Der Biberpelz (mit dem Untertitel: Eine Diebskomödie) ist ein 1892–1893 entstandenes sozialkritisches Drama und zugleich eine Milieustudie von Gerhart Hauptmann (1862–1946). Das Werk wird noch zur literarischen Epoche des Naturalismus gerechnet.
Mutter Wolffen ist eine resolute Wäscherin, verheiratet mit dem schwerfälligen und ängstlichen Schiffszimmermann Julius Wolff. Sie kommt in der Eröffnungsszene mit einem gewilderten Rehbock nach Hause und trifft unerwartet auf ihre Tochter Leontine, die aus ihrer Stellung bei dem reichen Rentier Krüger entlaufen ist. Sie habe noch in den späten Abendstunden einen Stapel Holz in den Stall schaffen sollen. Mutter Wolffen, die stets Rechtschaffenheit herauskehrt, will ihre ungehorsame, nicht übertrieben fleißige Tochter zurückschicken. Als sie jedoch erfährt, dass es sich um „schöne trockene Knüppel“ handelt, erlaubt sie Leontine, für eine Nacht dazubleiben. Mutter Wolffen will das Holz, das so noch nicht verwahrt worden ist, über Nacht stehlen.
Während Mutter Wolffen dem Spreeschiffer Wulkow den angeblich gefundenen Rehbock verkauft, erzählt ihre jüngste Tochter Adelheid, dass Frau Krüger ihrem Mann kürzlich einen wertvollen Biberpelz geschenkt habe. Als Wulkow das hört, erklärt er, dass er für solch einen Pelz ohne weiteres sechzig Taler zahlen würde. Mit dieser Summe aber könnte Mutter Wolffen den größten Teil ihrer Schulden begleichen. Sie beschließt insgeheim, den besagten Pelz an sich zu bringen, um ihn an Wulkow zu verkaufen.
Holz und Biberpelz sind gestohlen. Krüger erstattet Anzeige. Der Amtsvorsteher von Wehrhahn fühlt sich dadurch aber nur belästigt. Als Beamter des wilhelminischen Staates ist er vor allem daran interessiert, „dunkle Existenzen, politisch verfemte, reichs- und königsfeindliche Elemente“ aufzuspüren. So trachtet er danach, den Privatgelehrten Dr. Fleischer wegen Majestätsbeleidigung verhaften zu lassen, weil dieser etwa zwanzig verschiedene Zeitungen abonniert hat und regelmäßig freigeistige Literaten empfängt.
Da der Amtsvorsteher Wehrhahn Krügers Anzeige schleppend behandelt, spricht Krüger erneut vor. Diesmal ist auch Mutter Wolffen anwesend. Es kommt zu einer grotesken, parodistischen Verhandlung, die ins Leere läuft: Mutter Wolffen kann mit Pfiffigkeit jeglichen Verdacht von sich abwenden. Die Diebstähle werden nicht aufgeklärt.
Naturalistische Einflüsse
Mutter Wolffen ist der wichtigste Charakter im Stück. Sie versteht es, die Menschen, mit denen sie es zu tun bekommt, zu lenken und von ihnen zu bekommen, was sie will. Sie kämpft gegen ihre ärmlichen Verhältnisse an, was untypisch für naturalistische Dramen ist, in denen der Held üblicherweise wie gelähmt den Gesetzen seines sozialen Umfeldes gehorcht. Für den Naturalismus typisch ist aber, dass die soziale Wirklichkeit unmittelbar und ungeschönt wiedergegeben wird. Dies trifft auch auf den Biberpelz zu. Kennzeichnend für dessen Gestaltung sind die Genauigkeit der Milieubeschreibung und die Verwendung der „Sprache des Lebens“, der Alltagssprache mit allen Färbungen von Dialekt, Jargon und Umgangssprachlichem. Dargestellt wird der durch das Milieu determinierte Mensch (aus diesem Milieu versucht Frau Wolff allerdings heraus zu gelangen).
