Elisabeth Marie, die in der Familie „Erzsi“ genannt wurde (die ungarische Koseform von Elisabeth), war erst fünf Jahre alt, als ihr Vater am 30. Jänner 1889 in Mayerling seine Geliebte Mary Vetsera und sich selbst erschoss.[1]
Nach diesem Schicksalsschlag nahm sich ihr Großvater, Kaiser Franz Joseph, seiner „Lieblingsenkelin“[2] besonders an.
1900 heiratete ihre Mutter Stephanie in zweiter Ehe den ungarischen Grafen Elemér Lónyay von Nagy-Lónya und Vasaros-Nameny und schied damit aus der österreichischen Dynastie Habsburg-Lothringen aus. Erzsi hatte danach kaum noch Kontakt zu ihr. Das Verhältnis war zudem dadurch belastet, dass sie ihrer Mutter eine Mitschuld an der Tragödie von Mayerling gab. Ihren toten Vater Rudolf und seine Geliebte Mary von Vetsera betrauerte sie zu jedem Todestag.
Leben als Erwachsene
Ehewunsch gegen Willen des Kaisers
Erzherzogin Elisabeth Marie hatte keine materiellen Sorgen. Der Kaiser hatte sie großzügig mit Mitteln versorgt; auch von dem Erbe ihrer Großmutter Elisabeth („Sisi“) erhielt sie einen erheblichen Betrag.[3] Sie verliebte sich im September 1900 in Prinz Otto zu Windisch-Graetz (1873–1952). Ihr Heiratswunsch stieß jedoch anfangs auf den Widerstand des Kaisers, da Windisch-Graetz nicht ebenbürtig war und für Elisabeth Marie eine Verbindung mit dem deutschen Kronprinzen Wilhelm in Aussicht genommen war. Sie hielt aber auch nach einer ihr auferlegten Bedenkzeit an Windisch-Graetz fest, so dass Kaiser Franz Joseph schließlich einwilligte.
Elisabeth Marie schied aus dem Haus Habsburg-Lothringen aus und verzichtete damit auf alle Ansprüche, z. B. im Notfall aus dem Familienversorgungsfonds der Dynastie unterstützt zu werden, Windisch-Graetz wurde anlässlich der Hochzeit in den persönlichen Fürstenstand erhoben.[4] Die Verlobung wurde im Schloss Hetzendorf gefeiert, die kirchlicheTrauung in der Hofburg-Kapelle vollzogen. Die Braut war 18 Jahre, der Bräutigam um zehn Jahre älter. Elisabeth fühlte sich erstmals in ihrem Leben frei.[3]
Aus der am 23. Jänner 1902 geschlossenen Ehe gingen vier Kinder hervor. Die Ehe verlief jedoch nicht glücklich und war durch angeblich häufige beiderseitige Untreue und Eifersucht gekennzeichnet. Der Legende nach soll Elisabeth Marie sogar einmal in Prag auf eine Geliebte ihres Mannes, die Opernsängerin Marie Ziegler, geschossen und sie schwer verletzt haben.[5]
Schloss Schönau wird ständiger Wohnsitz
1911 kaufte Elisabeth Schloss Schönau und ließ es kostspielig umgestalten. Davor hatte es Otto Franz Joseph von Österreich, ein Neffe Kaiser Franz Josephs besessen.[6] Fortgesetzt wurde in der Gesellschaft des Kaiserreiches über die Untreue des Otto Windisch-Graetz gemunkelt.[3] Die Eheleute entfremdeten sich immer mehr, und Elisabeth Marie verbrachte die Winter mit ihren Kindern, getrennt von ihrem Mann, in Istrien. Dort lernte sie 1913 in Pola Linienschiffsleutnant Egon Lerch kennen, mit dem sie eine zumindest freundschaftliche Beziehung verband, bis er im August 1915 als U-Boot-Kommandant fiel.
Im Ersten Weltkrieg scheiterte die Ehe endgültig. Erstmals hatte sie im August 1915 ihren Mann Otto mit ihrem Scheidungswunsch konfrontiert. Der betagte Kaiser, der grundsätzlich gegen Scheidungen war, willigte allerdings nicht ein.
Sorgerechtsstreit um Kinder
Nach dem Tod des Kaisers kam es zu heftigen Auseinandersetzungen um das Sorgerecht für die Kinder,[7] die erst 1924 beigelegt wurden, als sich das Paar definitiv trennte. Die Ehe wurde damals, nach anderen Quellen aber erst im Februar 1948 offiziell geschieden.[8] Hintergrund war ein 1921 von Otto Windisch-Graetz angezettelter Gerichtsbeschluss, der ihm die Kinder zuteilte. Damals stand das Gericht in Sorgerechtsstreitigkeiten traditionell auf Seiten des Mannes. Die Kinder weigerten sich aber verzweifelt, vom Vater mitgenommen zu werden.
