Der Codex Lipit-Ištar (auch Codex Lipit-Ischtar, Codex Lipit-Eštar, Codex Lipit-Eschtar genannt) ist eine in sumerischer Sprache überlieferte Rechtssammlung aus Isin in Mesopotamien. Sie entstand ca. 1930 v. Chr. im Auftrage des Königs Lipit-Ištar der 1. Dynastie von Isin. Die Bezeichnung als Codex Lipit-Ištar ist moderner Art, die Rechtssammlung stellt kein kodifiziertes Recht in diesem Sinne dar.
Die meisten Quellen stammen aus den Schreiberschulen von Nippur, eine weitere aus Kiš und aus Sippar. Sie stellen allesamt Abschriften des Originals oder mehrerer verschiedener Originale dar, die ursprünglich in Isin öffentlich aufgestellt waren. Die einzelnen Quellen sind nur fragmentarisch überliefert, wodurch die Rekonstruktion des Codex erschwert wird und nur lückenhaft möglich ist.
Strukturierung
Der Aufbau des Codex orientiert sich am älteren Codex Ur-Nammu und ist wie folgt:
Legitimation des Herrschers, sowohl göttlich als auch innenpolitisch (Befreiung der Stadt Nippur, Maßnahmen zur sozialen Gerechtigkeit)
– Lücke –
Gesetze, kasuistisch, in Form von wenn-dann-Sätzen; wenigstens 40 Paragraphen (moderne Zählung) sind erhalten
Inkraftsetzung der Inschrift
Fluch zum Schutz gegen Tilgung der Inschrift
Im Gegensatz zum Codex Ur-Nammu ist der Aufbau leicht variiert worden, der Abschnitt über die Inkraftsetzung folgt nun nach und nicht vor der Nennung der Gesetze, was auch von späteren Rechtssammlungen dieser Zeit, zum Beispiel dem Codex Hammurapi so gehandhabt wird.
Inhalt der Gesetze
Aufgrund der unvollständigen Überlieferung ist der Gesamtumfang der Gesetze unbekannt, erhalten sind wenigstens 40 Paragraphen. Die innere Struktur der Rechtssammlung folgt weitgehend dem Assoziationsprinzip. Es werden grundsätzlich drei Klassen von Menschen unterschieden: der Bürger/die Bürgerin (lú), sogenannte miqtu-Personen und der Sklave/die Sklavin (arad/geme2). Die einzelnen Gesetze werden in Form von wenn-dann-Sätzen dargestellt. Behandelte Themen sind im Wesentlichen in dieser Reihenfolge:
Bootsmiete
Entschädigung/Entlöhnung für Gärtner, Diebstahl in Gärten
Sklavenflucht
Stellung der miqtu
falsche Anschuldigung
Übernahme von Steuerschulden durch Dritte
Erziehungspflicht
Ehe- und Erbrecht
Ochsenmiete und Ersatzzahlungen für Verletzungen gemieteter Tiere
Beim Vergleich mit dem Codex Ur-Nammu fällt auf, dass es thematisch kaum Überschneidungen mit dieser älteren Rechtssammlung gibt, was aber auf die lückenhafte Überlieferung der Texte zurückzuführen sein könnte; insbesondere fehlt beim Codex Lipit-Ištar die Behandlung von Kapitalverbrechen völlig. Speziell sind die Regelungen im Hinblick auf Zweitfrauen und miqtu-Personen. Daraus lässt sich eine Schwächung der Stellung der Frau ableiten, die zwei Jahrhunderte zuvor in den Sumerischen Texten noch als gleichberechtigt erscheint. Der Begriff der miqtu „gefallene“ (aus akkadisch maqatu) weist auf den sprachlichen und kulturellen Einfluss des Akkadischen hin und deutet die Entwicklung einer Mehrklassengesellschaft mit Freien, Halbfreien und Sklaven an.
Das Thema der Ochsenmiete wird in altorientalischen Rechtstexten häufig berührt – es geht dabei um die Regelung der Miete eines Ochsen, der zu landwirtschaftlichen Zwecken eingesetzt wird und darum, welche Entschädigungen im Falle einer Verletzung oder gar des Todes des Tieres zu leisten sind.
Wenn ein Mann einen Ochsen mietet und sein Auge zerstört, dann soll er die Hälfte des Wertes (in Silber) abwägen und bezahlen.
Literatur
Heiner Lutzmann: Aus den Gesetzen des Königs Lipit Eschtar von Isin. In: Otto Kaiser (Hrsg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Band 1: Rechts- und Wirtschaftsurkunden. Historisch-chronologische Texte. Lieferung 1: Rechtsbücher. Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1982 (1985), ISBN 3-579-00060-8, S. 23–31.
Martha T. Roth: Law Collections from Mesopotamia and Asia Minor (= Writings from the Ancient World. 6). Scholars Press, Atlanta GA 1995, ISBN 0-7885-0126-7.