Ab 1860 besuchte Adickes die Hohe Schule (das spätere Ratsgymnasium) in Hannover und erwarb dort das Abitur.[4] Einer seiner Lehrer war Wilhelm Wiedasch, der sich ihm im Besonderen widmete, durch den er über mehrere Jahrgänge in den Fächern Deutsch und insbesondere Geschichte unterrichtet wurde und dem Adickes zeitlebens innig verbunden blieb.[5] Ebenfalls noch in der Residenzstadt des damaligen Königreichs Hannover engagierte sich Adickes in der verbotenen SchülerverbindungHercynia.[6]
Im Juli 1873, kurz nach seinem Zweiten Staatsexamen, wurde er einstimmig zum zweiten Bürgermeister von Dortmund gewählt. In seiner dreijährigen Amtszeit lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit im Stiftungs- und Armenwesen Dortmunds.[4] 1876 wurde Adickes als zweiter Bürgermeister in die preußische Stadt Altona vor den Toren des Stadtstaats Hamburg berufen, ab 1883 war er dort Oberbürgermeister. Sein Vorgänger Friedrich Thaden war 27 Jahre im Amt gewesen, bei seinem Amtsantritt gehörte Altona noch zu Dänemark. Adickes’ Wahl war der erste Amtswechsel seit dem Anschluss an Preußen 1863 und der deutschen Reichsgründung 1871. Die größte Herausforderung seiner Amtszeit bestand in der Positionierung Altonas gegenüber der sich damals erfolgreich zu einer Weltstadt entwickelnden Nachbarstadt Hamburg. Adickes setzte hier auf die Schaffung moderner Infrastruktur und die Förderung der Industrialisierung. Nachdem kurz vor seinem Amtsantritt bereit die teilweise unterirdisch geführte Altonaer Hafenbahn in Betrieb gegangen war, konnten 1884 die Königliche Eisenbahndirektion Altona und die Altona-Kaltenkirchener Eisenbahngesellschaft AG gegründet werden.
Adickes vergrößerte die Stadt Altona durch Eingemeindungen und gewann auf diese Weise Entwicklungsfläche für die räumlich beengte, im Osten unmittelbar an die Hamburger Innenstadt (St. Pauli) angrenzende Hafenstadt. Die zu Altona kommenden Nachbargemeinden erhielten durch den Zusammenschluss Zugang zu moderner großstädtischer Infrastruktur wie Kanalisation, Strom- und Gasversorgung, Schulen und Straßenbahnanschluss. 1889 wurden Ottensen, Altonas unmittelbarer Nachbar im Westen und selbst bereits stark industrialisiert, und Neumühlen, 1890 Bahrenfeld, Othmarschen und Övelgönne an die Stadt Altona angegliedert. Dadurch und durch die Zuwanderung infolge der Industrialisierung wuchs Altonas Bevölkerung während Adickes’ Amtszeit rapide an: Im Jahr vor seinem Amtsantritt, 1875, hatte Altona 84.099 Einwohner, am Ende seiner Amtszeit 1890 waren es 143.249.