Als schließlich der Richter samt Gerichtsvollzieher und 22 Gendarmen nach Schloss Schönau kam, um die Kinder abzuholen, blockierten an die hundert sozialdemokratische Arbeiter den Eingang. Der Richter musste abziehen. Dieser Vorfall beschäftigte die internationale Presse und die christlichsozial geführte Bundesregierung. Das vom Ehemann erzwungene Gerichtsverfahren wurde eingestellt, und die Kinder blieben bei der Mutter.[3]
Elisabeth erwirkt endgültige Scheidung
Gesetzeskonform war Elisabeth 1924 offiziell „von Tisch und Bett getrennt“, aber nach der damaligen kirchlich bestimmten Gesetzgebung nicht endgültig geschieden, wodurch eine Wiederverheiratung unmöglich war (vgl. auch Eheaufhebung und Ehescheidung). Erst 1948 erreichte sie die Beseitigung aller diesbezüglichen bürokratischen Hindernisse.[3]
Sie öffnete ihren Schlossgarten für die Kinder der trostlosen Arbeitersiedlungen in der Umgebung und half mit Gemüse und Obst von den Feldern des Schlosses. Daraus ergaben sich Kontakte mit den sozialdemokratischen Kinderfreunden.[3] Elisabeth Windisch-Graetz beschäftigte sich zunehmend mit der Sozialdemokratie. Petznek motivierte wohl Elisabeth Windisch-Graetz zur Annäherung an die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), der sie im Oktober 1925 beitrat.
Ihr frauenpolitisches Verständnis brachte sie 1927 in einem langen Zeitungsinterview zum Ausdruck: „Die Sozialdemokraten allein haben den Frauen mit der Tat geholfen. […] Die Zukunft gehört dem Sozialismus“. Weiterhin engagierte sich Elisabeth vor allem bei den Kinderfreunden, für die sie am 1. Mai rote Papiernelken verkaufte. Amüsiert erzählte sie später, dass sie manchmal von Genossinnen mit „kaiserliche Hoheit“ angesprochen wurde.[3]
Im Herbst 1927 lernten sie und ihre Tochter Stephanie Eleonore den späteren BundeskanzlerBruno Kreisky kennen. Kreisky erinnerte sich fast 60 Jahre später: „Es war übrigens der erste Parteitag, an dem ich als Zuhörer auf der Galerie teilnahm, und er ist mir auch deshalb gut in Erinnerung geblieben, weil ich neben der Prinzessin Windisch-Graetz saß, die ihre bildhübsche Tochter mitgebracht hatte. Die „rote Prinzessin“, wie sie genannt wurde, war […] eine interessante Erscheinung, eine der schönsten Enkelinnen Franz Josephs …“.[9]
Der Legende nach soll Kreisky auch noch später im Kreise seines Parteivorstandes wiederholt gesagt haben, dass man für alltagstaugliches Politikverständnis ausschließlich von Arbeitern und von Hochadeligen etwas lernen könne. Elisabeths Vorstellung von der Sozialdemokratie soll von Kreiskys politischer Überzeugung geprägt gewesen sein, der Kernauftrag der Sozialdemokratie sei die permanente Sicherstellung des „gerechtenAlltags“ und des „sozialenFriedens“ für alle Menschen.
Das Villenanwesen, in dem sie mit ihrem Lebensgefährten Petznek von 1930 an wohnte, kannte Elisabeth seit ihrer Kindheit. Die Mitte des 19. Jahrhunderts von Hofarchitekten errichtete Spätbiedermeiervilla und ihr ausgedehnter Park waren in einer Karte von 1872 westlich des Zentrums von Hütteldorf zwischen Wolfersberg im Norden und Nikolaiberg im heutigen Lainzer Tiergarten im Süden, jenseits des Wienflusses, eingezeichnet.
