Amedeo Clemente Modigliani (* 12. Juli1884 in Livorno; †24. Januar1920 in Paris) war ein italienischerZeichner, Maler und Bildhauer. Die heutige Bekanntheit beruht vor allem auf seinen Aktgemälden, die zu seiner Zeit als skandalös empfunden wurden und erst später Akzeptanz fanden. Seine Jugend verbrachte Modigliani in Italien, wo er die Kunst der Antike und Renaissance studierte, bis er 1906 nach Paris zog. Dort kam er in Kontakt mit bedeutenden Künstlern wie Pablo Picasso und Constantin Brâncuși. Sein Leben war von Lungenkrankheiten geprägt. In einem Fiebertraum soll er seine Berufung zur Kunst erkannt haben, mit 35 Jahren starb er an Tuberkulose. Die Informationen über Modiglianis Leben beruhen auf nur wenigen verbürgten Dokumenten, so dass es vor allem nach seinem Tod zur Legendenbildung um ihn kam.
Modiglianis Gesamtwerk umfasst vor allem Gemälde und Zeichnungen. Von 1909 bis 1914 widmete er sich jedoch hauptsächlich der Bildhauerei. Das Hauptmotiv ist der Mensch, sowohl in den Bildern als auch bei den Skulpturen. Daneben gibt es wenige Bilder mit Landschaftsmotiven. Interieurszenen und Stillleben von Modigliani sind nicht bekannt. Modigliani bezog sich in seinen Werken oft auf die Renaissance, griff aber auch andere Elemente wie die zu seiner Zeit populäre afrikanische Kunst auf. Hingegen lässt er sich keiner der zeitgenössischen Stilrichtungen zuordnen, wie etwa dem Kubismus oder dem Fauvismus. Während seines Lebens hatte Amedeo Modigliani nur wenig Erfolg mit seiner Kunst, erst nach seinem Tod erreichte er größere Popularität und seine Kunstwerke erzielten hohe Preise.
Amedeo Modigliani wurde als viertes und jüngstes Kind von Flaminio und Eugenia Modigliani geboren. Einer seiner Brüder war Giuseppe Emanuele Modigliani, der später Politiker des Partito Socialista Italiano und Abgeordneter des italienischen Parlaments wurde. Die Familie Modigliani gehörte dem aufgeklärten jüdischen Bürgertum der Stadt an. Als sephardische Juden lebten die Mitglieder der Familie nach einer liberalen Auslegung ihres Glaubens. Als Amedeo Modigliani geboren wurde, war der mit Holz und Kohle handelnde Familienbetrieb infolge der schlechten Konjunktur bereits bankrottgegangen.[1] Deshalb trug Modiglianis Mutter als Privatlehrerin und Übersetzerin – unter anderem von Gedichten Gabriele D’Annunzios – zum Familienunterhalt bei. Daneben verfasste sie unter einem Pseudonym Literaturkritiken. Amedeo Modigliani nahm wahrscheinlich an den traditionellen Fünf-Uhr-Tees im Haus seines Großvaters Isaac Garsin teil, bei denen beispielsweise über Werke von Oscar Wilde diskutiert wurde.[2] Da seine Mutter aus Marseille stammte, lernte Amedeo Modigliani bereits früh die französische Sprache, was ihm später seine Integration in Paris erleichterte.
Im Alter von elf Jahren litt Amedeo Modigliani an einer schweren Rippenfellentzündung. 1898, im Alter von 14 Jahren, erkrankte er an Typhus, der zu dieser Zeit noch als tödliche Krankheit galt. Während der Krankheit hatte er laut der Darstellung seiner Mutter einen Fiebertraum, in dem er über die künstlerischen Meisterwerke in Italien phantasiert und der ihm damit seine künstlerische Bestimmung aufgezeigt habe.[3] Nachdem Amedeo Modigliani wieder gesundet war, erhielt er von seinen Eltern die Erlaubnis, die Schule abzubrechen und ein Kunststudium zu beginnen.
