Seit 1996 betraute Victoria’s Secret jährlich einen Juwelier oder Schmuckdesigner damit, den hochpreisigen Fantasy Bra zu entwerfen. Wurde der BH zunächst nur im Katalog von Victoria’s Secret angeboten, war er seit 2001 Herzstück der im Fernsehen übertragenen Fashion Shows. Unter den Models der Fashion Show, den Victoria’s Secret Angels, wurde alljährlich eine Frau gekürt, die den Fantasy Bra präsentierte.
Nach Kritik an der Modemarke sowie sinkenden Zuschauerzahlen setzte 2019 die Fashion Show und damit auch die Produktion des Fantasy Bras zunächst aus, 2021 wurde das endgültige Ende der Veranstaltungsreihe bekannt gegeben.[4]
Luxusaccessoire und Ladenhüter
Der Fantasy Bra wurde von Victoria’s Secret als das „ultimative Weihnachtsgeschenk“ angepriesen und wurde regulär im Katalog zum Kauf angeboten. Verkauft worden sind jedoch seit der ersten Auflage 1996 nur die Exemplare aus den Jahren 2004 und 2012.[5] Obwohl die Fantasy Bras damit faktisch „Ladenhüter“ waren, erfüllten sie wichtige Marketing- und Verkaufsfunktionen. Im Katalog bildete das millionenschwere Prunkstück das obere Ende der Preisskala und verschob damit für den Kunden den preislichen Referenzrahmen nach oben: Im Vergleich erschien ein BH für 100 Dollar plötzlich äußerst günstig. In den ersten Jahren verstärkte sich dieser Effekt noch dadurch, dass die Fantasy Bras von Jahr zu Jahr teurer wurden, bis im Jahr 2000 ein Kaufpreis von 15 Millionen Dollar erreicht war. Seither – der Fantasy Bra war inzwischen als alltagskulturelles Event fest etabliert – sanken die Preise wieder, bis auf zwei Millionen Dollar im Jahr 2010. Einen wirtschaftlichen Verlust erlitt Victoria’s Secret in keinem Fall, denn die Juwelen konnten weiterverwendet werden.[6]
Neben den Fantasy Bras brachte Victoria’s Secret auch noch weitere exklusive Fantasy Gifts (dt. ‚Fantasie-Geschenke‘) heraus, zum Beispiel luxuriöse Abenteuer-Safaris. Alle diese Fantasy Gifts waren sehr teuer und luxuriös und damit letztlich für die Kunden unerschwinglich. Obwohl die Fantasy Gifts zum Kauf angeboten wurden, waren diese nicht in erster Linie auf Absatz ausgerichtet, sondern erweiterten die Fantasiewelt der Marke Victoria’s Secret um einen imaginären Raum. Bewusst spielte die Marke dabei mit der Grenze guten Geschmacks und der Faszination für das Absurde.[7]
In der feministischen Literatur wurde kritisiert, dass die Fantasy-Bra-Modelle sich weniger an potenzielle Käuferinnen richteten, als eine Fantasiewelt für heterosexuelle Männer konstruierten, in der leichtbekleidete Frauen sich als Konsumgüter anpreisen. Der Fantasy Bra stelle sich damit als Bindeglied zwischen zwei Symbolen männlicher Macht dar: Besitzergreifung weiblicher Sexualität und Reichtum. Eine vergleichbare Ausdrucksform dieser Machtsymbolik seien diamantenbesetzte Verlobungsringe.[8]
Einzelne Fantasy Bras
Fantasy Bra 2010 („The Bombshell“)
Der Fantasy Bra 2010 trug den Titel „The Bombshell“ (dt. ‚Granate‘, der Ausdruck Bombshell Girl bezeichnet eine Art Pin-Up). Der Entwurf für den cognacfabenen BH stammte von der Schmuckmanufaktur Damiani, die auch schon den Fantasy Bra 2009 entworfen hatte. Auf den mit Bügeln geformten Cups waren auf einem feinen Goldnetz 2355 weiße und cognacfarbene Diamanten im Harlekinmuster angeordnet. Beide Cups waren durch gekreuzte diamantenbesetzte Bändchen verbunden, die auch die Träger des BHs zierten, in der Mitte thronte ein herzförmiger 16-Karat-Diamant. Die Anfertigung des insgesamt 60 Karat Diamanten, 82 Karat blaue Saphire und blaue Topase schweren Modells erforderte 1500 Arbeitsstunden durch sechs Juweliere. Der Bombshell Fantasy Bra wurde im Katalog und auf der jährlichen Fashion Show von dem Model Adriana Lima präsentiert und kostete 2 Millionen Dollar, was im Vergleich mit den in den Vorjahren präsentierten Fantasy Bras ein eher günstiger Preis war.[9][10]
Fantasy Bra 2011 („Treasure“)
Der Fantasy Bra 2011 mit dem Titel „Treasure“ (Schatz) wurde von dem New Yorker Juwelierhaus London Jewelers entworfen. In mehr als 500 Arbeitsstunden wurden fast 3400 Perlen und Edelsteine, darunter weiße und gelbe Diamanten, Citrine und Aquamarine, in 18-karätigem Gelb- und Weißgold gefasst und in den hell türkisfarbenen Push-Up-Büstenhalter eingearbeitet. Es handelt sich um ein Modell mit Metallbügeln, wobei die Cups an der Oberkante in zwei Zacken ausliefen. Die Kanten der Cups sowie die Träger waren mit Reihen von weißen Perlen besetzt, die Cups zusätzlich mit einem floralen Muster aus Perlen und Edelsteinen bestickt. Am Trägeransatz befand sich je ein gelber Diamant. Der Anhänger in der Mitte des BHs war mit zwei großen weißen (8 Karat) und gelben (14 Karat) untereinander angeordneten Diamanten besetzt und lief in einer Quaste aus Perlen- und Edelsteinschnüren in Weiß und Helltürkis aus. Je zwei weitere Perlenschnüre verliefen unterhalb des eigentlichen BHs von dessen Mitte bis zum Verschluss am Rücken. Das Rückenteil des BHs war ansonsten nicht verziert. Alle verarbeiteten Diamanten zusammen ergaben über 142 Karat. In der Show wurde der Fantasy Bra 2011, der einen Preis von 2,5 Mio. Dollar hatte, von dem australischen Model Miranda Kerr getragen.[11][12]
↑Robert H. Frank: Falling behind: how rising inequality harms the middle class. University of California Press, 2007, S. 37. ISBN 978-0-520-25252-3.
↑Bernd Schmitt, David L. Rogers, Karen Vrotsos: There's no business that's not show business: marketing in an experience culture. Financial Times Press, 2004. S, 82. ISBN 978-0-13-047119-2
↑Rebecca Ross Russell: Gender and Jewelry: A Feminist Analysis. 2010, S. 49.