Der Effektive Altruismus (abgekürzt EA) ist die Idee, die beschränkten Ressourcen Zeit und Geld optimal einzusetzen, um das Leben möglichst vieler empfindungsfähiger Wesen möglichst umfassend zu verbessern. Zudem bezeichnet der Begriff eine soziale Bewegung, die um 2010 entstand und die versucht, diese Idee umzusetzen.[1][2]
Viele Effektive Altruisten kommen aus der Philosophie, den Wirtschaftswissenschaften, der Mathematik oder aus Bereichen, die rationales und quantitatives Denken bevorzugen.[3] Wenn der Begriff der Kosten-Nutzen-Rechnung auf wohltätige Zwecke angewendet wird, bezieht sich die Kostenwirksamkeit (Kosten-Wirksamkeits-Analyse) auf die Menge an Gutem, die pro Euro erreicht wird. Zum Beispiel kann die Wirtschaftlichkeit von Interventionen im Gesundheitsbereich in qualitätskorrigierten Lebensjahren (d. h. zusätzlichen Lebensjahren bei voller Gesundheit) gemessen werden.
Effektives Spenden ist ein wichtiger Bestandteil des Effektiven Altruismus, weil einige Wohltätigkeitsorganisationen weitaus effektiver sind als andere.[4] Hinzu kommt, dass einige Hilfsorganisationen ihre Ziele schlicht verfehlen.[5] Unter den Organisationen, die ihre Ziele erreichen, erzielen einige weit bessere Ergebnisse mit weniger Geld als andere.[6][7] Forscher der Organisation GiveWell haben errechnet, dass einige wohltätige Organisationen hunderte oder sogar tausende Male effektiver sind als andere.[6]
Effektive Altruisten betrachten auch die Kapazität von Hilfsorganisationen, zusätzliche finanzielle Mittel effektiv einzusetzen (room for more funding). Diesem Gedanken folgend sollten Hilfsorganisationen nicht primär danach ausgewählt werden, was sie schon erreicht haben, sondern was sie zukünftig mit einer Spende erreichen können.[8]
Priorisierung von Problemen
Effektive Altruisten halten die Priorisierung von Problemen (z. B. Armut, Krankheiten, Ungleichheit, mangelnde Bildung) für entscheidend, um anschließend bei der Lösung der wichtigsten Probleme die größtmögliche Verbesserung zu bewirken.[9]
Die Effizienz- und Evidenzüberprüfung von Hilfsmaßnahmen steht dabei im Mittelpunkt. Zwar ist dies im Bereich der Non-Profit-Organisationen zum Teil bereits Praxis, allerdings findet eine solche Überprüfung in der Regel nur innerhalb bestimmter Themenfelder statt, zum Beispiel im Bereich Bildung oder Klimawandel. Die kritische Analyse und der Vergleich unterschiedlicher Themenfelder soll die Verschwendung knapper Hilfsressourcen vermeiden. Effektive Altruisten stellen daher nicht ein bestimmtes Problem (z. B. Tierwohl oder Menschenrechte) an den Anfang ihrer Hilfsüberlegungen. Stattdessen wählen sie zunächst das Problem selbst nach Effizienzgesichtspunkten aus.[10][11] Die gängigsten Kriterien dafür sind die Größe, die Lösbarkeit und der Grad der Vernachlässigung eines Problems.[12][13]
Mehrere Organisationen aus der Bewegung des Effektiven Altruismus forschen an der Priorisierung von Problemen.[14][15] Viele Effektive Altruisten denken, dass zu den wichtigsten Problemen die Armut in Entwicklungsländern, das Leid von Tieren in der Massentierhaltung und existentielle Risiken für die langfristige Zukunft der Menschheit zählen.[9]
Unparteilichkeit
Effektive Altruisten sind der Ansicht, dass das Leben aller Menschen gleich wertvoll ist.
Auch ist die Ansicht verbreitet, dass den Interessen von Tieren das gleiche moralische Gewicht wie vergleichbaren Interessen von Menschen zukommt und man daher das Leiden von Tieren, z. B. in der Massentierhaltung, verhindern sollte.
Darüber hinaus sind viele Effektive Altruisten der Meinung, dass zukünftige Generationen den gleichen moralischen Wert haben wie Menschen, die jetzt leben. Deshalb konzentrieren sie sich auf die Verringerung der existentiellen Risiken für die Menschheit.
