Die Disputation von Tortosa (spanischDisputa de Tortosa) war eine der bedeutendsten Disputationen zwischen Christen und Juden des Spätmittelalter. Sie fand vom 7. Februar 1413 bis 13. November 1414 in der Stadt Tortosa in Katalonien unter der Krone von Aragonien statt. Die Disputation war Teil einer Reihe von religiösen, christlichen Indoktrinationssitzungen mit dem Ziel, die jüdischen religiösen Autoritäten zu zwingen, vor ihren Glaubensbrüdern „Irrtümer“ ihrer Religion einzugestehen und anzuerkennen, dass das Alte Testament bzw. der TanachJesus Christus unterstützen würde, der der Messias gewesen sei.
Initiator der Disputation und Vertreter der Christen war der vom Judentum zum ChristentumkonvertierteGerónimo de Santa Fe, der Leibarzt des GegenpapstesBenedikt XIII. Bald nach seinem Übertritt zum Christentum legte er Benedikt eine Abhandlung vor, die Themen enthielt, über die er sich mit seinen ehemaligen Glaubensbrüdern streiten wollte. Der alternde Gegenpapst stimmte der Disputation zu. König Ferdinand I. von Aragon stand dem Vorhaben nicht im Weg und so wurden 1413 „Einladungsschreiben“ an die verschiedenen jüdischen Gemeinden verschickt. Versuche der Juden, sich davon zu befreien, blieben erfolglos.[3][4]
Durchführung
Die Disputation von Tortosa wurde im Palau Episcopal, dem Bischofspalast in Tortosa, abgehalten. Der Palau Episcopal war der Sitz des Bischofs von Tortosa.
Zu der Debatte kamen etwas mehr als zwanzig Rabbiner aus den katalanischen Landkreisen und dem Königreich Aragon. Sie waren von der päpstlichen Autorität verpflichtet worden und hatten mit einer hohen Geldstrafe zu rechnen, wenn sie dies nicht rechtzeitig taten. Auch mussten sie sich während der Dauer des Streits gegen Anschuldigungen und Drohungen aller Art seitens des Papstes zur Wehr setzen. Dieser Streit entwickelte sich im Schatten des seinerzeitig jüngsten antijüdischen Aufstands von 1391, der im jüdischen Viertel von Sevilla begonnen hatte und der sich auf die wichtigsten Städte der Kronen Kastilien und Aragonien ausweitete: Im Zuge diese antijüdischen Pogrome kamen Tausende von Juden um und viele weitere wurden vertrieben oder mussten zum Christentum konvertieren. In der Krone von Aragon waren vor allem die antijudaistischen Predigten von Vicente Ferrer und die harsche Verschärfung der Gesetze gegen die Juden hervorzuheben.
Die jüdischen Vertreter waren erheblich im Nachteil – während Nachmanides bei der Disputation von Barcelona, (katalanischDisputa de Barcelona) und den jüdischen Vertretern bei der Disputation von Paris, (französischDisputation de Paris) Immunität gewährt worden war – wurde jeder jüdische Versuch in Tortosa, auf die christlichen Vorwürfe zu antworten, mit der Drohung der Anklage der Häresie beantwortet.
Es wird angenommen, dass die verwendete Sprache Aragonesisch war, möglicherweise wurde aber auch Katalanisch präferiert, das auch die vorherrschende Sprache in Tortosa, San Mateo und Peñíscola war.
Josua ben Josef Lorki oder Gerónimo de Santa Fe trat als Vertreter der christlichen Anklage auf. Grundlage der Disputation war sein Traktat über „Jüdische Fehler“ die er aus dem Talmud abgeleitet hatte.
Die jüdischen Vertreter, darunter die wichtigsten jüdischen Gelehrten Aragoniens, etwa Josef Albo, hatten auf die Vorwürfe zu antworten, dabei aber keine eigene Redefreiheit.[5]
Die christliche Partei, vertreten auch durch Andreas Bertrand[6][7] und den Almosenier des Papstes, Garci Alvarez de Alarcon,[8] der als Notar während Streites fungierte[9], folgte einer auch etwa von Pablo Christiani 1263 in Barcelona vorgelegten Argumentationslinie, die vermeintliche Weissagungen über den Messias im Talmud bzw. in Midraschim aufzeigen und auf Jesus beziehen wollte. Die jüdischen Vertreter folgten ebenfalls der bereits in Barcelona, hier von Nachmanides verfolgten Argumentationslinie: die talmudischen Haggadot seien ohnehin nicht verbindlich, auch der Messiasglaube nicht.[10][11]
Folgen
Die Ergebnisse der Disputation wurden in der PapstbulleEtsi Doctoris Gentium veröffentlicht. Sie beinhaltete ein teilweises Talmud-Verbot, Einschränkungen in der Berufsausübung, weitergehende Segregation und die Pflicht, mehrmals im Jahr christliche Predigten anzuhören. Die Demoralisierung unter den Juden war groß. Tausende ließen sich in der Folge taufen. Die Durchführung und das Ergebnis der Disputation von Tortosa verstärkte und polarisierte das Meinungsbild in den herrschenden Schichten beider Religionsgemeinschaften.
Literatur
Georg Bernhard Depping: Die Juden im Mittelalter. E. Schweizerbarts Verlagshandlung, Stuttgart 1834, S. 308 f. (Online)
Carlos del Valle Rodríguez (Hrsg.): La Disputa judeocristiana de Tortosa. Edición de las Actas en la versión latina y edición príncipe de la versión hispano-aragonesa, junto con los dos relatos contemporáneos. Con la colaboración de Matilde Conde Salazar y de José Manuel Cañas Reillo en la edición de la versión latina. Institución Fernando el Católico, Excma. Diputación de Zaragoza, Zaragoza 2001, ISBN 978-84-9911-645-7, Zusammenfassung auf revistascientificas.us.es [9].
José Alberto Pellicer Lucas: La Disputa de Tortosa. Perillán, 2020, ISBN 979-8-684-01145-0 [Roman]
↑J Rodriguez de Castro: Los escritores rabinos españoles, auf docvirt.com [5]
↑Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den Anfängen bis auf die Gegenwart. Berlin 1853–1875, auf zeno.org [6] Abschnitt: „5. Kapitel. Das judenfeindliche Kleeblatt und das ausgedehnte Religionsgespräch von Tortosa. (1411-1420.)“
↑Carlos del Valle Rodríguez (Hrsg.): La Disputa judeocristiana de Tortosa. Edición de las Actas en la versión latina y edición príncipe de la versión hispano-aragonesa, junto con los dos relatos contemporáneos. Con la colaboración de Matilde Conde Salazar y de José Manuel Cañas Reillo en la edición de la versión latina. Institución Fernando el Católico, Excma. Diputación de Zaragoza, Zaragoza 2001, ISBN 978-84-9911-645-7, Zusammenfassung auf revistascientificas.us.es [7]
↑Sina Rauschenbach: Joseph Albo, der Messias und die Disputation von Tortosa. In: Georgiana Donavin, Carol Poster, Richard Utz (Hrsg.): Medieval Forms of Argument: Disputation and Debate. Wipf & Stock, Eugene, OR 2002, S. 53–66.
↑Jewish Catalonia a journey to the lands of Edom. Generalitat de Catalunya, Departament d’Innovació, Universitats i Empresa, ISBN 978-84-393-8179-2, auf empresa.gencat.cat
[8]