Zu seinen über die Stadtgrenzen hinausgehenden staatspolitischen Verdiensten gehört die von ihm vorangetriebene Stärkung der Selbstverwaltung der Provinz Schleswig-Holstein innerhalb Preußens.[7] 1884 wurde er qua Amt in seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister Mitglied des Preußischen Herrenhauses (MdH), der Ersten Kammer des Landtags, und blieb es als solcher auch in seiner Frankfurter Zeit bis 1912. Einer 1914 erfolgten persönlichen Berufung ins Herrenhaus folgte er nicht mehr.[8]
Oberbürgermeister von Frankfurt am Main
Der wie Adickes aus dem ehemaligen Königreich Hannover stammende Frankfurter Oberbürgermeister Johannes Miquel wurde 1890 zum preußischen Finanzminister ernannt und wechselte deshalb nach Berlin. Miquel hatte in seiner zehnjährigen Amtszeit wichtige Entscheidungen und Projekte realisiert, die viel dazu beitrugen, die gesellschaftlich noch teilweise im Spätmittelalter verhaftete Patrizierrepublik in eine moderne Metropole des Industriezeitalters zu verwandeln, etwa durch technische Großprojekte wie die Mainkanalisierung (1886) und den neuen Hauptbahnhof (1888). Nicht unbedeutend war außerdem, dass der Finanzexperte Miquel seinem Nachfolger eine solide geführte Stadtkasse hinterließ.[4] Adickes bewarb sich für Miquels nun vakanten Posten. Sein bisheriger Vorgesetzter, der Oberpräsident der Provinz Schleswig-HolsteinGeorg Steinmann, lobte den Bewerber in seinen Empfehlungsschreiben an seinen Kollegen in Hessen-Nassau, es sei Adickes […] gelungen, eine Reihe großer Verkehrsanlagen ins Leben zu rufen […] und Altona neben der erdrückenden Konkurrenz Hamburgs […] selbständig zu erhalten.[9] Die Bewerbung war erfolgreich, die Stadtverordnetenversammlung wählte Adickes am 14. Oktober 1890 zum neuen Oberbürgermeister; er übte diese Funktion bis 1912 aus.
Adickes war, zusammen mit dem Gründer der Metallgesellschaft, Wilhelm Merton und dem Physiker Richard Wachsmuth, maßgeblich beteiligt an der Stiftung der als erste deutsche Stiftungsuniversität 1914 durch Wachsmuth als Gründungsrektor eröffneten[10]Johann Wolfgang Goethe-Universität und förderte die Reform des höheren Schulwesens. In Adickes’ Amtszeit wurden zudem zahlreiche ehemalige Vororte des Landkreises Frankfurt eingemeindet. Als Bodenreformer machte er sich ab 1893 einen Namen mit der Lex Adickes, einem rechtlichen Weg zur Umlegung von privaten Grundstücken. Nach erheblichen Widerständen führten seine Bemühungen zum Gesetz betr. die Umlegung von Grundstücken in Frankfurt a. M. vom 28. Juli 1902; nach einer Novellierung im Jahre 1907 war das Gesetz noch anwendungsfreundlicher. Durch seine weitsichtigen Grundstücksumlegungen entstanden neue Wohngebiete wie West-, Ost- und Nordend und ein zweites Ringstraßensystem, der Alleenring. Ebenfalls durch seine Initiative entstand der Frankfurter Osthafen, der noch heute größte Hafen der Stadt. Er widmete sich auch der Entwicklung der Luftschifffahrt und erreichte die Einrichtung eines leistungsfähigen Flughafens.
In Adickes’ Amtszeit fielen der Bau der Festhalle, die Gründung des Völkerkundemuseums und die Skulpturensammlung im Liebieghaus. Adickes gilt als bedeutender Reformer und Reorganisator des städtischen Armenwesens. Hier arbeitete er mit Christian Jasper Klumker zusammen. Seine Baustrukturen trugen wesentlich dazu bei, die Wohnbedingungen der städtischen Arbeiterschaft in Frankfurt zu verbessern. Adickes installierte ein städtisches Fürsorgewesen, das er Karl Flesch unterstellte, und er gründete ein Wohnungsamt, eine Gemeinnützige Rechtsauskunftsstelle und eine Arbeitsvermittlungsstelle. Er förderte die Volksbildung durch Unterstützung des Volkschors, der Volkskonzerte und des Ausschusses für Volksvorlesungen. Adickes verbesserte zudem die soziale Fürsorge der städtischen Bediensteten.[11][12]
Adickes starb zweieinhalb Jahre nach dem Ende seiner Amtszeit als Frankfurter Oberbürgermeister. Sein Grab befindet sich auf dem Frankfurter Hauptfriedhof (Gewann II GG 24).
Familie
Am 27. September 1873 heiratete er in Kassel die im nordhessischen Waldkappel geborene Sophie Therese Lambert (1848–1922), Tochter des Kasseler Medizinalrats Fritz Lambert und dessen Frau Maria.[2]
Franz und Sophie Adickes hatten vier Kinder:
Friedrich, der einzige Sohn, verstarb im Juli 1874 im Alter von vier Tagen.
