Von 1955 bis 1957 unterrichtete er als Lehrer am lycée de garçons de Montpellier (Lycée Joffre). In dieser Zeit begann er sich mit der Forschung zu beschäftigen, was einen entscheidenden Einfluss auf seine Karriere hatte. Von 1958 bis 1960 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre national de la recherche scientifique angestellt und von 1960 bis 1963 war er Assistent an der faculté de Lettres (Fakultät für Sprachen, Literatur, Philosophie und Geschichte) in Montpellier. In dieser Zeit war er Mitglied des Parti socialiste unifié (PSU).[5] Danach wechselte er als Dozent an die École des hautes études en sciences sociales (EHESS).[6] Mit der Arbeit Les Paysans de Languedoc wurde er 1966 zum docteur ès lettres promoviert (entspricht etwa einer Habilitation). Sein 1975 erschienenes Werk Montaillou, village occitan de 1294 à 1324 hatte weltweiten Erfolg. Es handelt vom Alltagsleben in einem okzitanischen Dorf in den Pyrenäen und beruht auf den Notizen des Inquisitors Jacques Fournier, Bischof von Pamiers im 14. Jahrhundert.[7]
Nachdem Le Roy Ladurie als junger Mann mit dem Kommunismus sympathisiert hatte, wurde er später zu einem Vertreter der liberalen Rechten[12] und ausgesprochenen Kritiker linker Ideologien. Er wurde 1985 stellvertretender Vorsitzender der Gruppe Liberté sans Frontières („Freiheit ohne Grenzen“), die sich gegen linke Entwicklungstheorien und totalitäre Regimes in der Dritten Welt stellte.[13] Außerdem war er ab 2000 Vorsitzender der von Karel Bartošek initiierten Association d’études et de recherches en sciences sociales Annie Kriegel, einer antitotalitären wissenschaftlichen Vereinigung.
Am 22. November 2023 verstarb Emmanuel Le Roy Ladurie im Alter von 94 Jahren in Paris.[2]
Werk
Le Roy Laduries Hauptgebiet war die Erforschung und Beschreibung des Lebens der einfachen Menschen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, speziell in der Region Languedoc-Roussillon. Er rekonstruierte die Alltagsgeschichte und Strukturen hinter den Ereignissen zum Beispiel aus Protokollen der Inquisition oder Steuerlisten und Anwaltsschriften der Kleinstadt Romans.
Le Roy Ladurie wurde als Pionier der mikrohistorischen Analyse bezeichnet und damit zu den einflussreichsten zeitgenössischen Historikern gezählt. Er wurde stark durch seinen Mentor Fernand Braudel und die Annales-Schule geprägt.[14] Mehrere seiner geschichtswissenschaftlichen Bücher wurden zu Bestsellern; besonders seine 1975 veröffentlichte Monografie Montaillou über das Leben und die Mentalität von Hirten und Bauern im Dorf Montaillou zu Zeiten der Katharer-Verfolgung war ein großer Erfolg. Im Buch Karneval in Romans (1979) beschrieb er unter vielen Dimensionen einen kleinbürgerlichen Aufstand 1579/80 in der Kleinstadt Romans in der Dauphinè, der am Karnevalsfest niedergeschlagen wurde.
Le Roy Ladurie gilt als einer der Pioniere der historischen Klimatologie. Er war ein Vorreiter in der Rekonstruktion der Klimageschichte aus Schriftzeugnissen, den Klimaarchiven der Gesellschaft. In seiner Klimageschichte seit dem Jahr 1000[15][16] konzentrierte er sich auf die Rekonstruktion von Schwankungen von Mittelwerten der Temperatur in der vorinstrumentalen Vergangenheit anhand von historischen Daten des Weinlesebeginns und von Berichten über historische Alpengletscher während der kleinen Eiszeit. Dabei distanzierte er sich von Elementen des klimatischen Determinismus in der älteren Geschichtsschreibung.[17][18] Entsprechend der bis ins ausgehende 20. Jahrhundert in der Klimatologie geltenden vorrangigen Beschäftigung mit Mittelwerten[19] und der Geringschätzung kurzfristiger Ereignisse in der damals vorherrschenden Annales-Schule betrachtete er die Beschäftigung mit Extremereignissen und Naturkatastrophen anhand von chronikalischen Quellen als trivial, was er in einer Kontroverse mit dem schwedischen Historiker Gustav Utterström zum Ausdruck brachte.[20] Aufgrund des erwachenden öffentlichen Bewusstseins für den anthropogenen Klimawandel und seine Folgeerscheinungen im 21. Jahrhundert schloss Le Roy Ladurie später auch Extremereignisse und Naturkatastrophen in seine klimageschichtlichen Darstellungen ein.[21] Als seinen bedeutendsten Nachfolger auf dem Gebiet der Historischen Klimatologie betrachtete er den Schweizer Historiker Christian Pfister, mit dem er freundschaftlich verbunden blieb.[22]
Er schrieb auch über den Aufstieg von Thomas Platter dem Älteren, einem Schweizer, der es im 16. Jahrhundert vom Hirten zum Humanisten und Rektor in Basel brachte, und gab Dokumente, Autobiographisches und Reiseberichte zu ihm und dessen Familie heraus, besonders von Thomas Platter dem Jüngeren, der in Montpellier studierte.