Kontrafaktische Argumentation
Effektive Altruisten verwenden kontrafaktische Argumente, um herauszufinden, welche Handlungen die positiven Auswirkungen maximieren.
Effektive Altruisten vergleichen die Menge an Gutem, das jemand in einer konventionellen altruistischen Karriere (z. B. als Arzt) tun könnte, mit der Situation, in der der gleiche Job mit dem nächstbesten Kandidaten besetzt würde. Diese Argumentation baut auf der beruflichen Ersetzbarkeit auf und deutet darauf hin, dass die Auswirkungen bei der Wahl einer konventionellen altruistischen Karriere kleiner sind, als sie zunächst scheinen.[16]
Für Effektive Altruisten mit persönlicher Passung (personal fit) wird die Strategie des professionellen Spendens (earning to give) vorgeschlagen. Sie besteht darin, eine hoch bezahlte Karriere mit dem Ziel anzustreben, möglichst viel des verdienten Geldes für wohltätige Zwecke zu spenden. Einige Effektive Altruisten argumentieren auf Grundlage der Ersetzbarkeit, dass die marginalen Auswirkungen von potentiell unethischem Verhalten in solch einer lukrativen Karriere (z. B. unethisches Verhalten als Investmentbanker) gering sind. Wenn die Karriere nicht eingeschlagen würde, dann würde jemand anderes die Arbeit annehmen und den gleichen Schaden verursachen. Die positiven Auswirkungen der Spenden sind hingegen kontrafaktisch groß, da die andere Person wahrscheinlich keine großen Beträge effektiv gespendet hätte.[17][18]
Die Ansichten über übergebührliche (supererogatorische) Handlungen
Mehrere einflussreiche Philosophen des Effektiven Altruismus, darunter Peter Singer und Peter Unger, lehnen die Ansicht ab, dass die Spende für wohltätige Zwecke übergebührlich ist[19]. Eine übergebührliche Handlung ist eine solche, die gut, aber nicht moralisch geboten ist. Effektive Altruisten bestreiten zwar nicht grundsätzlich die Existenz von übergebührlichen Wohltaten. Spenden an Wohltätigkeitsorganisationen, die sehr effektiv den ärmsten Menschen in der Welt helfen, halten sie jedoch für moralisch geboten. Singer und Unger verwenden beide verschiedene Gedankenexperimente, um diesen Punkt zu veranschaulichen. Die Grundstruktur des Gedankenexperimentes ist, dass eine Person in tödlicher Gefahr angetroffen wird, der mit wenig Aufwand geholfen werden könnte. Ohne Hilfe würde die Person sterben. Die meisten Leute sagen, es wäre moralisch falsch, nicht zu helfen. Singer und Unger schließen daraus, dass es moralisch falsch ist, nicht an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden, die ein Menschenleben mit wenig Ressourcen retten können. Dieses Argument setzt voraus, dass die räumliche Distanz zu einer Person sich nicht darauf auswirkt, ob ihr geholfen werden muss. Dies ist ein Schlüsselprinzip des Effektiven Altruismus.
Organisationen und priorisierte Probleme
Folgende Teile dieses Artikels scheinen seit 2022 nicht mehr aktuell zu sein:
Auswahl der Organisationen teilweise nicht mehr aktuell (insb. zu existentiellen Risiken), sollte zum Schutz vor zukünftiger Veraltung ggf. stärker eingeschränkt werden?
Der Effektive Altruismus ist prinzipiell daran interessiert an den Problemen zu arbeiten, bei denen am meisten Gutes bewirkt werden kann.[20][21] Dafür werden verschiedene Probleme miteinander verglichen und dasjenige ausgewählt, welches den vielversprechendsten Erwartungswert bezüglich einer Maximierung des Guten (Leidminimierung) hat.[22] In der Praxis haben sich Mitglieder der Bewegung vorwiegend auf die folgenden Problembereiche fokussiert:[23][24][25]
Globale Armut
Die Bekämpfung der globalen Armut war der Fokus einiger der frühesten und prominentesten Organisationen des Effektiven Altruismus.
