Der Bund für Mutterschutz und Sexualreform (Mutterschutzbund) war ein 1904/05 gegründeter deutscher Verein mit dem Ziel, die Stellung der Frau als Mutter in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu verbessern.
Am 12. November 1904 wurde in Leipzig ein Bund für Mutterschutz gegründet. Deren Erstunterzeichnende waren die Dichterin Ruth Bré (Elisabeth Bouness), die bald nach der Gründung wieder ausschied, der Arzt und LebensreformerFriedrich Landmann aus Eisenach und der Münchener Gutsbesitzer Heinrich Meyer.
Seit 1908 nannte sich die Vereinigung um in Deutscher Bund für Mutterschutz und Sexualreform.[4]
1909 hatte der Bund 4000 Mitglieder. Er organisierte alle zwei Jahre öffentliche Generalversammlungen: 1907 in Berlin (Thema „Reform der konventionellen Geschlechtsmoral“), 1909 in Frankfurt am Main („Die Frau und die Geschlechtskrankheiten“), 1911 in Breslau („Mutterschutz durch Erziehung und Aufklärung“) und 1913 erneut in Berlin („Geburtenpolitik und Prostitutionsproblem“).[5]
Der Mutterschutzbund beteiligte sich am Weimarer Kartell, zu dem mehrere freidenkerische und freigeistige Organisationen zusammenfanden. Helene Stöcker, die auch engen Kontakt zum Deutschen Monistenbund hielt und regelmäßig in monistischen Zeitschriften schrieb, begründete die Teilnahme am Weimarer Kartell 1912 im Vereinsorgan des Mutterschutzbundes: „Wenn wir Sexualreformer wirklich Erfolge erzielen wollen, so bedarf es, wie eines politischen Großblocks der Linken, so auch eines Kulturblocks der freiheitlichen Kulturbestrebungen“.[6]
In der Weimarer Republik gelang es dem Bund nicht, an die alte Mitgliederstärke anzuknüpfen. Er blieb aber weiterhin hoch aktiv und verlagerte den Schwerpunkt von „Mutterschutz“ zu „Menschenschutz“. In enger Kooperation mit dem Magnus-Hirschfeld-Institut kämpfte ein Bund für die Entkriminalisierung der Homosexualität. 1925 schloss sich der BfM einem Kartell für Strafrechtsreformen an.[7]
Internationale Bedeutung
1911 organisierte der BfM parallel zur Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden den ersten Internationalen Kongress für Mutterschutz und Sexualreform, auf dem unter anderem Magnus Hirschfeld und Helene Stöcker referierten. Die Teilnehmer kamen aus den USA, aus Belgien, Frankreich, den Niederlanden, aus Italien, Norwegen, Österreich-Ungarn, Russland und aus Schweden.[8] Dort wurde eine Internationale Vereinigung der Bewegung für Mutterschutz und Sexualreform gegründet. Helene Stöcker notierte dazu: „Einstimmig war man der Meinung, dass die deutsche Gruppe in der Internationale die Führung haben müsse, da in keinem anderen Lande die geistige Bewegung so weit fortgeschritten und die Behandlung der Probleme so entwickelt sei wie damals bei uns in Deutschland.“[9] Vorsitzender wurde Max Rosenthal; in den Beirat wurde unter anderen der Politiker Eduard David berufen.[10]
Zweck und Ziel
Im § 1 der Satzung des Bundes für Mutterschutz und Sexualreform heißt es:
„Zweck des Bundes ist es, die Stellung der Frau als Mutter in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu verbessern, insbesondere unverheiratete Mütter und deren Kinder vor wirtschaftlicher und sittlicher Gefährdung zu bewahren und herrschende Vorurteile gegen sie zu beseitigen…“[11]
Der Bund setzte sich insbesondere für unverheiratete Frauen und deren Kinder ein und vertrat eine Sexualreform, die gegen die herrschende „Lüge und Heuchelei“ in Fragen des sexuellen Lebens gerichtet war. Die sowohl praktisch-caritative wie sozial-ethische Arbeit hatte das Ziel, die Stellung der Frau zu verbessern und eine „Gesundung“ der sexuellen Beziehungen herbeizuführen. Im Jahr 1912 unterhielt der Verein insgesamt 36 Heime für ledige Mütter.
