Else Friederike Auguste Jeanette Unger, verheiratete Holzinger (* 25. Februar1873 in Wien; † 21. März1936 in Zirl[1]) war eine österreichische Kunsthandwerkerin. Sie war Gründungsmitglied der Vereinigung Wiener Kunst im Hause.
Else Unger war das älteste von fünf Kindern des Malers und Radierers William Unger (1837–1932). Die jüngere Schwester Hella Unger (1875–1932) wurde Bildhauerin und Medailleurin. Die Schwester Erna wurde 1877 geboren, später kamen noch die Brüder Rudolf und William dazu.[2]
Else Unger war verheiratet mit dem Architekten und Gewerbeschul-Professor Emil Holzinger (1877–1938). Ihre Tante war die Malerin Johanna Unger (1836–1871).
Zwischen 1895[3] (nach anderen Quellen 1898)[4] und 1901 studierte Unger an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Josef Hoffmann und war danach selbstständige Künstlerin in Wien. Diese berufliche Tätigkeit endet mit Beginn des Ersten Weltkrieges. William Unger zog in seinen letzten Lebensjahren zu Else Holzinger-Unger nach Innsbruck.[5]
Die Künstlerin entwarf Möbel, Textilien (für die Fa. Johann Backhausen & Söhne) und kunstgewerbliche Objekte. Für die Fa. E. Bakalowits Söhne fertigte sie Glasentwürfe. Die Musterkataloge dazu befinden sich im MAK Wien. Unger präsentierte ihre Entwürfe auch zusammen mit ihrer Schwester Hella.[6][7]
Else Unger gehörte gemeinsam mit Emil Holzinger zu den Gründungsmitgliedern der Vereinigung Wiener Kunst im Hause. Die Gruppe setzte sich aus ehemaligen Studentinnen und Studenten von Josef Hoffmann und Koloman Moser zusammen und entwarf moderne Inneneinrichtungen und Gebrauchsgegenstände aus ganz unterschiedlichen Materialien wie Metall und Holz, Glas und Ton, Leder, Papier und Leinen. Für die erste Ausstellung Ende 1901 im Hanuschsaal des Wiener Kunstgewerbevereins steuerte Unger Textilentwürfe und Toilettegegenstände bei. Die Beleuchtungskörper für das Herrenzimmer gestaltete sie gemeinsam mit Franz Messner. Für die Industrie- und Gewerbeausstellung vom 1. Mai bis zum 20. Oktober 1902 in Düsseldorf gestaltete Unger eine funktional gestaltete, versilberte Toilettegarnitur. Auch in der 15. Secessionsausstellung Ende 1902 war die Künstlerin als Teil der Gruppe vertreten. Eine Vitrine zeigte ihre Stoffmuster, getriebene Messingplatten, Schmuck, Vorsatzpapiere und einen Bucheinband. Sie wurde weiter als Entwerferin eines Lusters aufgeführt. Die Ziele und das Auftreten der Gruppe erschienen ihren Zeitgenossen bemerkenswert:[8]
„In dieser amüsanten Gegend der Ausstellung hat auch die jugendliche Gruppe; „Wiener Kunst im Hause“ ihr Heim aufgeschlagen. Gut, neu und billig ist hier die Devise; man soll nicht reich sein müssen, um modern ausgestattet zu leben. Es wird durchaus in der Richtung Hofmann-Moser gearbeitet, und mit dem Talent, das man bereits kennt. Die Damen Baronesse Gisela Falke, Else Unger, Jutta Sika, Marietta Beyfuss haben an Anstelligkeit und Erfindungslust für die verschiedensten Stoffe, vom Ton und Glas bis zum Linnen und Papier, nicht eingebüsst. Die Herren Schmidt, Messner, Powolny und Andere kommen ihnen gar nicht mehr nach.“
– (Ludwig Hevesi: Aus dem Wiener Kunstleben)
Auf Internationalen Wissenschaftlichen und Gewerblichen Ausstellung ‘Die Kinderwelt‘ in St. Petersburg sollten u. a. Kunstwerke der kindlichen Lebenswelt ausgestellt werden. Das österreichische Ausstellungskonzept unterschied dabei zwischen Kunstwerken, die Kinder als Gegenstand der Kunst aufgriffen und Kunst, die zu einer ästhetischen Erziehung des Kindes führen sollte. Else Unger übernahm die Aufgabe, für den zweiten Ansatz den Ausstellungsbereich Kunst- und Kunstgewerbe zu konzipieren. Sie gewann für ihre Präsentation Künstlerinnen wie Adele von Stark (Emailgegenstände), Ella Baumfeld (Keramik), Else Lott (Kunststickerei), Hilde Lott (Radierung im Kupferrahmen), Rosa Neuwirth, Marie Münster, Therese Trethan, Mizi Uchatius und Hilde Exner (Holzschnitte und keramische Arbeiten) sowie die Künstler Josef Hoffmann (kunstgewerbliche Silbersachen), Karl Sumetsberger (Sitzgelegenheiten für ein Mädchenzimmer), Emil Holzinger (Ledersachen, Zierkästchen) und Koloman Moser (Ziergefäße aus Glas). Else Unger selbst präsentierte ein Nippkästchen und verschiedene Gebrauchsgegenstände in Silber. Die Präsentation fand Anklang beim Publikum und es konnten viele Arbeiten verkauft werden.[9]
Auf der Frühjahrsausstellung des Mährischen Gewerbemuseums in Brünn 1904 zeigte Else Unger Deckenlampen. In der Berichterstattung wurde wieder betont, dass die Entwürfe der mit Glasketten behängten Leuchten sofort Besteller fanden. Von Unger wurden weiter runde, getriebene Silberplatten gezeigt.[10]
Über die genannten Ausstattungen hinaus entwarf Else Unger Möbel. Ludwig Hevesi bezeichnete ihren Sekretär aus bunt gebeiztem Lindenholz als ein Hauptstück des österreichischen Kunstgewerbes auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900:[11][12]
