Carl Jacob Burckhardt (* 10. September 1891 in Basel; † 3. März 1974 in Vinzel, Kanton Waadt) war ein schweizerischer Diplomat, Essayist und Historiker.
Als sein literarisches Hauptwerk gilt die von 1935 bis 1967 veröffentlichte dreibändige Richelieu-Biographie. Im Jahr 1937 wurde er vom Völkerbund zum Hohen Kommissar für die Freie Stadt Danzig ernannt. Von 1944 bis 1948 fungierte er als Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), wo er allerdings mit seiner unterlassenen Verurteilung des Holocausts und der Beschränkung auf die herkömmlichen Hilfeleistungen gegenüber den Opfern später immer wieder für Kontroversen sorgte.[1]
Carl Jacob Burckhardt wuchs als Sohn des Juristen und Politikers Carl Christoph Burckhardt und der Aline, geborene Schazmann, auf. Sein Onkel war der klassische Archäologe Paul Schazmann. Seine Schwester war Theodora (1896–1982), die später Voltaires Biographie von Karl XII. übersetzte und 1917 den Architekten Hans von der Mühll heiratete.[2]
Burckhardt absolvierte das Gymnasium in seiner Heimatstadt Basel und in Glarisegg. Anschliessend studierte der Grossneffe des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt[3] Geschichtswissenschaften an den Universitäten Basel, München, Göttingen sowie Zürich und schloss sein Studium 1918 mit der Promotion zum Dr. phil. ab. Noch zu seiner Studienzeit ging in Zürich das Gerücht um, seine Schwester habe die Dissertation ihres Bruders verfasst.[4]
Von 1918 bis 1922 war er Gesandtschaftsattaché in Wien, wo er Hugo von Hofmannsthal kennenlernte und sich später mit ihm befreundete.[5] 1926 habilitierte sich Burckhardt an der Universität Zürich. Drei Jahre später wurde er hier zum Professor für Neuere Geschichte berufen. Von 1932 bis 1937 und von 1939 bis 1945 war er darüber hinaus auch in Genf als Professor für Geschichte am Institut universitaire de hautes études internationales tätig. In seinem literarischen Schaffen befasste sich Burckhardt mit grossen Gestalten der europäischen Geschichte. 1935 erschien der erste Teil seines Hauptwerkes, der später dreiteiligen Biographie Richelieu. Einige Texte seines Werkes lassen die konservative politische Grundhaltung erkennen. So sieht er etwa im Essay Der Honnête Homme den Höhepunkt des französischen Absolutismus im 17. Jahrhundert als «das grosse französische Jahrhundert», in dem «die Erziehung des vornehmen Menschen» stattgefunden habe; im Essay Friedrich von Gentz stellt er mit Bedauern fest, dass dieser trotz seiner unter dem Einfluss von Autoren wie Edmund Burke, Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald, Joseph de Maistre und Adam Müller vollzogenen konservativen Wende «vor allem in seiner Tätigkeit in Österreich […] ganz in jenen Geleisen der Staatsweisheit des 18. Jahrhunderts» geblieben sei, «auf denen Metternich sich fortbewegte, ohne Sinn für die großen und bedeutungsvollen Symbole wie das deutsche Kaisertum, rational eine von tiefer Vergangenheit und unabsehbarer Zukunft so reiche Institution wie das römische Reich deutscher Nation hinopfernd, um einen so völlig rationalen und historisch wurzellosen Begriff wie ein österreichisches Kaisertum zu begründen».[6]
1923 war Burckhardt im Rahmen eines Besuches griechischer Kriegsgefangener in der Türkei erstmals für das IKRK aktiv, zehn Jahre später wurde er Mitglied des Komitees und besuchte in dieser Funktion 1935 und 1936 Konzentrationslager in Deutschland. Am 18. Februar 1937 ernannte ihn der Völkerbund zum Hohen Kommissar für die seit dem Versailler Vertrag unter Völkerbundaufsicht stehende Freie Stadt Danzig. Dort war die Gleichschaltung zu seinem Amtsantritt bereits vollendet.
1941 übernahm er den Vorsitz der im Juli des gleichen Jahres gegründeten Gemeinsamen Hilfskommission des IKRK und der Liga der Rotkreuz-Gesellschaften. Im Dezember des gleichen Jahres verhandelte er bei einem Besuch des britischen Ministeriums für wirtschaftliche Kriegsführung über Erleichterungen der Seeblockade zugunsten der Hilfe für Kriegsopfer und die Zivilbevölkerung. Er erhielt für das IKRK die Genehmigung zur Weiterleitung von Paketen an Kriegsgefangene.
