa) Polizei beschlagnahmte „Roter Morgen“, in: Rhein-Neckar Zeitung Nr. 178 vom 5. August 1974, S. 9 [Aktion in Bielefeld])
  5. Verfassungsschutzbericht NRW 1974@1@2Vorlage:Toter Link/www.im.nrw.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., S. 8
  6. https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/guenter-routhier-oder-der-zufaellige-tod-in-duisburg-008455.html
  7. Vgl. Evangelische Studentengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West: Amnestie für die Verurteilten in den Routhier-Prozessen! Einstellung aller Ermittlungsverfahren! Dokumente des bisherigen Verlaufs der Initiative zur Wahrheitsfindung in den Routhier-Prozessen, Stuttgart 1976; Dokumentation des Disziplinarverfahrens gegen Prof. Dr. Gerhard Schneider 1974-1978, Frankfurt am Main 1979 (Broschüre)