Le Carnaval de Romans: de la Chandeleur au Mercredi des cendres (1579–1580). Gallimard, Paris 1979.
Übersetzung: Karneval in Romans. Von Lichtmeß bis Aschermittwoch 1579–1580. Klett-Cotta, Stuttgart 1979, ISBN 3-12-935060-8. Neuausgabe, dtv, München 1989, ISBN 3-423-04498-5.
Le Siècle des Platter. Band 1: Le mendiant et le professeur.Fayard, Paris 1995.
Übersetzung: Eine Welt im Umbruch. Der Aufstieg der Familie Platter 1499–1628. Klett-Cotta, Stuttgart 1998, ISBN 3-608-91779-9.
Le Siècle des Platter. Band 2: Le voyage de Thomas Platter. 1595–1599. Fayard, Paris 2000, ISBN 2-213-60547-5.
Le Siècle des Platter. Band 3: L’Europe de Thomas Platter: France, Angleterre, Pays-Bas. 1599–1600. Herausgegeben, übersetzt, und kommentiert von Emmanuel Le Roy Ladurie. Fayard, Paris 2006, ISBN 2-213-62785-1.
L’Historien, le Chiffre et le Texte. Fayard, Paris 1997.
Saint-Simon ou le système de la Cour. Fayard, Paris 1997.
Les fluctuations du climat de l’an mil à aujourd’hui. Fayard, Paris 2011.
Une vie avec l’histoire. Mémoires.Tallandier, Paris 2014.
Literatur
Stefan Lemny: Emmanuel Le Roy Ladurie – une vie face à l’histoire.Hermann, 2018.
Patrick Bahners, FAZ, 22. November 2023: Emmanuel Le Roy Ladurie gestorben. Die Liebe des Pfarrers zur Burgdame hat einen Ortsnamen. Frechheit siegt über fachliche und politische Orthodoxie. Der Historiker Emmanuel Le Roy Ladurie, Autor des Bestsellers „Montaillou“, ist im Alter von 94 Jahren gestorben.
↑ abHélène Chaubin: LE ROY LADURIE Emmanuel, Bernard. In: Le Maitron – Dictionnaire biographique mouvement ouvrier mouvement social. Stand 4. August 2009.
↑Emmanuel Le Roy Ladurie und Daniel Rousseau: Impact du climat sur la mortalité en France, de 1680 à l’époque actuelle. Hrsg.: La météorologie. No. 64, 2009, S.43–53.
↑Jean-Pierre Javelle, Emmanuel Le Roy Ladurie und Daniel Rousseau: Sur l’histoire du climat en France: le XIXe siècle. Hrsg.: La météorologie. No. 92, 2016, S.21–25.
↑François Dosse: Mai 68, les effets de l’histoire sur l’Histoire. Hrsg.: Politix. vol. 2, No. 6, 1989, S.47–52.
↑Emmanuel Le Roy Ladurie: Histoire du climat depuis l'an mil (= Champs). Flammarion, Paris 2009, ISBN 978-2-08-122868-9.
↑Emmanuel Le Roy Ladurie, Emmanuel Le Roy Ladurie: Times of feast, times of famine: a history of climate since the year 1000. Allen, Unwin, London 1971, ISBN 978-0-04-551020-7.
↑Franz Mauelshagen: „Anthropozän“. Plädoyer für eine Klimageschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Zeithistorische Forschungen, Band 9, 2012, S. 131–137 (online).
↑Franz Mauelshagen: Klimageschichte der Neuzeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010, ISBN 978-3-534-21024-4, S. 22 f.
↑Christian Pfister, Heinz Wanner: Klima und Gesellschaft in Europa: die letzten tausend Jahre. Haupt Verlag, Bern 2021, ISBN 978-3-258-08182-3, Kapitel 4.6.
↑Emmanuel Le Roy Ladurie, Emmanuel Le Roy Ladurie: Times of feast, times of famine: a history of climate since the year 1000. Allen, Unwin, London 1971, ISBN 978-0-04-551020-7.
↑Emmanuel Le Roy Ladurie, Daniel Rousseau, Anouchka Vasak: Les fluctuations du climat, de l'an mil à nos jours. Fayard, Paris 2011, ISBN 978-2-213-65424-9.
↑Emmanuel Le Roy Ladurie: Naissance de l'histoire du climat (= Météos. Série Etudes). Hermann, Paris 2013, ISBN 978-2-7056-8352-8, S.20.