Wie im benachbarten Jagdschloss Esterházy zogen den Hochadel auch hier die privaten Jagdeinladungen der Habsburger in die Wienerwaldberge an. Der unmittelbar angrenzende Wolfersberg, der benachbarte Bierhäuselberg und das gegenüber liegende, später Lainzer Tiergarten genannte Areal waren private Jagdreviere des Kaiserhauses. Beispielsweise wurde 1846 in der Nähe von Elisabeths späterer Villa der auf mehr als 150 Jahre letzte Wolf im Wienerwald durch Erzherzog Franz Karl von Österreich, den Vater Kaiser Franz Josephs, erlegt.[10]
Eheschließung mit Petznek
Leopold Petznek wurde nach der Errichtung der Diktatur durch Dollfuß im Jahr 1934 vorübergehend verhaftet. Danach engagierten sich Leopold und Elisabeth für Familien, deren sozialdemokratische Angehörige inhaftiert waren. Leopold Petznek wurde 1944 ein zweites Mal verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Von dort konnte er erst zum Ende des NS-Regimes, 1945, heimkehren. Von 1945 bis 1947 war er, vom Nationalrat gewählt, Präsident des Rechnungshofes.
Elisabeth heiratete ihn am 4. Mai 1948.[11] (Die Angabe 14. Mai beruht auf einem Tippfehler.)
Die Villa in Hütteldorf war indessen von September 1945 bis Februar 1955 vom Oberbefehlshaber der französisch besetzten Zone Österreichs, General Emile Béthouart, beschlagnahmt (sie lag im französischen Sektor Wiens). Erst nach dem Abschluss des Staatsvertrags, 1955, konnte das Paar in sein Haus zurückkehren, als beide schon schwer krank waren. Leopold Petznek starb, 75-jährig, 1956 und wurde auf dem Hütteldorfer Friedhof bestattet.
Lebensabend, Rückzug aus der Öffentlichkeit, Tod
Zeit ihrer SDAP- und SPÖ-Mitgliedschaft unterstützte sie die Sozialdemokratie aktiv, auch durch ihre Anwesenheit bei Parteiveranstaltungen. Eine schwere rheumatische Erkrankung und das Leben im Rollstuhl zwangen Elisabeth schließlich, sich aus der Öffentlichkeit in ihre Villa zurückzuziehen, wo sie unter anderem von ihrem engen Parteifreund Bruno Kreisky besucht wurde.
Elisabeth Petznek starb 1963 mit 79 Jahren und wurde auf dem Hütteldorfer Friedhof in Wien in demselben Grab wie ihr Mann (Gruppe 2, Nummer G72) beerdigt. In derselben Grabstätte waren vorher bereits zwei Söhne Elisabeths aus erster Ehe, Rudolf († 1939) und Ernst († 1952), bestattet worden.[12] Das Grab ist mit einem steinernen Kreuz ohne jede Inschrift gekennzeichnet, wie Elisabeth es verfügt hatte.
Ehrungen
Seit 1998 ist nach ihr die Elisabeth-Petznek-Gasse benannt, eine kurze Seitengasse der Hüttelbergstraße, in Luftlinie etwa 500 Meter von der Windisch-Graetz-Villa entfernt. Die Wiener Parteischule der SPÖ benannte 2024 einen Lehrgang nach Elisabeth Petznek.
Erbschaftsstreitigkeiten
Elisabeth verfügte über beträchtliches Vermögen, wobei sie den großflächigen Park ihrer Penzinger Windisch-Graetz-Villa, in bester Wiener Wohnlage, der Stadt Wien zur Errichtung einer neuen Wohnhausanlage überließ. Das ursprüngliche Gesamtareal, in der heutigen Linzer Straße 448 bis 452 jeweils bis zur heutigen Anzbachgasse gelegen, wurde zwischenzeitlich geteilt und dessen östlicher Teil von Verwandten Elisabeths vorübergehend für eine Ordensgemeinschaft verwaltet.
Nach der Beilegung teils heftiger juristischer Auseinandersetzungen zwischen einigen erbberechtigten Verwandten Elisabeths und den Begünstigten wurden im ursprünglich westlichen Teil des Parks, oberhalb der Villa in der Linzer Straße 452, eine soziale Gemeindewohnanlage der Stadt Wien und danach im östlichen Teil, Linzer Straße 448 bis Anzbachgasse, eine genossenschaftlich-gemeinnützige Parkvillenanlage errichtet, wobei der Baugrundriss der Parkvillen an Elisabeths Villa erinnert.[13][14]
Namen und Titel
1883–1902: Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela, Erzherzogin von Österreich
1902–1919: Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela, Fürstin zu Windisch-Graetz
1919–1948: Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela Windisch-Graetz[8]
1948–1963: Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela Petznek
Erzherzogin (bis 1918) Elisabeth Marie von Österreich (1883–1963)
Nachkommen
Aus Elisabeth Petzneks erster Ehe stammen ihre vier Kinder:[15]
Franz Josef Windisch-Graetz (* 1904 in Prag; † 1981 in Nairobi), geb. Prinz Franz Josef Marie Otto Antonius Ignatius Oktavianus zu Windisch-Graetz;
⚭ (1934 in Brüssel) Ghislaine Windisch-Graetz (* 1912 in Ixelles/Elsene; † 1997 in Namur), geb. Gräfin d’Arschot Schoonhoven.