Autobiographische Elemente/Vorbilder
Hauptmann hat in die Figuren seines Biberpelz Persönliches einfließen lassen und benutzte ihm aus der Erkner-Zeit bekannte Personen als Modell. 1937 erklärte er in den Einleitenden Worten zum „Biberpelz“-Film: „Alle Gestalten des ‚Biberpelz‘ habe ich in Erkner kennengelernt.“[1]
So stellt Hauptmann, der während seines Aufenthaltes in Erkner – wegen sozialdemokratischer Neigungen – bespitzelt wurde, sich selbst in dem Literaten Dr. Fleischer dar. Vorbild für die Mutter Wolffen war die Aufwartefrau Marie Heinze (1846–1935), die während der Erknerzeit im Haushalt Hauptmanns arbeitete.
Auch die Figur des Amtsvorstehers von Wehrhahn entstammt Hauptmanns Erfahrungsbereich. Die öffentliche Ablehnung der „Weber“ durch die konservativen Repräsentanten des Kaiserreiches reizte ihn, einen typischen Vertreter dieses Regimes mit dem aufgeblasenen Amtsvorsteher bloßzustellen. Konkretes Vorbild für die Lustspielfigur ist der Erkner Amtsvorsteher und Standesbeamte Oscar von Busse (1844–1908), mit dem Hauptmann einige unangenehme Begegnungen hatte. In der autobiographischen Schrift Das Abenteuer meiner Jugend charakterisiert Hauptmann den Erkner Amtsvorsteher als „politischen Heißsporn, der überall staatsgefährliche Elemente roch“.[2]
Im Rentier Krüger zeichnet der Autor seinen Hauswirt Nicolaus Lassen (1816–1897) nach; indes war nicht diesem, sondern dessen Schwiegersohn, dem Lehrer Julius Ashelm, ein Pelz gestohlen worden.
Uraufführung und Kritik
Die Uraufführung des Biberpelzes fand am 21. September 1893 im Deutschen Theater Berlin statt, mit Else Lehmann und Georg Engels in den Hauptrollen. Der offene Schluss überraschte das Publikum so sehr, dass es in Erwartung eines auflösenden Endes einfach sitzen blieb.
Otto Neumann-Hofer schrieb in einer Besprechung der Berliner Uraufführung, der Vorhang nach dem vierten und letzten Akt habe „die Intrigue wie mit einem scharfen Schwert enthauptet“; und die Reaktion des Premierenpublikums beschrieb er wie folgt: „Das lässt sich das Publikum nicht gefallen. Es ist da wie das hungrige Tier, das seine Beute sucht. Reißt man sie ihm vor dem Munde weg, so wird es wild. Und so wurde auch das Publikum wild und zischte die schönste deutsche Posse, die ihm doch geboten wurde, aus.“ (Berliner Tageblatt, 22. September 1893)
Die zeitgenössische Kritik warf Hauptmann bei seinem Stück eine mangelhafte Komposition vor und dass er mit dem offenen Schluss den kritischen Konsequenzen seines Stückes ausgewichen sei. Neuere Kritiken meinen aber, dass gerade durch den offenen Schluss die Engstirnigkeit jener, die als Stützen der herrschenden Gesellschaft erscheinen, betont wird, da ja der Amtsvorsteher selbst zu borniert war, um mit offenen Augen an die Diebstähle heran zu gehen, und diese deshalb nicht aufgeklärt werden. Die Kritiker beklagten die fehlende „poetische Gerechtigkeit“. Dabei dachten sie primär an Frau Wolffen, die unbekehrt und unbestraft aus dem Stück geht, weniger indessen an den Amtsvorsteher von Wehrhahn, der seine Dienstpflichten gröblich verletzt und der unbescholtene Bürger verfolgt.
Zur auf der Bühne erfolgreichsten Komödie Hauptmanns entwickelte sich das Stück seit der Inszenierung durch das Deutsche Volkstheater in Wien 1897. Begeistert äußerten sich anlässlich dieser Aufführung unter anderem die Dichter Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler (siehe unten).
