Die CRESS-DNA-Viren werden mit einer Vielzahl von Krankheiten in Verbindung gebracht. Darunter sind Krankheiten bei wirtschaftlich wichtigen Nutzpflanzen sowie eine Vielzahl von Krankheiten bei Tieren einschließlich des Menschen.[5]
Die Bezeichnung Cressdnaviricota setzt sich zusammen aus dem Akronym CRESS (circular REP-encoding single-stranded‚zirkulär, REP-kodierend, einzelsträngig‘), DNA, und der Endung -viricota für Virusphyla.[4][6] Dieses ICTV-bestätigte Phylum von DNA-Viren mit zirkulärem Einzelstrang-DNA-Genom ist nicht zu verwechseln mit der Ordnung Crassvirales mit zirkuläem Doppelstrang-DNA-Genom, deren Wirte Bakterien sind.
Das Genom der Cressdnaviricotakodiert für zwei wesentliche Proteine:[4]
das REP (oder Rep) – dieses startet (initiiert) die Rolling-Circle-Replikation (englischrolling circle replication, RCR) des zirkulären Virusgenoms. Sie ist im Phylum konserviert, d. h. wenig unterschiedlich, da sie sich im Lauf der Evolution nicht wesentlich verändert hat. Rep ist eine Endonuklease der HUH-Superfamilie. Endonukleasen sind Enzyme, die Phosphodiesterbindungen innerhalb einer Polynukleotidkette spalten können. HUH- oder HuH-Endonukleasen sind spezielle Endonukleasen, die
ein HUH-Motiv (histidine-hydrophobic-histidine) enthalten, das aus zwei Histidinresten besteht, die durch einen sperrigen hydrophoben Rest getrennt sind,
und ein Y-Motiv, das einen oder zwei Tyrosinreste enthält. HUH-Endonukleasen werden grob in zwei Kategorien von Enzymen eingeteilt: Replikationsinitiationsproteine (Rep) und Relaxase-/Mobilisierungsproteine. Die HUH-Endonuklease der ssDNA-Viren gehört zur ersten Gruppe (Rep), weil die von ihr vermittelte Spaltung des (zirkularen) viralen Genoms die Replikation einleitet.[5][7]
Im Gegensatz zu den REP-Proteinen sind die Kapsidproteine der CRESS-DNA-Viren nicht ortholog, sondern wurden mehrfach unabhängig voneinander von RNA-Viren übernommen. Daher ist das Gen für das REP-Protein das (alleinige) Kriterium, um über die Zugehörigkeit zum Phylum Aufschluss zu geben.[4]
Wirte
Die Familien der Cressdnaviricota parasitieren Wirte in der gesamten Domäne der Eukaryoten, mit:
Mitglieder der beiden Familien Smacoviridae und Redondoviridae wurden durch Metagenomik entdeckt wurden infizieren vermutlich ebenfalls Tiere, obwohl auch eine Assoziation von Smacoviren mit methanogenen Archaeen vorgeschlagen wurde.[4]
Systematik
Die Systematik der CRESS-DNA-Viren ist nach ICTV (Master Species List #39v3) und Vorschlag 2021.010F folgende (Stand Mai/Juni 2024):[9][10][11]
Familie Anicreviridae (9 Gattungen, animal associated CRESS viruses, früher provisorisch auch CRESSV4 oder CRESS4[8][16][17][18])
Familie Metaxyviridae (1 Gattung, von altgriechischμεταξύmetaxy, deutsch ‚dazwischen‘: Verwandtschaft von CFDV mit Mitgliedern der Familien Geminiviridae und Nanoviridae)
Gattung Cofodevirus
Spezies Cofodevirus kokonas mit Coconut foliar decay virus (CFDV, Kokosnuss-Blattfäulevirus)[19][20]
Mehrere der bis heute entdeckten CRESS-DNA-Viren haben ein Genom, das signifikant größer ist, als das bei diesem Phylum normalerweise anzutreffen ist.
Denkbar wäre, dass dies das Ergebnis von Duplikationsereignissen ist.