„Er ist in blaugrau gebeiztem Lindenholz, innen roth polirt und schmückt sich unter Verzicht auf alle hausmässigen „Bautheile“, mit flächenhaft hingeschnitzten Hortensienblüten (Emilio Zago), zwischen denen an der Vorderseite ein origineller, decolleteartiger Ausschnitt bleibt. ... In Paris wird man von ihr noch eine schöne Arbeit sehen, die ornamentale Umfassung des Geyling’schen Glasbildes (mit Feigenblättern, Maulbeerlaub, Pfauenfedern etc.) im Seidenhof.“
– (Ludwig Hevesi: Die Kunstgewerbeschule auf der Pariser Weltausstellung)
Ihr Paravent mit Rahmen in gebeiztem Ahornholz und Füllungen aus Holz und Glas sowie Darstellungen von Frauenfiguren, erstmals ausgestellt auf der Jahresausstellung der Wiener Kunstgewerbeschule, wurde mehrfach publiziert und gehört heute zum Bestand des MAK.[13]
Trivia
Bei einem Preisausschreiben der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration für die Einband-Decke der Zeitschrift für Innen-Dekoration im Jahr 1902 stellte sich heraus, dass ein für den dritten Preis vorgesehener Teilnehmer die Künstlerin Unger kopiert hatte. Josef Hoffmann saß im Preisgericht und konnte das Plagiat entlarven.[14]
Kulturamt der Stadt Wien, Wien um 1900, Katalog, Kat.-Nr. 820, 850ff.
Landesgewerbeamt Baden-Württemberg, Design Center Stuttgart, Angela Oedekoven-Gerischer, Andrea Scholtz, Edith Medek, Petra Kurz: Frauen im Design, Berufsbilder und Lebenswege seit 1900, Stuttgart 1989, S. 46–47.
Rebecca Houze: Textiles, Fashion and Design Reform in Austria-Hungary Before the First World War, Farnham, Ashgate, 2015.[18]ISBN 978-1-4094-3668-3
Christoph Thun-Hohenstein, Anne-Katrin Rossberg, Elisabeth Schmuttermeier(Hg.): Die Frauen der Wiener Werkstätte, MAK, Wien und Birkhäuser Verlag, Basel 2020, S. 36–41, 273-274 ISBN 978-3-0356-2211-9
Einzelnachweise
↑ abSterbebuch Evangelische Pfarre A. B. Gmunden, sig. 301/01, fol. 166 (Faksimile).
↑Allgemeines Künstlerlexikon Online / Artists of the World Online, De Gruyter, 2009
↑Landesgewerbeamt Baden-Württemberg, Design Center Stuttgart, Angela Oedekoven-Gerischer, Andrea Scholtz, Edith Medek, Petra Kurz: Frauen im Design, Berufsbilder und Lebenswege seit 1900, Stuttgart 1989, S. 46.
↑ ab[3] Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 15.1904, S. 194.
↑ ab[4] Julius Leisching: Der gedeckte Tisch. In: Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905, S. 11.
↑[5] Ludwig Havesi Aus dem Wiener Kunstleben in Kunst und Kunsthandwerk; Monatsschrift herausgegeben vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, 1902, 618.
↑ abcd[6] Bericht der Österreichischen Kommission.
↑[7] Julius Leisching: Der gedeckte Tisch. In: Kunstgewerbeblatt. Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe i. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart NF 16, 1905, S. 11–12.
↑[8] Ludwig Hevesi: Die Kunstgewerbeschule auf der Pariser Weltausstellung in Kunst und Kunsthandwerk; Monatsschrift herausgegeben vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, S. 116/117.
↑[9] Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 13.1902, S. 130.
↑[10] Malkowsky, Georg [Red.]: Die Pariser Weltausstellung in Wort und Bild. Berlin 1900, S. 313.
↑[11] Eduard Leisching: Die Ausstellung der K. K. Kunstgewerbeschule in Prag und der Kunstgewerbeschule des K. K. Österreichischen Museums in: Kunst und Kunsthandwerk. Monatsschrift herausgegeben vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie 1901, S. 274ff.
↑archive.org, Saal VI, Wiener Kunst im Hause, Katalog der XV. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession Wien, November bis Dezember 1902, S. 36 f., zuletzt abgerufen am 21. Januar 2022.
↑[12] A. L. Plehn: Das Kunsthandwerk auf der Ausstellung in Düsseldorf 1902. In: Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 14.1903, S. 25.
↑[13] Julius Leisching Die Ausstellung von Bucheinbänden und Vorsatzpapieren im K. K. Österreichischen Museum. In: Zeitschrift für Bücherfreunde, Heft 2, Mai 1903, 7. Jahrgang 1903/1904, S. 80.
↑Digitalisat Das Interieur. Wiener Monatshefte für angewandte Kunst, IV, 1903, S. 100.
↑ abDigitalisat Das Interieur. Wiener Monatshefte für angewandte Kunst, IV, 1903, S. 218.
↑[16] Eduard Leisching: Die Ausstellung Der K. K. Kunstgewerbeschule In Prag und der Kunstgewerbeschule Des K. K. Österreichischen Museums in Kunst und Kunsthandwerk, Monatsschrift herausgegeben vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, 1901, S. 294.
↑Digitalisat Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 13.1902, S. 209.
↑Digitalisat Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 13.1902, S. 211.
↑Digitalisat Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 13.1902, S. 218.
↑[17] Die Kunst, Monatsheft für freie und angewandte Kunst, 1903, S. 76.
↑Digitalisat Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905, S. 16.