Augusta Theodora Priscilla Kaiser war die Tochter des Volksschullehrers Peter Josef Kaiser und seiner Ehefrau Augusta Kaiser geb. Schneider. Seit 1906 arbeitete der Vater in Wiesbaden, wo Augusta die Schloßplatzschule besuchte, an der sie 1915 die Reifeprüfung ablegte. Danach besuchte sie die Kunstgewerbeschule Mainz, der eine Modellierschule angegliedert war. Aufgrund ihres Zeugnisses „sehr gut mit Auszeichnung“ und der ihr von der städtischen Schuldeputation Wiesbaden attestierten besonderen Begabung setzte sie ihre künstlerische Ausbildung an der Kunstakademie Karlsruhe fort.[1][2]
Vieles spricht dafür, dass sie als Meisterschülerin in der benachbarten Großherzoglichen Majolika-Manufaktur ihre beachtlichen keramischen Fachkenntnisse erwarb, wohl in den dort ab 1921 eingerichteten Meisterateliers, geleitet von Max Laeuger, Ludwig König und Paul Speck. 1922 lernte sie die akademische Malerin Hedwig Marquardt kennen,[3] die zu der Zeit als Keramikmalerin bei der Majolika-Manufaktur angestellt war. Als deren Lebenspartnerin ging sie im April 1924 mit ihr nach Kiel zu der neu gegründeten Kieler Kunst-Keramik AG, in der beide als maßgebliche Künstlerinnen bis zum 31. März 1925 tätig waren.[4]
Anschließend arbeiteten sie als freie Künstlerinnen in Biere, nahe Magdeburg, in der von ihnen eigens gegründeten Werkstätte für angewandte Kunst, die sie jedoch schon im Jahre 1927 wieder aufgeben mussten, da sie sich nicht rentierte. Danach lebte Kaiser mit ihrer Lebenspartnerin in Hannover, wo diese eine Anstellung als Kunsterzieherin angenommen hatte. Sie selbst trat als Künstlerin nicht mehr hervor. Nach jahrelanger, schwerer Krankheit kehrte sie in ihr Elternhaus in Wiesbaden zurück, wo sie 1932 verstarb.
Kieler Kunst-Keramik AG
Augusta Kaiser war – ebenso wie Hedwig Marquardt – Künstlerin der ersten Stunde der Kieler Kunst-Keramik AG (KKK).[5] Sie entwarf in der kurzen Zeit ihrer Zugehörigkeit zur Kieler Manufaktur den Großteil der feinkeramischen Produktion, figürliche Kleinplastiken und Gefäßkeramiken, orientiert an der neuzeitlichen Formensprache des Art déco, auch wenn noch etwas beeinflusst durch den Jugendstil, sowie Werke für die baukeramische Abteilung.
Das von Augusta Kaiser erst Ende August 1924 entworfene Künstlermonogramm „GK“ (ligiert) auf feinkeramischen Gegenständen der KKK steht für „Gust Kaiser“; so nannte sie sich schon seit Mitte 1922 in Karlsruhe.
Im September 1924 nahm die KKK an der Grassimesse in Leipzig mit zahlreichen feinkeramischen Exponaten teil, die hauptsächlich auf Entwürfe von Augusta Kaiser und Hedwig Marquardt zurückgingen.
Bei Kaisers Baukeramik ist hervorzuheben das farbige Eingangsportal des Jugendheims[6] im Werftpark Kiel-Gaarden mit dem aufwendigen symmetrischen Giebelrelief sowie die ebenfalls farbige klinkerkeramische Fassade der Milchhalle Hirte, Hamburg-Altona,[7][8] beides im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Die zeitgenössische Fachliteratur lobte Kaisers bildhauerische und malerische Entwürfe für die KKK und nannte sie eine hochbegabte Künstlerin.
2014 wurde in der Ausstellung Entartete Keramik 1919 - 1939 exhibit - 1930s German ceramic art on display at the Lopez Library im US-Bundesstaat Washington Augusta (Gustl) Kaiser und ihre Arbeit für die Kieler Manufaktur vorgestellt unter Einbeziehung ihrer Lebensgefährtin Hedwig Marquardt und unter Hinweis darauf, dass sie nicht nur weil sie Frauen waren an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, sondern vielleicht hauptsächlich, weil sie offen und kompromisslos als lesbisches Paar auftraten.
Literatur (Auswahl)
Wilhelm Conrad Gomoll: Neues schleswig-holsteinisches Kunstgewerbe. In: Die Buchgemeinde. Heft 8, 1926, S. 336–341.
Wilhelm Conrad Gomoll: Kieler Kunst-Keramik. In: Alexander Koch (Hrsg.): Deutsche Kunst und Dekoration, Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur. Darmstadt 1926, Bd. 58, S. 389–394, mit zahlreichen Abbildungen
Thomas Habeck: Die „Kieler Kunstkeramik AG“ und ihre Beziehung zur Baukunst der 20er Jahre in Schleswig-Holstein. Phil. Diss. Univ. Kiel, Kiel 1981, S. 54, 205–208.