Ausbildung
Amedeo Modigliani schrieb sich 1898 an der privaten Zeichen- und Malschule des Malers Guglielmo Micheli in Livorno ein. Dort war er mit seinen 14 Jahren der jüngste Student in seiner Klasse. Neben der künstlerischen Ausbildung an der Schule, die sich noch stark am Impressionismus orientierte, lernte er im Atelier von Gino Romiti das Aktmalen. Im Juli 1900 erkrankte er an Tuberkulose. Weil die Luftveränderung seine Genesung begünstigen sollte, verbrachte er den Winter 1900/1901 zusammen mit seiner Mutter auf einer Reise nach Neapel, Capri und Rom. Von dort aus schrieb Amedeo Modigliani fünf Briefe an den neun Jahre älteren Künstler Oscar Ghiglia, mit dem er befreundet war. Diese Briefe gehören zu den wenigen schriftlichen Dokumenten Modiglianis, die erhalten geblieben sind. In ihnen schilderte er unter anderem seinen Eindruck von Rom: „Rom ist nicht um mich, während ich Dir erzähle, sondern in mir, gleich einem von seinen sieben Hügeln wie von sieben gebieterischen Ideen eingefassten schrecklichen Juwel.“[4]
Im Frühjahr 1901 folgte Amedeo Modigliani seinem Freund Ghiglia nach Florenz. Nachdem er den Winter 1901/1902 in Rom verbracht hatte, kehrte er nach Florenz zurück und schrieb sich am 7. Mai 1902 an der Scuola libera di Nudo (deutsch: freie Aktzeichenschule) ein. Dort studierte er bei Giovanni Fattori und beschäftigte sich daneben hauptsächlich mit der Kunst der Renaissance. 1903 ging er, wiederum Ghiglia folgend, nach Venedig, wo er im Stadtteil Dorsoduro, direkt gegenüber der Chiesa di San Sebastiano bis zu seiner Übersiedlung nach Paris lebte. Er schrieb sich am 19. März jenes Jahres am Istituto di Belle Arti di Venezia ein. Dort belegte er unter anderem Kurse der Freien Aktzeichenklasse. Sein Schwerpunkt lag auf dem Studium der italienischen Kunstgeschichte, die Malerei betrieb er weniger intensiv. 1903 und 1905 kam er auf den Biennalen in Kontakt mit den Werken der französischen Impressionisten, mit Skulpturen Rodins und Werken des Symbolismus. Während seiner Studienzeit in Venedig begann Modigliani, Haschisch zu konsumieren, und nahm an spiritistischen Sitzungen teil.[5]
1910 lernte Modigliani die aus Russland stammende Dichterin Anna Achmatova kennen, mit der er in der folgenden Zeit ein Verhältnis hatte. 1911 stellte er seine archaisch wirkenden Steinskulpturen im Atelier des portugiesischen Künstlers Amadeo de Souza-Cardoso aus. Eine Phase der intensiven Beschäftigung mit dem Motiv der Karyatiden in seinen Werken, sowohl in der Skulptur, als auch in Gemälden, begann. Im folgenden Jahr wurden die Skulpturen Modiglianis im Herbstsalon ausgestellt. Modigliani lernte die Bildhauer Jacob Epstein und Jacques Lipchitz, die ebenfalls in Paris lebten, kennen, von denen letzterer die Kunst Modiglianis als „Ausdruck seines persönlichen Empfindens“[9] beschrieb. Im Frühling 1913 hielt sich Amedeo Modigliani in Livorno auf, wo er in der Nähe eines Steinbruchs Quartier bezog. In diesem betätigte er sich als Marmorbildhauer, nachdem er zuvor nur mit Kalksandstein gearbeitet hatte. Die fertig gestellten Skulpturen schickte er nach Paris; sie wurden jedoch nicht überliefert.