Darüber hinaus wurde eine Akquisition von Kapsiden mit einer Symmetrie T=3 von den ssRNA-Familien Nodaviridae und Tombusviridae als Ursprung der Familie Bacilladnaviridae[33] beziehungsweise der vorgeschlagenen Familie „Cruciviridae“[34][35] vermutet. Offenbar gab es noch weitere Rekombinationsereignisse von ssRNA-Viren oder ssDNA-Bakteriophagen mit CRESS-DNA-Viren.[31]
Weitere Metagenomanalysen an verschiedenen Orten lieferten immer mehr an hybriden Contigs. Insgesamt sind von diesen mit Stand Oktober 2020 nicht wenige als 461 Kandidaten bekannt.[26][39]
Zunächst schienen alle im CAP dem BSL-RDHV homolog zu sein; das REP-Gen scheint dagegen mehrmals von anderen CRESS-DNA-Familien (Circoviridae, Nanoviridae, Geminiviridae) per horizontalem Gentransfer (HGT) übernommen worden zu sein.[38]
Im Laufe der Zeit fanden sich jedoch auch RNA-DNA-Hybridviren (RDHVs), die augenscheinlich nicht der Verwandtschaft von BSL-RDHV angehören: Ein bei Untersuchung der Vielfalt von mit Libellen assoziierten ssDNA-Viren gefundenes Contig mit der Bezeichnung DfCyclV („Dragonfly cyclicusvirus“)[40] zeigte eine schwache, aber signifikante Homologie eines mutmaßlichen Proteins zum CAP des Satelliten-Tabaknekrosevirus (en. Satellite tobacco necrosis virus, STNV oder STMV).[41][42]
Das CAP des Satelliten-Tabaknekrosevirus unterscheidet sich jedoch in Sequenz und Struktur grundlegend von denen der Tombusviridae und ähnelt am ehesten den CAPs der Geminiviridae.
Daher ist vermutlich DfCyclV kein Mitglied der Klade der BSL-RDHV-ähnlichen Viren.[38]
Über den Fund von RDHVs weiteren Typs berichteten zudem Koonin und Dolja (2012);[43]
und die ssDNA-Familie Bidnaviridae hat offenbar auch eine „turbulente“ evolutionäre Vergangenheit u. a. mit einer mutmaßlichen Gen-Übernahme von den dsRNA-Viren der Reoviridae[44]
Die Entdeckung weiterer Contigs (Genome aus Metagenomanalysen), die Ähnlichkeiten sowohl mit DNA- als auch mit RNA-Viren aufweisen, deutet darauf hin, dass RDHVs vermutlich weiter verbreitet sind als anfangs angenommen.[42]
Für die Klade (Verwandtschaftsgruppe) der BSL-RDHV-ähnlichen chimären Viren[Anm. 1]
innerhalb der Supergruppe der CRESS-DNA-Viren – dem heutigen Phylum Cressdnaviricota – wurde die informelle Bezeichnung „Cruciviren“ (en. cruciviruses, CruVs),[26][39] und darüber hinaus der taxonomischen Rang einer Familie mit Namen Cruciviridae vorgeschlagen.[26][25]
Anmerkungen
↑Der Begriff „chimäres Virus“ wird je nach Autor unterschiedlich eng ausgelegt: Es kann ein Virus (bzw. Contig) aus der Klade von BSL-RDHV (d. h. ein Mitglied der Cruciviridae) gemeint sein, ein beliebiges RDHV, oder eine beliebige Rekombination (etwa Reassortment bei Influenzavirus A mit segmentiertem Genom).
Caroline Tochetto, Ana Paula Muterle Varela, Diane Alves de Lima, Márcia Regina Loiko, Camila Mengue Scheffer, Willian Pinto Paim, Cristine Cerva, Candice Schmidt, Samuel Paulo Cibulski, Lucía Cano Ortiz, Sidia Maria Callegari Jacques, Ana Cláudia Franco, Fabiana Quoos Mayer, Paulo Michel Roehe: Viral DNA genomes in sera of farrowing sows with or without stillbirths. In: PLoS ONE, 26. März 2020, 15(3), S. e0230714; doi:10.1371/journal.pone.0230714. Genomkarten (Wikimedia Commons)
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