Fare la Scarpetta ist eine vorwiegend in Italien gebräuchliche Redensart der Esskultur. Die deutsche Übersetzung lautet "den Schuh (Kinder oder Damenschuh, auch Pantoffel) herstellen". Die Redensart beschreibt den Vorgang des Aufnehmens letzter Saucenreste vom Teller z. B. mit einem zwischen den Fingern gehaltenen oder mit der Gabel geführten Stück Brot. Neben dem Vorgang des Teller-Leerens umfasst der Begriff ebenso ein Stück italienischer Esskultur als Symbol der Anerkennung von wertgeschätzter Kochkunst.
Die italienische Redewendung "den Schuh herstellen" beschreibt die Tätigkeit, mit einem Stück Brot die Reste der Sauce einer Mahlzeit vom Teller aufzunehmen.[1] Das Brot, mit dem die übrig gebliebene Sauce vom Teller verzehrt wird, kann auch mit einer Gabel aufgenommen werden. In den meisten Fällen wird es aber zwischen den Fingern gehalten und in einer Wisch-Bewegung geführt. Obwohl die Handlung keiner starren Regel unterliegt, ist sie dennoch Teil der populären italienischen Esskultur.[2]
Kulinarische und sprachliche Verbreitung in und außerhalb Italiens
Gemäß Projekt ALIQUOT (Atlante della Lingua Italiana QUOTidiana – Atlas der italienischen Alltagssprache) wurde von Januar bis Juni 2015 in einer Online-Umfrage die Gebräuchlichkeit der Redewendung Fare la Scarpetta für das Reinigen des Tellers am Ende der Mahlzeit untersucht. Das ermittelte Ergebnis bestätigte die flächendeckende und die über ganz Italien gleichmäßig verteilte Gebräuchlichkeit der Redewendung für die beschriebene Handlung.[2] Im Juli 2017 fand in der italienischen Provinz Cuneo im Museum Eco Museo Segheria La Pesa das Piccolo Festival della Scarpetta statt. Während dieser Veranstaltung wurden von den Teilnehmern selbst hergestellte Saucen von den Besuchern ausschließlich durch die Aufnahme mit Brot ohne Zuhilfenahme von Besteck verzehrt. Laut Veranstalter wurde die Idee dieses Festivals von der Kultur des Feierns, der Geselligkeit und der Teilnahme am internationalen Suppenfestival von Bologna inspiriert.[3] In Rom wurde am 12. April 2018 das RestaurantLa Scapetteria di Roma eröffnet, welches Saucen mit Brot ohne Besteck anbietet.[4][5]
Auch die OsteriaTanto Pe Magna in Rom bietet seine Gerichte mit größer als üblicher Soßenmenge für Fare la Scarpetta an.[6] 2005 nutzte der italienische Pasta-Hersteller Barilla unter dem von der WerbeagenturYoung & Rubicam entworfenen Werbe-Slogan" Tutti Vogliono Fare Scarpetta“ (übersetzt: Jeder will "Scarpetta" machen) die Redensart zur Bewerbung einer angeblich besonders Saucen-affinen Pasta-Sorte.[7] Aktuell (Stand Januar 2025) sind Pasta verschiedener Hersteller mit speziell angerauter Oberfläche, welche eine verstärkte Soßenhaftung bieten und so als besonders geeignet für die Praxis des Fare la Scarpetta sein sollen, europaweit im Handel.[8][9] Die grundlegende Idee, Pasta mit angerauter Oberfläche z. B. durch Verwendung von Bronzeformen herzustellen, geht allerdings auf in 2015 durchgeführte Experimente der Gastronomen und Köche Gualtiero Marchesi und Maurizio Riva zurück.[10]
Obwohl für Fare la Scarpetta grundsätzlich jede Brotsorte in Betracht kommt, wird vereinzelt eine von Dr. Len Fisher der Universität Bristol in 2001 durchgeführte Untersuchung zur Saucen-Aufnahmefähigkeit verschiedener Brotsorten herangezogen, wonach Ciabatta die höchste Aufnahmefähigkeit haben soll.[11][2]
Kontroverse zur Praxis in der Öffentlichkeit
Offizielle, in Italien bekannte Benimm-Regeln, wie beispielsweise die der Akademie Italien Galateo, legen dar, dass es bei Mahlzeiten in der Öffentlichkeit nicht erlaubt ist, das Brot mit den Händen zu nehmen und in die Sauce einzutauchen.[12][13] Gleichwohl wird das Aufnehmen und Führen des Brotes mit der Gabel sowie die Ausübung der Handlung im privaten Bereich als zulässig angesehen.[12]
Zwei Spitzenköche Italiens, Gualtiero Marchesi und Gianfranco Vissani, befürworten das Ausüben von Fare la Scarpetta ausdrücklich als Würdigung der Kochkunst durch den Gast.[14]
Begriffsherkunft
Ein fundierter Nachweis zur Herkunft der Redewendung ist nicht bekannt. Gleichwohl gibt es einige Erklärungsversuche und Deutungen:
"Das zusammengedrückte Stück Brot, das über den Teller fährt, ist wie der Schuh, der über den Boden streift und das mitnimmt, was gerade liegt"[15]
Gemäß Wörterbuch der italienischen Sprache (GDLI) wird als erste prominente Verwendung der Redewendung das Jahr 1987 angegeben. Demnach soll der Präsident des WWF Italiens, Fulco Pratesi, die Redewendung propagiert haben, um Sparsamkeit beim Geschirrwechsel zu praktizieren.[16][17]
Das Wörterbuch der Modernen italienischen Sprache 1952 von Angelico Prati erläutert die Redewendung und deren römischen Ursprung ebenfalls.[2]
Einzelnachweise
↑GRADIT: Großes Wörterbuch für den italienischen Gebrauch, Tullio De Mauro , Verlag UTET Turin, 1999-2000, ASIN B00ISHE72E, in Italienisch
↑Luisa Grigoletto: Bruckmann: 500 Hidden Secrets Rom: Ein Reiseführer mit garantiert den besten Geheimtipps und Adressen. Bruckmann Verlag, 2019, ISBN 978-3-7343-1617-3 (google.de [abgerufen am 20. Januar 2025]).
↑Wolfgang Reumuth: Sammelsurium für Sprachenfreaks. tredition, 2017, ISBN 978-3-7345-9076-4, S.93 (google.de [abgerufen am 21. Januar 2025]).
↑GDLI: Salvatore Battaglia, Großes Wörterbuch der italienischen Sprache , gegründet von Salvatore Battaglia, dann geleitet von Giorgio Bàrberi Squarotti, Turin, UTET, 1961-2002, 21 Bde.; Supplemento 2004 , Regie: Edoardo Sanguineti, 2004; Index der in den Bänden I-XXI und im Supplement 2004 zitierten Autoren , herausgegeben von Giovanni Ronco, 2004; Beilage 2009 , herausgegeben von Edoardo Sanguineti, 2008.