Der Hilfswerk-Evaluator GiveWell untersucht die Kosteneffektivität von Hilfsorganisationen und schätzt, dass einige Hilfsorganisationen deutlich effektiver als andere arbeiten.[26][27][28] GiveWell argumentiert, dass der Wert von Spenden im Bereich der Armutsbekämpfung und Gesundheitsfürsorge in Entwicklungsländern am Höchsten ist.[29][6] Daher werden vorwiegend Organisationen aus diesen Bereichen empfohlen.
Die Organisation Giving What We Can wirbt auf Grundlage der Empfehlungen GiveWells für die kosteneffektivsten Hilfswerke zur Armutsbekämpfung.[30][31] Die von dem Philosophen Peter Singer gegründete Organisation The Life You Can Save verfolgt ähnliche Ziele und ist nach seinem gleichnamigen Buch benannt.[32]
Im deutschsprachigen Raum übersetzt die Organisation effektiv-spenden.org Teile der Empfehlungen von Givewell ins deutsche und bietet Spendenberatung nach den Kriterien des Effektiven Altruismus an.[33][34][35]
Während ein Teil der Effektiven Altruisten sich auf direkte Strategien wie Gesundheitsinterventionen oder Geldtransfers fokussiert, beschäftigt sich ein anderer Teil mit systemischeren sozialen, ökonomischen und politischen Reformen, die längerfristig zur Armutsreduktion beitragen sollen.[36] GiveWell kooperiert seit 2012 mit dem Facebook-Mitgründer Dustin Moskovitz im Rahmen des sogenannten Open Philanthropy Projects, um auch spekulativere Maßnahmen wie Gesetzesreformen zu erforschen und fördern.[37][38]
Tierwohl
Viele Effektive Altruisten sehen die Reduzierung von Tierleid als eine wichtige moralische Priorität und sehen kosteneffektive Wege, die dazu beitragen.[39] Peter Singer zitiert in einem Artikel im Guardian Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Britischen Organisation Fishcount, nach denen jedes Jahr 60 Milliarden Landtiere und zwischen 1 und 2,7 Billionen individuelle Fische für den menschlichen Konsum getötet werden.[40] Singer argumentiert, dass Effektive Altruisten, die sich für das Wohl von Tieren einsetzen wollen, die Massentierhaltung gegenüber populäreren, weniger vernachlässigten Problembereichen, wie dem Wohl von Haustieren, priorisieren sollten. Geht man beispielsweise von einem gewissen Grad an Bewusstsein und damit assoziierten Schmerzempfinden bei Hühnern aus, scheint es geboten, Anstrengungen zur Abschaffung der industrialisierten Massentierhaltung stärker in den Vordergrund rücken. Sie bergen das Potential kosteneffektiver als Maßnahmen, die menschliches Leid (globale Armutsreduktion) zu verringern suchen, zu sein.[41]
Die aus der Bewegung hervorgegangene Organisation Animal Charity Evaluators (ACE) evaluiert und vergleicht Wohltätigkeitsorganisation, die sich für Tiere einsetzen, auf Basis ihrer Kosteneffektivität und Transparenz. ACE legt dabei einen Fokus auf Organisationen, die an der Abschaffung der Massentierhaltung arbeiten.[42][43]
Einige Organisationen, die mit der Bewegung des Effektiven Altruismus assoziiert sind, forschen aktiv an einer Minimierung dieser Risiken und Gefahren. Dazu gehören unter anderem das Future of Humanity Institute in Oxford, das Centre for the Study of Existential Risk in Cambridge, England und das Future of Life Institute in Cambridge, Massachusetts.[46] Hinzu kommen das Center on Long-Term Risk, welches Forschung dazu betreibt, wie möglichst viel zukünftiges Leid verringert werden kann[47] und das Machine Intelligence Research Institute, welches dazu forscht, wie die Sicherheit bei der Entwicklung fortgeschrittener künstlicher Intelligenz zu gewährleisten ist.[48][49]
Meta-Aktivismus
Teile der Bewegung betrachten indirekten Meta-Aktivismus als effektiveren Ansatz verglichen mit der direkten Lösung von Problemen. Darunter fallen das Fundraising für effektive Organisationen, der Aufbau der Bewegung des Effektiven Altruismus und die Erforschung effektiver Strategien zur Verbreitung sozialer Normen.[50] Viele Effektive Altruisten argumentieren, dass Meta-Aktivismus als Multiplikator für soziale Wirkung genutzt werden kann, etwa wenn eine Fundraising-Organisation für jeden ausgegebenen Euro mehr als einen Euro für andere effektive Hilfsorganisationen sammelt.[51][52]
