Die Franz-Rosenzweig-Gastprofessur an der Universität Kassel erinnert seit 1987 an das religionsphilosophische Werk und die Bildungsarbeit von Franz Rosenzweig (1886–1929), des großen jüdischen Sohns der Stadt Kassel. Die Idee zur Einrichtung dieser Gastprofessur entstand während des 1986 zum 100. Geburtstag von Franz Rosenzweig an der Universität durchgeführten Internationalen Franz-Rosenzweig-Kongresses, der unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker stand und zu dem über 70 Referenten aus aller Welt angereist waren.
Die Franz-Rosenzweig-Gastprofessur wurde bislang – gestiftet von der Universität Kassel – jährlich jeweils im Sommersemester an Philosophen, Geschichts-, Literatur- oder Religionswissenschaftler vergeben, die aus antisemitischen Gründen durch den Nationalsozialismus verfolgt und aus ihrer Heimat vertrieben wurden und daher ihre wissenschaftliche Laufbahn im nicht-deutschsprachigen Ausland fortsetzen bzw. beginnen mussten, und sich in ihren Forschungen speziell auch mit Fragen der europäisch-jüdischen Geschichte, Kultur und Bildung auseinandergesetzt haben und deshalb in ihren Lehrveranstaltungen an der Kasseler Universität etwas von dem durch den Nationalsozialismus zerstörten jüdischen Erbe wieder bewusst zu machen vermögen.
Die Franz-Rosenzweig-Gastprofessur wurde in dieser Form von Wolfdietrich Schmied-Kowarzik über zwanzig Jahre bis zu seiner Emeritierung geleitet. Inzwischen wird sie in etwas modifizierter Form fortgeführt, sodass auch jüngere Wissenschaftler, deren Forschungen sich auf das Themenfeld des zerstörten jüdischen Erbes in der europäischen Geistesgeschichte beziehen, diese Gastprofessur wahrnehmen können.
1987: Peter Fuss (* 1932), Prof. für Philosophie an der University of Missouri in St. Louis.
1988: Leonard H. Ehrlich, (1924–2011), Prof. für Philosophie und Judaic Studies an der University of Massachusetts in Amherst.
1989: Joachim Israel (1920–2001), Prof. für Soziologie und Philosophie an der Universität Lund/Schweden
1990: Eveline Goodman-Thau (* 1934), Prof. für Religionsphilosophie an der Universität Wien, Privatdozentin an der Universität Kassel
1991: William W. Hallo (1928–2015), Prof. für Assyriologie an der Yale University in New Haven, Connecticut
1992: Zvi H. Rosen (1925–2014), Prof. für Philosophie an der Universität Tel Aviv
1993: Jacob Goldberg (1924–2011), Prof. für Osteuropäische Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem
1994: Benyamin Maoz (1929–2014), Prof. für Psychiatrie und Sozialpsychotherapie an der Ben Gurion University of Beer Sheva
1995: Rivka Horwitz (1926–2007), Prof. für Philosophie and Jewish Thought an der Ben Gurion University of Beer Sheva
1996: Hans Keilson (1909–2011), Psychoanalytiker und Schriftsteller in Bussum
1997: Emil Fackenheim (1916–2003), Prof. für Philosophie an der University of Toronto und The Hebrew University of Jerusalem
1998: Rafael N. Rosenzweig (1922–2001), Agrarökonom und Berater der israelischen und US-amerikanischen Regierung
1999: Albert H. Friedlander (1927–2004), Rabbiner, Prof. für Jüdische Geschichte und Dekan des Leo Baeck College in London
2000: Kurt Rudolf Fischer (1922–2014), Prof. für Philosophie an der University of Pennsylvania in Millersville und Honorarprof. an der Universität Wien
2001: Gerda Elata-Alster (* 1930 in Wien), Prof. für Literaturwissenschaft an der Ben Gurion University of Beer Sheva
2002: Feliks Tych (1929–2015), Prof. für Geschichtswissenschaft an der Akademie der Wissenschaften in Warschau
2002: Ze’ev Levy (1921–2010), Prof. für Philosophie an der Universität in Haifa
2003: Chaim Schatzker (* 1928), Prof. für Neuere Jüdische Geschichte an der Universität in Haifa
2004: Mihály Vajda (1935–2023), Prof. für Philosophie an der Universität Debrecen/Ungarn
2005: Michael Löwy (* 1938), Directeur de recherche für Religionssoziologie am Centre National de Recherche Scientifique in Paris
2006: Carl S. Ehrlich (* 1956), Prof. für Biblische Archäologie an der University of Toronto
2007: Moshe Zimmermann (* 1943), Prof. für Deutsche Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem
2008: Karol Sauerland (* 1936), Prof. und Leiter des Lehrstuhls für Germanistik an der Universität in Thorn/Polen
2009: Harry Redner (* 1937), Professorial Fellow für Philosophie an der Monash University in Melbourne/Australien
2010: Jakob Hessing (* 1944), Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem, seit 2004 dort Leiter der Germanistischen Abteilung
2012: Liliane Weissberg (* 1953), Professorin für Germanistik an der University of Pennsylvania in Philadelphia/USA
2013: Frank Stern[1] (* 1944 in Tapiau, Ostpreußen), deutscher Geschichts- und Kulturwissenschafter
2014: Philip V. Bohlman[2] (* 1952), Prof. für Musik an der University of Chicago.
2021: Dominique Bourel (* 1952), Philosoph und Historiker an der Sorbonne Université Paris.
2022: nicht besetzt
2023: Ynon Wygoda (* 1977), Philosoph am Franz Rosenzweig Minerva Forschungszentrum Jerusalem
Literatur
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Vergegenwärtigungen des zerstörten jüdischen Erbes. Franz-Rosenzweig-Gastvorlesungen Kassel 1987–1998. Kasseler Semesterbücher – Studia Cassellana. Kassel 1997, ISBN 3-7281-2518-0.
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Auseinandersetzungen mit dem zerstörten jüdischen Erbe. Franz-Rosenzweig-Gastvorlesungen (1999–2005). Kasseler Semesterbücher – Studia Cassellana 13. Kassel 2004, ISBN 3-89958-044-3.
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Der Philosoph Franz Rosenzweig (1886–1929). Internationaler Kongress Kassel 1986. Band I: Die Herausforderung jüdischen Lernens. Band II: Das neue Denken und seine Dimensionen. Freiburg/München 1988, ISBN 3-495-47655-5.
Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Franz Rosenzweigs „neues Denken“. Internationaler Kongress Kassel 2004. Band I: Selbstbegrenzendes Denken – in philosophos. Band II: Erfahrene Offenbarung – in theologos. Freiburg/München 2006, ISBN 3-495-48185-0.
Eva Schulz-Jander, Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Franz Rosenzweig – Religionsphilosoph aus Kassel. Kassel 2011. ISBN 978-3-933617-47-7.