Für die Beendigung seiner Bildhauertätigkeit nach 1913 sind die genauen Gründe nicht bekannt. Ein Anlass könnte seine angeschlagene Gesundheit gewesen sein, die durch die staubige Umgebung weiter geschädigt wurde. Auch könnte er keine Zukunft für seine Arbeit als Bildhauer gesehen haben. Er entwickelte sich künstlerisch nicht weiter und die wenigen Ausstellungen brachten kaum Aufmerksamkeit und finanzielle Verbesserungen. So könnte er sich aus diesen Überlegungen heraus wieder der lukrativeren Malerei zugewandt haben.[10]
Rückkehr zur Malerei und Leben während des Ersten Weltkrieges
Im Frühjahr 1914 lernte Amedeo Modigliani den Kunsthändler Paul Guillaume kennen, der einige junge und noch unbekannte Künstler vertrat. Guillaume übernahm auch die Vertretung Modiglianis, nachdem dieser mit Beginn des Ersten Weltkrieges Paul Alexandre aus den Augen verloren hatte, und beteiligte ihn an mehreren Gruppenausstellungen in seiner Galerie. Mit Kriegsbeginn meldete sich Modigliani freiwillig zum Kriegsdienst, wurde jedoch aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes nicht eingezogen. Deshalb gehörte er zu dem kleiner gewordenen Kreis von Künstlern, die sich in Paris aufhielten.
Im Juni 1914 lernte Modigliani die englische Literatin Beatrice Hastings kennen, mit der ihn über zwei Jahre eine Liebesbeziehung verband. Sie hielt sich in Paris als Kolumnistin der englischen Zeitung The New Age auf und schrieb über das Gesellschaftsleben der Stadt. Sie beschrieb unter anderem Modiglianis Konsum von Haschisch und Alkohol, unter dem er „niemals etwas Gutes“ vollbrachte.[11] Während der turbulenten Beziehung mit Beatrice Hastings verstärkte sich Modiglianis exzessives Leben noch weiter. Sein Konsum von Alkohol und Opium, den er mit seinen Freunden Maurice Utrillo und Chaim Soutine teilte, wurde in der Presse aufgegriffen.[12]
1915 zog Modigliani mit Beatrice Hastings in die Rue Norvaine an der Butte Montmartre und porträtierte Pablo Picasso. Ein Jahr später folgten weitere Porträts berühmter Persönlichkeiten, darunter sein Freund Jacques Lipchitz sowie Chaim Soutine, für den Modigliani ebenfalls ein enger Freund und Unterstützer war. Mit diesen Porträts der Avantgarde von Paris war Modigliani selbst mit ihr verbunden. Sie sicherte ihm einen singulären Platz unter den Pariser Künstlern, da er mit seinen Porträts ein Bild dieser Szene festhielt, und ermöglichte die spätere Legende von Modigliani als Hauptfigur der Pariser Künstlerschaft.[13] Daneben lernte Amedeo Modigliani auf Vermittlung des befreundeten Künstlers Moïse Kisling den polnischen Kunsthändler und Dichter Leopold Zborowski kennen. Dieser verfügte als Händler zwar nicht über die Kontakte Guillaumes und dessen Gespür für die avantgardistische Malerei, dennoch unterstützte er Modigliani in dessen letzten Lebensjahren. So nahmen er und seine Frau Anna den Künstler in ihre Wohnung auf, nachdem er sich von Beatrice Hastings getrennt hatte. Zborowski bezahlte Modigliani ein Tagegeld und das Malmaterial und ließ ihn in seiner Wohnung arbeiten. Später bezahlte er auch die Modelle für die Aktgemälde Modiglianis.
Amedeo Modigliani fertigte 1916 und 1917 eine Serie von etwa 30 Aktgemälden an. Auf Vermittlung von Leopold Zborowski wurden diese Bilder in einer Einzelausstellung in der Galerie der Kunsthändlerin Berthe Weill gezeigt. Am 3. Dezember 1917 wurde die Ausstellung mit einer Vernissage mit geladenen Gästen eröffnet. Die Galerie lag gegenüber einer Polizeistation und ein Kommissar wurde auf den Menschenauflauf aufmerksam, der sich infolge eines im Schaufenster präsentierten Aktes bildete. Er rief Berthe Weill zu sich und forderte sie auf, die Ausstellung zu beenden und die Bilder abzuhängen, weil diese zu freizügig seien. Um eine Beschlagnahmung der Bilder zu verhindern, kam Weill der Aufforderung nach.