Mehrere Organisationen haben sich explizit dem Meta-Aktivismus verschrieben, wobei diese Einteilung nicht immer eindeutig ist. Im englischsprachigen Raum zählt dazu das Centre for Effective Altruism (CEA) als Dachorganisation und Projektinkubator mit Sitz in Oxford.[53] Mit dem CEA sind die von William MacAskill gegründeten Organisationen Giving What We Can und 80,000 Hours assoziiert.[54] Giving What We Can will Menschen ermutigen, mindestens zehn Prozent ihres Einkommens für effektive wohltätige Zwecke zu spenden.[55] Die dadurch entstandene internationale Gemeinschaft besteht 2019 aus rund 4300 Menschen.[56][57] Die Organisation 80.000 Hours untersucht Möglichkeiten der ethischen Karrierewahl. Sie berücksichtigt auch indirekte Arten einer ethischen Karriere, wie ein hohes Gehalt in einer konventionellen Karriere zu verdienen und einen Teil davon zu spenden, aber auch direktere Pfade, wie wissenschaftliche Forschung.[58][59]
Im deutschsprachigen Raum arbeitete die Stiftung für Effektiven Altruismus (EAS) in Berlin an der Verbreitung des Effektiven Altruismus. Die Stiftung unterstützte den Aufbau von Lokalgruppen der Bewegung[60], veröffentlichte politische Positionspapiere[61][62] und betrieb eigenständige Forschung. Sie ist 2015 aus der Schweizer Regionalgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung hervorgegangen.[63] Das von Liv Boeree, Igor Kurganow und Philipp Gruissem gegründete Projekt Raising for Effective Giving (REG) sammelt Spenden für effektive Hilfsorganisationen. REG war bislang vor allem im Bereich des Profi-Poker aktiv und konnte unter anderem Pokerweltmeister Martin Jacobson als Mitglied gewinnen.[64] Bis 2017 unterhielt die EAS das Projekt Sentience Politics, welches vorwiegend in der Schweiz auf das Thema Speziesismus aufmerksam macht und politische Initiativen startet, etwa zur Abschaffung der Massentierhaltung (Massentierhaltungsinitiative).[65][66] Seit Ende 2019 koordiniert das Netzwerk für Effektiven Altruismus Deutschland die Lokalgruppen.
Shelly Kagan eröffnet The Limits of Morality mit der Behauptung „Moral erfordert, dass Sie – von den nicht anderweitig verbotenen Handlungen – die Handlung auswählen, von der nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, die besten Auswirkungen insgesamt zu haben.“[67] Er verteidigt diesen Anspruch mit einer detaillierten Analyse sowohl der verschiedenen möglichen Ansichten über moralische Optionen und moralische Zwänge als auch wie diese verteidigt werden könnten. Er bemerkt, dass es eine Verbindung zwischen dem Glauben an die Existenz von moralischen Wahlmöglichkeiten und dem Glauben an die Existenz von moralischen Zwängen gibt; eine Person, die glaubt, dass es Möglichkeiten gibt suboptimal zu handeln, wird mit ziemlicher Sicherheit auch einige Einschränkungen für ihr potentielles Verhalten befürworten.
William MacAskill ist ein britischer Philosoph an der Universität Oxford, der die Bewegung des effektiven Altruismus mitbegründet hat. MacAskill veröffentlichte 2015 eine Einführung in den effektiven Altruismus mit seinem Buch Gutes besser tun: Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können.[68][69] Darüber hinaus hielt MacAskill 2018 einen TED Talk, in dem er die Grundlagen des effektiven Altruismus erklärt und für die Wichtigkeit der Reduzierung existentieller Risiken argumentiert.[70] Seine Ansichten sind im 2023 auf Deutsch erschienenen Buch Was wir der Zukunft schulden: Warum wir jetzt darüber entscheiden, ob wir die nächste Million Jahre positiv beeinflussen ausführlich dargestellt.