Carl Jacob Burckhardt war seit 1926 verheiratet mit Marie-Elisabeth de Reynold (1906–1989), einer Tochter des rechtkonservativ-autoritaristischen Schriftstellers Gonzague de Reynold (1880–1970). Aus der Ehe entstammen zwei Töchter.
Burckhardt starb im Alter von 82 Jahren und ruht auf dem Friedhof von Vinzel im Kanton Waadt[7] zwischen seiner aus dem Ort stammenden Frau und der Tochter Henriette (1929–2021). Sein Grabstein trägt die Inschrift
BENEDICTUS BENEDICAT («Der Gesegnete möge segnen»)
Als biblische Referenz für diesen Spruch, der vor allem im angelsächsischen Raum als christliches Tischgebet gebräuchlich ist, ist auf der Grabplatte fälschlicherweise der Brief an die Hebräer (2,1) angegeben.
Am 4. Dezember 1944 wurde er, mit Wirkung vom 1. Januar 1945, einstimmig zum Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) gewählt und damit Nachfolger von Max Huber, der diese Funktion aus Altersgründen aufgab. Burckhardt blieb IKRK-Präsident bis 1948, als Paul Ruegger dieses Amt übernahm, und war darüber hinaus von 1945 bis 1949 Gesandter der Schweiz in Paris. Seine Doppelfunktion als IKRK-Präsident und Gesandter führte innerhalb des IKRK auf Anregung von Max Huber zur Neuschaffung der Ämter von zwei Vizepräsidenten sowie des Direktorats als ständigen Gremiums unter Leitung des Generaldirektors, um auch bei Abwesenheit des Präsidenten eine kontinuierliche Arbeit des Komitees zu ermöglichen. 1950 wurde er Ehrenbürger der Stadt Lübeck, da er nach Ansicht der verantwortlichen Stellen durch die Einstufung der Stadt als «offene Stadt» wesentlich zur Rettung der historischen Lübecker Altstadt beigetragen hatte. 1957 wurde in Lübeck das Carl-Jacob-Burckhardt-Gymnasium nach ihm benannt.
In seinem 1960 erschienenen Rechenschaftsbericht Meine Danziger Mission 1937–1939 beschrieb Burckhardt sein Wirken in der Freien Stadt. Obwohl es schon zu jener Zeit kritische Stimmen zur Zuverlässigkeit von Burckhardts Darstellung seiner eigenen Taten und Leistungen gab, so etwa von Hans Mayer oder Golo Mann, blieb sein Ruf in der Schweizer und IKRK-Diplomatie bis Anfang der 1990er Jahre unangetastet. 1991 erschien dann eine vom Schweizer Diplomaten Paul Stauffer verfasste Biographie, die ausgehend von Quellenstudien unter anderem in Warschau und genauen Textvergleichen am selbst geschaffenen Bild Burckhardts erhebliche Zweifel aufwarf. Mindestens drei Darstellungen Burckhardts sind nach Meinung von Stauffer als unglaubwürdig anzusehen:
Reginald Tower (1919–1920) | Edward L. Strutt (1920) | Bernardo Attolico (1920–1921) | Richard Haking (1921–1923) | Mervyn S. MacDonnell (1923–1925) | Joost A. van Hamel (1925–1929) | Manfredi Gravina (1929–1932) | Helmer Rosting (1932–1933) | Seán Lester (1933–1937) | Carl J. Burckhardt (1937–1939)
Guillaume Henri Dufour (1863–1864) | Gustave Moynier (1864–1910) | Gustave Ador (1910–1928) | Max Huber (1928–1944) | Carl Jacob Burckhardt (1945–1948) | Paul Ruegger (1948–1955) | Léopold Boissier (1955–1964) | Samuel Gonard (1964–1969) | Marcel Naville (1969–1973) | Eric Martin (1973–1976) | Alexandre Hay (1976–1987) | Cornelio Sommaruga (1987–1999) | Jakob Kellenberger (2000–2012) | Peter Maurer (2012–2022) | Mirjana Spoljaric Egger (seit 2022)