Rezeption
„Kleinmalerei ohne alle Handlung von Belang, welche in solcher Ausdehnung nur langweilt. […] Daß das öde Machwerk mehrere Aufführungen erleben dürfte, steht kaum zu erwarten.“ (Urteil der Berliner Zensurbehörde, 4. März 1893)
Arthur Schnitzler: „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich vom ‚Biberpelz‘ entzückt gewesen bin. Es ist was Schönes, einen Großen so frech und lustig zu sehen.“ (Brieflich an Otto Brahm, 5. April 1897)
Hugo von Hofmannsthal: „Gestern hab ich den ‚Biberpelz‘ gesehen [in Wien], ohne ihn je gelesen zu haben: das ist doch durch und durch gut, in einem anständigen Sinn geistreich.“ (Brieflich an Otto Brahm, 10. April 1897)
Reinhold Schneider: „Der ‚Biberpelz‘ ist, als Verklärung der Diebin und Verhöhnung der Justiz, destruktiv revolutionär; das Stück dokumentiert in der Anlage eine merkwürdige menschliche und künstlerische Schwäche des großen Gestalters, wie sie, auf gleicher Höhe, kaum wieder angetroffen werden kann.“ (R. Schneider: Winter in Wien. Freiburg i. Br. 1958, S. 88)
Im Jahre 1962 wurde das Stück für das deutsche Fernsehen erneut verfilmt. John Olden schrieb das Drehbuch und führte Regie. Die Hauptrolle spielte Oldens Ehefrau Inge Meysel, die neben Edith Schultze-Westrum, die diese Rolle häufig auf der Bühne spielte, zu den besten Darstellerinnen der Mutter Wolffen gehörte. In den weiteren Rollen spielten u. a.: Willi Rose als Julius Wolff, Konrad Georg als Motes, Ernst Schröder als von Wehrhahn, Maria Körber als Leontine, Paul Edwin Roth als Doktor Fleischer und Fritz Wagner als Rentier Krüger.
Der Biberpelz. Eine Diebskomödie. Taschenbuch-Ausgabe bei Ullstein.
Der Biberpelz. Eine Diebskomödie. Kommentierte Ausgabe. Hrsg. von Werner Bellmann. Nachwort: Stephan Kraft. Reclam, Stuttgart 2017 (UB 19165).
Forschungsliteratur
Andrea Bartl: Naturalistische Tragikomödien: Gerhart Hauptmanns „Der Biberpelz“ und „Die Ratten“. In: A.B.: Die deutschsprachige Komödie. Metamorphosen des Harlekin. Stuttgart 2009, S. 167–185.
Werner Bellmann: Gerhart Hauptmann, „Der Biberpelz“. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1978. - Durchgesehene und ergänzte Ausgabe, Stuttgart 2006.
Stephan Kraft: Zum Ende der Komödie. Eine Theoriegeschichte des Happyends. Göttingen 2011. [Zu Der Biberpelz: S. 326–343.]
Gert Oberembt: „Der Biberpelz“. Eine naturalistische Komödie. Paderborn 1987.
Roger Paulin: Hauptmann, „Der Biberpelz“. In: Landmarks in German Comedy. Hrsg. von Peter Hutchinson. Oxford [u. a.] 2006, S. 119–132.
Hans Joachim Schrimpf: Das unerreichte Soziale: die Komödien Gerhart Hauptmanns „Der Biberpelz“ und „Der rote Hahn“. In: Das deutsche Lustspiel. Hrsg. von Hans Steffen. 2. Tl. Göttingen 1969, S. 25–60.
Oskar Seidlin: Urmythos „Irgendwo um Berlin“. Zu Gerhart Hauptmanns Doppeldrama der Mutter Wolffen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 43 (1969) S. 126–146.
Wolfgang Trautwein: Gerhart Hauptmann: „Der Biberpelz“. In: Dramen des Naturalismus. Interpretationen. Stuttgart 1988, S. 179–212.