„Man muß es nur einmal recht erfassen, welcher Widersinn darin liegt: Die große Bedeutung der Frau für die Menschheit liegt in der Mutterschaft. Und doch hat man sich nicht gescheut, jede Mutterschaft der Frau außerhalb der Vaterrechts-Ehe ihr als ein Verbrechen anzurechnen.“
Darüber hinaus setzte sich der Verein insbesondere für die Einführung einer Mutterschaftsversicherung (die heute in Form des Mutterschaftsgeldes verwirklicht ist) ein.[12][13][14]
Der Bund für Mutterschutz lässt sich nicht nur der Frauenbewegung zuordnen, sondern mindestens ebenso der Reformbewegung um 1900, die das Wilhelminische Kaiserreich stark prägte.[15]
Zeitschriften des Mutterschutzbundes
Das Organ des Bundes war die Monatsschrift Die Neue Generation, die von 1905 bis 1907 Mutterschutz, Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik hieß. Herausgeberin war bis 1933 Helene Stöcker.
Mitgliedschaft
Dem Bund gehörten überwiegend Vertreterinnen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung an. Es engagierte sich aber auch andere Richtungen, etwa Henriette Fürth als Vertreterin der proletarischen, an der SPD orientierten Frauenbewegung, freidenkerisch geprägte Personen oder Pfarrer, die teilweise der freireligiösen Bewegung angehörten.
Rund ein Drittel der Mitglieder waren Männer, womit sich der Mutterschutzbund von allen damaligen Frauenorganisationen unterschied, die nur Frauen in ihren Reihen zählten. Helene Stöcker schrieb dazu: „Obwohl es oberflächlich betrachtet um Probleme der Frau ging, waren wir uns völlig klar darüber, dass es eine solche Trennung in der Wirklichkeit gar nicht gibt. Wir waren im Gegenteil davon überzeugt, dass die Probleme der Liebe, der Ehe, der Elternschaft, nur durch beide Geschlechter gemeinsam gelöst werden können. Uns schien es sinnlos, in der Art der bisherigen alten Frauenbewegung eine Trennung nach Geschlechtern vorzunehmen.“[16]
Zu den Mitgliedern zählten Frauenärzte, Sozialwissenschaftler und Hebammen.
Gudrun Hamelmann: Helene Stöcker, der „Bund für Mutterschutz“ und „Die Neue Generation“. Haag und Herchen, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-89228-945-X.
Frank Simon-Ritz: Die Organisation einer Weltanschauung. Die freigeistige Bewegung im Wilhelminischen Deutschland. (= Religiöse Kulturen der Moderne. Band 5). Gütersloh 1997, ISBN 3-579-02604-6. (Diss. Univ. Bielefeld 1994/1995, Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie)
B. Nowacki: Der Bund für Mutterschutz (1905–1933). (= Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaft. Heft 48). Matthiesen, Husum 1983, ISBN 3-7868-4048-2.
↑Helene Stöcker: Lebenserinnerungen. hrsg. von Reinhold Lütgemeier-Davin und Kerstin Wolff. Böhlau, Köln 2015, S. 113–115.
↑Am 26. Mai 1905 gründete sich die Berliner Ortsgruppe. Die in Berlin ansässigen Mitglieder des Bundesvorstandes waren zugleich Mitglieder des Vorstandes der Berliner Ortsgruppe.
↑Entgegen der vorherrschenden Meinung in der Sekundärliteratur schreibt hierzu Gudrun Hamelmann, dass sich der Mutterschutzbund erst seit der Generalversammlung den Namen Bund für Mutterschutz und Sexualreform gegeben hatte, um mit dem Namenszusatz Sexualreform die schon bisher praktizierte Sexualreform zu unterstreichen: G. Hamelmann: Helene Stöcker. 1992, S. 49.
↑Helene Stöcker: Lebenserinnerungen. Böhlau, Köln 2015, S. 302.
↑Frank Simon-Ritz: Die Organisation einer Weltanschauung. 1997, S. 162.
↑Helene Stöcker: Lebenserinnerungen. Böhlau, Köln 2015, S. 303.
↑Helene Stöcker: Lebenserinnerungen. Böhlau, Köln 2015, S. 156 u. 302–304.
↑Helene Stöcker: Lebenserinnerungen. Böhlau, Köln 2015, S. 156.
↑Bernd Nowacki: Der Bund für Mutterschutz (1905–1933). In: Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaft. Heft 48, Matthiesen, Husum 1983, S. 76.