Thomas Mann, Albert Schweitzer, Julius Petersen (1932) | William Butler Yeats (1934) | Georg Kolbe (1937) | Leo Frobenius (1938) | Anton Kippenberg (1939) | Hans Pfitzner (1940) | Friedrich Bethge (1941) | Wilhelm Schäfer (1943) | Otto Hahn (1944) | Franz Volhard, Gustav Mori, Franz Schultz (1947) | Georg Hartmann (1948) | André Gide, Adolf Grimme, José Ortega y Gasset, Gerhard Marcks, Friedrich Meinecke, Robert Maynard Hutchins, Victor Gollancz, Carl Jacob Burckhardt (1949) | Friedrich Dessauer, Friedrich Witz, Richard Merton, Alexander Rudolf Hohlfeld, Boris Rajewsky, Ernst Robert Curtius, Jean Angelloz, Leonard Ashley Willoughby (1951) | Bernhard Guttmann, Ludwig Seitz, John Jay McCloy (1952) | Max Horkheimer, Fritz Strich (1953) | August de Bary, Karl Kleist, Richard Scheibe, Rudolf Alexander Schröder (1954) | Andreas Bruno Wachsmuth, Fritz von Unruh, Ferdinand Blum, Paul Hindemith, Hanns Wilhelm Eppelsheimer (1955) | Peter Suhrkamp, Carl Mennicke, Josef Hellauer, Paul Tillich (1956) | Helmut Walcha, Kasimir Edschmid, Benno Reifenberg, Gottfried Bermann Fischer, Rudolf Pechel (1957) | Otto Bartning, Friedrich Lehmann, Werner Bock, Martin Buber, Helmut Coing (1958) | Cicely Veronica Wedgwood, Thornton Wilder, Herman Nohl, Jean Schlumberger, Sir Sarvepalli Radhakrishnan, Yasunari Kawabata (1959) | Alfred Petersen, Arthur Hübscher, Franz Böhm (1960) | Vittorio Klostermann (1961) | Edgar Salin (1962) | Theodor W. Adorno, Fried Lübbecke, Karl Winnacker (1963) | Harry Buckwitz (1964) | Carl Orff (1965) | Marie Luise Kaschnitz, Heinrich Troeger, Ferdinand Hoff (1966) | Carl Tesch, Werner Bockelmann, Wilhelm Schöndube, Wilhelm Schäfer (1967) | Kurt Hessenberg (1973) | Ljubomir Romansky, Waldemar Kramer (1974) | Albert Richard Mohr (1976) | Siegfried Unseld, Oswald von Nell-Breuning SJ (1977) | Paul Arnsberg (1978) | Wulf Emmo Ankel, Christoph von Dohnányi, Erich Fromm (postum verliehen 1979) (1981) | Horst Krüger, Walter Hesselbach, Rudolf Hirsch, Fuat Sezgin (1980) | Wilhelm Kempf, Sir Georg Solti (1981) | Leo Löwenthal, Bruno Vondenhoff (1982) | Harald Keller (1983) | Marcel Reich-Ranicki (1984) | Alfred Grosser (1986) | Joachim Fest (1987) | Jörgen Schmidt-Voigt (1988) | Dorothea Loehr, Alfred Schmidt, Dolf Sternberger (1989) | Eva Demski, Hilmar Hoffmann (1990) | Albert Mangelsdorff (1991) | Iring Fetscher, Willi Ziegler (1992) | Liesel Christ, Walter Weisbecker, Ludwig von Friedeburg (1994) | Heinrich Schirmbeck, Emil Mangelsdorff, Wolfram Schütte (1995) | Christiane Nüsslein-Volhard, Walter Boehlich (1996) | Walter H. Pehle, Hans-Dieter Resch (1997) | Anja Lundholm, Christoph Vitali, Peter Weiermair (1998) | Arno Lustiger, Johann Philipp von Bethmann (1999) | Karl Dedecius, Michael Gotthelf (2000) | Ernst Klee, Hans-Wolfgang Pfeifer (2001) | Horst-Eberhard Richter, Peter Eschberg, Heiner Goebbels, Oswald Mathias Ungers (2002) | Christa von Schnitzler, Albert Speer junior, Chlodwig Poth, Jean-Christophe Ammann, Franz Mon (2003) | Ferry Ahrlé, Monika Schoeller (2004) | Henriette Kramer, Gerhard R. Koch (2005) | Eliahu Inbal, Peter Iden (2006) | Thomas Bayrle, Carmen-Renate Köper (2007) | Frank Wolff, E. R. Nele (2008) | Peter Kurzeck, Rosemarie Fendel (2009) | Klaus Reichert (2010) | Hans-Klaus Jungheinrich, Dieter Buroch (2011) | Felix Mussil, Mischka Popp, Thomas Bergmann (2012) | Paulus Böhmer, Peter Cahn (2013) | Hans Traxler, Thomas Gebauer, Wilhelm Genazino (2014) | Martin Mosebach, Sven Väth (2015) | Tobias Rehberger, Bettina von Bethmann (2016) | Claus Helmer, Moses Pelham (2017) | Max Weinberg (posthum) (2018) | Bodo Kirchhoff, Effi B. Rolfs, Max Hollein (2019) | Silke Scheuermann, Burkard Schliessmann (2020) | Hans Zimmer, Sandra Mann (2021) | Sabine Fischmann, Volker Mosbrugger (2022) | Anne Imhof, Michel Friedman (2023) | Margareta Dillinger, Bernd Loebe (2024)
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