Toby Ord ist ein Ethiker an der Universität Oxford. Er plädiert für konsequentialistische Ethik und beschäftigt sich mit der weltweiten Armut und Katastrophenrisiken.[71] Gemeinsam mit William MacAskill gründete er 2009 die Organisation Giving What We Can. Ord lebt von 18.000 £ (27.000 $) pro Jahr und spendet den Rest seines Einkommens für wohltätige Zwecke.[72] Im März 2020 wurde sein Buch The Precipice: Existential Risk and the Future of Humanity veröffentlicht.[73][74]
Als Schüler von John Rawls nähert sich Thomas Pogge dem Effektiven Altruismus aus weniger konsequentialistischer Sicht. Pogge ist Mitglied von Giving What We Can sowie dem Health Impact Fund, der versucht moderne Medikamente zu niedrigen Kosten für arme Menschen verfügbar zu machen,[75][76] und der Organisation Academics Stand Against Poverty, die Wissenschaftlern hilft, einen größeren positiven Einfluss auf die Armut in der Welt zu haben.
Pogges Buch Weltarmut und Menschenrechte argumentiert, dass die Menschen in wohlhabenden Demokratien Menschen in Entwicklungsländern aktiv Leid zufügen: „Die meisten von uns haben nicht nur die Menschen verhungern lassen, sondern beteiligen sich daran sie auszuhungern.“[77] Er geht damit über den Ansatz von Singer und Unger hinaus, die behaupten, dass Menschen in Not aufgrund positiver Verpflichtungen geholfen werden müsse. Im Gegensatz dazu argumentiert Pogge, dass die Verantwortung, den Armen der Welt zu helfen aus der Tatsache resultiert, dass die Menschen in reichen Ländern aktiv den Menschen in anderen Ländern schaden, etwa durch Kreditvergabe an korrupte Regierungen.[78]
Der Philosoph Peter Singer hat mehrere Werke über Effektiven Altruismus verfasst, darunter The Life You Can Save. Hierin argumentiert er, dass Menschen evaluieren sollten, wie sie ihre Spenden am effektivsten einsetzen können.[79] In seinem Artikel Hunger, Wohlstand und Moral behauptet er, dass die Menschen die Pflicht haben, Menschen in Not zu helfen:
Wenn es in unserer Macht steht, etwas Schlimmes zu verhindern, ohne dabei etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern, dann sollten wir moralisch verpflichtet sein, es zu tun.[80]
Er gründete die gemeinnützige Organisation The Life You Can Save, die dafür eintritt an besonders effektive Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden.[32] Singer selbst spendet mindestens 25 % seines Einkommens für wohltätige Zwecke und ist Mitglied von Giving What We Can.[81][82]
In seinem Buch Leben und sterben lassen präsentiert Peter K. Unger mehrere Argumente, dass die Menschen in der entwickelten Welt eine starke moralische Verpflichtung anderen gegenüber haben.[83] Ein Beispiel Gedankenexperiment ist „Der vintage Sedan“:
Du bist nicht wirklich reich, dein einziger Luxus im Leben ist ein Mercedes-Oldtimer, den du mit viel Zeit, Aufmerksamkeit und Geld zu einem neuwertigen Zustand restauriert hast … Eines Tages stoppst du an der Kreuzung zweier kleiner Landstraßen, die beide kaum befahren sind. Du hörst eine Stimme um Hilfe schreien, du steigst aus und siehst einen Mann, der verletzt und von seinem Blut überströmt ist. Der Mann versichert dir, dass seine Wunde sich auf eins seiner Beine beschränkt, der Mann, informiert dich auch, dass er zwei Jahre lang Medizin studiert hat. Und obwohl er wegen Schummelns im zweiten Jahr exmatrikuliert wurde, was seinen mittellosen Stand seitdem erklärt, hat er sachkundig mit seinem Hemd das Bein in Nähe der Wunde abgebunden, um den Blutverlust zu stoppen. Also besteht keine dringende Lebensgefahr, wie du informiert wirst, aber es besteht eine große Gefahr, dass der Mann sein Bein verliert. Dies kann verhindert werden, wenn du ihn zu einem ländlichen Krankenhaus fährst, das 50 Meilen entfernt liegt. „Wie ist das mit der Wunde passiert?“ fragst du. Er – ein begeisterter Vogelbeobachter – gibt zu, dass er unbefugt ein nahes Feld betreten und beim unachtsamen Verlassen sich am rostigen Stacheldraht geschnitten hat. Wenn du diesem Eindringling helfen möchtest, musst du ihn über deinen schönen Rücksitz legen. Aber dann wird deine feine Polsterung mit Blut getränkt werden, und die Restauration des Autos wird über fünftausend Dollar kosten. Also fährst du weg. Am nächsten Tag wird der Mann von einem anderen Fahrer abgeholt, er überlebt, verliert aber das verletzte Bein.