Ernst Windisch-Graetz[12] (* 1905 in Prag; † 1952 in Wien), geb. Prinz Ernst Weriand Maria Otto Antonius Expeditus Anselmus zu Windisch-Graetz:
⚭ (1927 in Wien) Ellen Windisch-Graetz (* 1906 in Scheibbs; † 1982 in Wien), geb. Ellen Skinner; gesch. 1938, annulliert 1940;
⚭ (1947 in Schwarzenbach an der Pielach) Eva Windisch-Graetz (* 1921 in Wien), geb. Eva Isbary (adelshistorisch: Freiin Isbary).
Rudolf Johann Windisch-Graetz[12] (* 1907 in Ploschkowitz (Ploskovice); † 1939 in Wien), geb. Prinz Rudolf Johann Maria Otto Joseph Anton Andreas zu Windisch-Graetz.
Stephanie Björklund, verw. Gräfin d’Alcantara de Querrieu (* 1909 in Ploschkowitz (Ploskovice); † 2005 in Uccle/Ukkel), geb. Prinzessin Stephanie[16] Eleonore Maria Elisabeth Kamilla Philomena Veronika zu Windisch-Graetz
⚭ (1933 in Brüssel) Graf Pierre d’Alcantara de Querrieu (* 1907 in Bachte-Maria-Leerne/Deinze; † 1944 KZ Oranienburg);
⚭ (1945 in Brüssel) Carl Axel Björklund (* 1906 in Högsjö; † 1986 in Anderlecht).
Literatur
Michaela Lindinger: Elisabeth Petznek. Rote Erzherzogin, Spiritistin, Skandalprinzessin. Die Biografie. Molden, Wien/Graz 2021, ISBN 9783222150708.
Friedrich Weissensteiner: Die rote Erzherzogin. Das ungewöhnliche Leben der Tochter des Kronprinzen Rudolf. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1984.
Die rote Erzherzogin. Das ungewöhnliche Leben der Tochter des Kronprinzen Rudolf. Piper, München 2005, ISBN 978-3-492-24538-8 (Neuauflage).
Ghislaine Windisch-Graetz: Kaiseradler und rote Nelken. Das Leben der Tochter des Kronprinzen Rudolf. Amalthea, Wien/München 1992, ISBN 3-85002-264-1.
Hannes Stekl, Marija Wakounig: Windisch-Graetz. Ein Fürstenhaus im 19. und 20. Jahrhundert. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 1992, ISBN 978-3-205-05468-9, Kapitel „Heirat: Vernunft und Leidenschaft“, S.59ff. (Elisabeth und Otto Windisch Graetz, S. ??–101 in der Google-Buchsuche).
Friedrich Scheu: Des Kaisers Enkelin war Sozialistin. Die verstorbene Elisabeth Petznek aus der Familie Habsburg bekannte sich zur Partei. In: Arbeiter-Zeitung. Wien 21. März 1963, S.3.
↑Friedrich Weissensteiner: Die rote Erzherzogin. 5. Auflage. Piper, München 2011, ISBN 3-492-24538-2.
↑ abcdefghiDie rote Enkelin von Kaiser Franz Joseph. Unsere Generation, Regional Wien (Juni 2009), 2, S. 3–4, wien.pvoe.at (Memento vom 13. Dezember 2015 im Internet Archive) (PDF; 2,1 MB).
↑Robert Seydel: Die Seitensprünge der Habsburger. Ueberreuter, Wien 2005.
↑Ghislaine Windisch-Graetz: Kaiseradler und rote Nelke. Amalthea, Wien 1988, Folgeausgaben, ISBN 978-3-85002-264-4.
↑Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten – Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten. Siedler Verlag und Kremayr & Scheriau, Berlin 1986, ISBN 3-88680-148-9, S. 194.
Windisch-Grätz, Elisabeth (Ehename, erste Ehe); Elisabeth Marie Henriette Stephanie Gisela von Österreich-Ungarn, Erzherzogin (Geburtsname); Elisabeth Marie, Erzherzogin
KURZBESCHREIBUNG
Tochter von Kronprinz Rudolf; „Die rote Erzherzogin“