Theodore (1875–1945) heiratete 1895 den Frankfurter Komponisten und Ersten Kapellmeister der Oper Frankfurt, Ludwig Rottenberg (1864–1932). Ihre Tochter Gertrud (1900–1967) heiratete 1924 den Frankfurter Komponisten Paul Hindemith.
Gertrud (1878–1960) heiratete 1900 den Wirtschaftsmagnaten und Politiker Alfred Hugenberg (1865–1951) und hatte mit ihm einen Sohn und drei Töchter.
Erika (1889–1960) heiratete Karl Eisenlohr.
Diese Eheschließungen sind insofern bemerkenswert, als Theodores Mann Ludwig Rottenberg aus einer jüdischen Familie aus Tschernowitz/Bukowina stammte, sein Schwippschwager, Gertruds Mann Alfred Hugenberg, dagegen als deutschnationaler Politiker (Vorsitzender der DNVP 1928–1933) und antisemitischer Verleger ein maßgeblicher Wegbereiter der Machtergreifung Hitlers sowie Minister in dessen erstem Kabinett war. Adickes war also sowohl der Schwiegervater eines jüdischen Dirigenten als auch der von Hitlers wichtigstem Koalitionspartner – dessen Managerkarriere allerdings seinerseits in der Adickes’ jüdischem Freund Wilhelm Merton gehörenden Metallgesellschaft begann.
Ehrungen
Nach Adickes ist in Frankfurt die Adickesallee, ein Abschnitt des Alleenrings im Nordend, benannt. Der größere Turm des während seiner Amtszeit erbauten Neuen Rathauses erhielt im Volksmund den Namen Langer Franz nach dem populären Oberbürgermeister. 1903 erhielt er für seine Verdienste auf dem Gebiet der sozialen Wohlfahrt den preußischen Wilhelm-Orden.[11][12] 1912 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Frankfurt am Main ernannt. 1914 wurde mit dem Titel „Wirklicher Geheimer Rat“ ausgezeichnet, einer symbolischen Ehrung für höchste Beamte in Preußen.[8]
Am 25. Oktober 1916 wurde im Lichthof der neuen Universität eine Büste für den im Vorjahr verstorbenen Universitätsgründer enthüllt.[13]
Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker. Teilband 1: A–E. Winter, Heidelberg 1996, ISBN 3-8253-0339-X, S. 4–5 (mit Bild).
Thomas Klein: Leitende Beamte der allgemeinen Verwaltung in der preußischen Provinz Hessen-Nassau und in Waldeck 1867 bis 1945 (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte. Bd. 70), Hessische Historische Kommission Darmstadt, Historische Kommission für Hessen, Darmstadt/Marburg 1988, ISBN 3-88443-159-5, S. 85–86.
Ludwig Landmann/Historische Kommission der Stadt Frankfurt am Main (Hrsg.): Franz Adickes. Sein Leben und sein Werk (= Bd. 11 der Frankfurter Lebensbilder). Englert und Schlosser, Frankfurt 1929. Darin:[19]
↑ abcdGudrun Jäger: »Der Schöpfer des modernen Frankfurt« Wandel zur anerkannten Großstadt: Franz Adickes’ Wirken als Oberbürgermeister – Zum 90. Todestag. In: Forschung Frankfurt, 2/2005. PDF-Dokument
↑Franz Adickes. Sein Leben und sein Werk ( = Frankfurter Lebensbilder, Bd. 11). Englert und Schlosser, Frankfurt am Main 1929; Nachdruck der 1. Auflage: Schiemann, Frankfurt am Main 1959, S. 52; Vorschau.
↑Helge Dvorak: Biografisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker, Teilband 1: A–E. Heidelberg 1996, S. 5.
↑Rita Bake: Ein Gedächtnis der Stadt. Nach Frauen und Männern benannte Straßen, Plätze, Brücken in Hamburg. Band 3. Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2017, S. 28.
↑Amtsblatt für Berlin. Band 5. Ausgabe 1, Kultur-Buch-Verlag, Berlin 1955, S. 247.