Unger weist darauf hin, dass die meisten Menschen sagen, dass dieses Verhalten moralisch verwerflich ist, und sie bereit sein sollten, die Kosten der Restaurierung ihres Auto zu akzeptieren, wenn sie das Leben des Mannes rettet. Er kontrastiert diese Reaktion mit unseren Reaktionen auf The Envelope:
In Ihrem Postfach ist etwas von (...) UNICEF. Nachdem Sie es durchgelesen haben, glauben Sie korrekterweise, dass, wenn Sie nicht bald einen Scheck über 100 $ an UNICEF senden, mehr als dreißig Kinder bald sterben werden, anstatt noch viele Jahre zu leben.
Unger argumentiert, dass die verschiedenen Reaktionen zu den Gedankenexperimenten moralisch inkonsistent sind. Die Pflicht an UNICEF zu spenden sei daher genauso groß, wie die, den hypothetischen Eindringling in dem ersten Gedankenexperiment zu retten. Unger sagt, ein relativ wohlhabender Mensch „wie du und ich, muss in starkem Maße effektive Gruppen wie Oxfam und Unicef unterstützen, mit dem meisten Geld und Eigentum, das man jetzt besitzt, und mit dem meisten von dem, was noch in der absehbaren Zukunft dazu kommt.“[83][84]
Eine lange Kritik von Ken Berger und Robert Penna von Charity Navigator an der Philosophie des Effektiven Altruismus wurde im November 2013 in der Stanford Social Innovation Review. veröffentlicht, im Dezember desselben Jahres eine Antwort von MacAskill.[87][88]
Wiederholt wurde Earning to give kritisiert. David Brooks, Kolumnist der New York Times, argumentierte 2013, dass effektive Altruisten in diesen Berufen weniger altruistisch werden könnten und bestritt darüber hinaus mehrere Grundannahmen des EA.[89] Nathan J. Robinson (Current Affairs) schrieb 2022, es sei stark zu bezweifeln, dass mehr Mehrwert durch Einkünfte einem positiven Zweck zugeführt werden könne, als die in Kauf genommene Tätigkeit zur Verhärtung der problematischen Verhältnisse beitrage.[90]
Auch die Beschäftigung mit existentiellen Risiken und der von vielen EAs vertretene Longtermism werden kritisiert. 2015 schrieb Dylan Matthews, Journalist für die Website Vox, dieser Fokus sei teilweise durch die Zusammensetzung der Bewegung zu erklären, jedoch philosophisch nur schwer zu rechtfertigen.[91] Der Philosoph Émile P. Torres übte 2022 heftige Kritik an einzelnen Aussagen von Philosophen, die dem EA nahestehen und den Longtermism befürworten.[92][93][94] Die Informatikerin Timnit Gebru sagte, es sei sehr merkwürdig, dass zum Guten auch die Forschung an Allgemeiner künstlicher Intelligenz (AGI) gehöre, und vermutete ebenfalls die persönlichen Interessen von Anhängern des EA als Grund.[95]
Peter Singer: Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-518-58688-4.
Peter Singer: The Life You Can Save: How To Do Your Part To End World Poverty. 10th Anniversary Edition. o. O. 2019. ISBN 978-1-7336727-0-2. (englisch)
Weiterführende Texte:
Hilary Greaves, Theron Pummer (Hrsg.): Effective Altruism: Philosophical Issues. Oxford University Press, Oxford 2019, ISBN 978-0-19-884136-4. (englisch)
Theron Pummer: The Rules of Rescue. Cost, Distance, and Effective Altruism. Oxford University Press, Oxford 2022, ISBN 978-0-19-088414-7. (englisch)
Carol J. Adams, Alice Crary, and Lori Gruen (Hrsg.): The Good It Promises, the Harm It Does. Critical Essays on Effective Altruism. Oxford University Press, Oxford 2023, ISBN 978-0-19-765570-2. (englisch)
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