Joachim und Angelika Konietzny: Augusta Kaiser – die Gustl Kaiser der Kieler Kunstkeramik – und ihr Leben mit Hedwig Marquardt. Nachwort: Laurence Marsh. Pansdorf 2011, ISBN 978-3-00-034515-9.
Joachim und Angelika Konietzny (Hrsg.): Hedwig Marquardt, Augusta Kaiser: ein Künstlerinnenpaar; Briefe an Lotte Boltze aus den Jahren 1922–1931. Mit einem Essay von Laurence Marsh. Pansdorf 2013, ISBN 978-3-00-042262-1.
Joachim und Angelika Konietzny (Hrsg.), Ostholstein-Museum Eutin (Hrsg.), Ausstellungs-Publikation Kieler Kunst-Keramik 1924-1930. Augusta Kaiser, Hedwig Marquardt und weitere Künstler, Eutin 2015, ISBN 978-3-00-047621-1.
Joachim und Angelika Konietzny (Hrsg.), Augusta Kaiser, Bildhauerin und Keramikerin. Ihr Werk für die Kieler Kunst-Keramik AG. Essay von Laurence Marsh. Nachdruck der Netto-Preislisten der Kieler Kunst-Keramik AG als gesonderte Beilage. Pansdorf 2017, ISBN 978-3-00-055613-5
Bärbel Manitz, Hans-Günther Andresen: Kieler Kunst-Keramik. Neumünster 2004, ISBN 3-529-02662-X.
Christel Marsh: Ends and Beginnings. London 2004, S. 277–284 und S. 292 u. 293, ISBN 0-9549274-0-0.
Julia Meyer-Brehm: Hedwig Marquardt und Augusta Kaiser. In: Tobias Hoffmann / Anna Grosskopf (Hrsg.): Ansehen! Kunst und Design von Frauen 1880–1940. Hirmer, München 2022 (Veröffentlichungen des Bröhan-Museums; 43), ISBN 978-3-7774-4009-5, S. 122–129.
Richard B. Parkinson: A Little Gay History: Desire and Diversity Across the World. British Museum Press, 2013, ISBN 978-0-7141-5100-7.
Otto Riedrich: Neue Baukeramik Schleswig-Holsteins mit einem Einblick in die Baukunstgedanken der Gegenwart. In: Schleswig-Holsteinisches Jahrbuch. 1927, S. 23–38.
Ernst Sauermann: Neue Wege. In: Schleswig-Holsteinisches Jahrbuch. 1925/26, S. 105 ff.
Konrad Strauß: Deutsche Keramik der Gegenwart. Halle/Saale 1927, S. 21 u. 22 und Abb. S. 7 u. 8
Maria-Gesine Thies: Die Kieler Kunst-Keramik AG: Keramik der 1920er Jahre in Kiel. Phil. Diss. Univ. Kiel, Kiel 1988.
Museumsbesitz
Kieler Stadtmuseum, Kiel
Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloss Gottorf, Schleswig
The British Museum, London
Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig
Bröhan-Museum, Berlin
Ausstellungen
2013/2014 Augusta Kaiser und Hedwig Marquardt - ein Künstlerinnenpaar.Frauenmuseum, Wiesbaden, 3. November 2013 bis 31. Mai 2014.[9]
2014 Entartete Keramik 1919 - 1939 exhibit. 1930s German ceramic art on display at the Lopez Island Library, WA; 14. Februar bis 31. März 2014.[10]
2015 Kieler Kunst-Keramik 1924 - 1930. Augusta Kaiser, Hedwig Marquardt und weitere Künstler.Ostholstein-Museum Eutin, 27. Februar bis 26. April 2015.[11]
2024/2025 Sonderausstellung "Ton & Pinsel - Dialog der Künste". Salzlandmuseum. Schönebeck (Elbe). 07. September 2024 bis 02. Februar 2025.
↑Hessisches Hauptstaatsarchiv, Akte Abt. 650/B Nr. 2525
↑Wilhelm Conrad Gomoll: Neues schleswig-holsteinisches Kunstgewerbe. In: Die Buchgemeinde, Jahrgang 1926, Heft 8, S. 340.
↑Biografische Daten in: Christel Marsh: Hedwig Marquardt (1884 Biere – 1969 Hannover), Einführung zum Ausstellungs-Katalog 1989. John Denham Gallery, London 1989, S. 1 u. 8
↑Briefe von Hedwig Marquardt und Augusta Kaiser aus der Zeit von 1922 bis 1933, verwahrt im Familienarchiv Marsh, London, ausgewertet in: Joachim und Angelika Konietzny: Augusta Kaiser. Die Gustl Kaiser der Kieler Kunst-Keramik und ihr Leben mit Hedwig Marquardt.
↑Dieter Zühlsdorff: Keramik-Marken Lexikon, Porzellan und Keramik Report 1885–1935. Stuttgart 1994, S. 533.
↑Dörte Beier: Kiel in der Weimarer Republik. Die städtebauliche Entwicklung unter der Leitung Willy Hahns, Kiel 2004, S. 218, 219, Abb. 85
↑E. Rich. Schubert: Warum Ziegelbau? Eine Antwort aus Geschichte und Leistung der Ziegelindustrie. Werbebuch für die Ziegelindustrie, Bd. I, Berlin 1926, Abb. S. 50.