Das Gesamtwerk Amedeo Modiglianis besteht aus Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen. Das Œuvre umfasst etwa 420 Gemälde, von denen nur 14 datiert sind,[15] und etwa 25 Skulpturen.[16] Mit der Ausnahme von wenigen Landschaftsgemälden liegt der Schwerpunkt der Kunst Modiglianis auf der Darstellung des Menschen. Diese kommt in den Porträts, Akten und Skulpturen menschlicher Köpfe beziehungsweise Figuren zum Ausdruck und zeigt ein intaktes Bild des Menschen. Modigliani lässt sich keiner modernen Kunstströmung zuordnen. Seine Werke vereinen expressionistische, kubistische und symbolistische Elemente, zeigen jedoch ebenso einen Rückbezug zur Antike, zur Renaissance und zum Manierismus, die er aus seiner Studienzeit in Italien kannte. Somit entwarf er seinen ganz individuellen Stil.
Da Modigliani nur einen Bruchteil seiner Werke datiert hat, lässt sich die genaue Folge der Bilder nur über stilistische Analysen und Überlieferungen aus zeitgenössischen Berichten rekonstruieren. Dabei lässt sich innerhalb des Œuvres eine stilistische und kompositorische Entwicklung nachweisen, die zu immer weiter der Vollendung entgegenstrebenden Bildern führte.
Das Porträt Bildnis Jacques Lipchitz und seine Frau Berthe Lipchitz aus dem Jahr 1916 oder 1917 gehört zu den Bildern, in denen Amedeo Modigliani die Darstellung der Psychologie eines Charakters aufgab und stattdessen repräsentative Porträts schuf, die sich an Vorbilder des Barock anlehnten. Dieses 80,2 × 53,5 Zentimeter große Ölgemälde malte Modigliani nach dem Hochzeitsfoto der Lipchitz in mehreren Porträtsitzungen. Das war nicht ungewöhnlich, da er zu dieser Zeit mehrmals Fotografien als Vorlagen für Bilder nutzte. Dieses Bild nimmt in Modiglianis Werk eine besondere Stellung ein, da es zu seinen wenigen Doppelporträts gehört. Die Bedeutung dieser Bilder wird daran deutlich, dass Gruppenbildnisse in Modiglianis Œuvre überhaupt nicht vorhanden sind. Dem Porträt des jungen Ehepaars gingen mehrere Skizzen voraus, die jedoch noch auf ein Einzelporträt ausgerichtet waren. In ihnen tastete sich Modigliani immer weiter an die endgültige Bildkomposition heran. Das Bild zeigt den Bräutigam Jacques Lipchitz stehend hinter seiner sitzenden Frau Berthe. Den linken Arm hat er seiner Frau um die Schulter gelegt. Sie sind beide dunkel gekleidet und heben sich so vom helleren Bildhintergrund ab. Ihre Gesichter sind rundlich und die Augen leer. Die beiden Dargestellten, zu denen Modigliani freundschaftlichen Kontakt pflegte, wirken in dem Porträt zwar sympathisch, werden aber aus einer emotionslosen Distanz dargestellt. Diese ist ein zentrales Merkmal der Porträts der folgenden Jahre bis zum Tod Modiglianis. Auf dem Weg zur endgültigen Fassung des Porträts vollzog sich auch eine stilistische Entwicklung. So treten die Vertikale und die Horizontale in den Hintergrund, so dass geschwungene Linien und fließende Formen im Bild dominieren. Das Porträt des Ehepaars Lipchitz weist mit dem in Großbuchstaben geschriebenen, unregelmäßigen Schriftzug LIPCHITZ ein stilistisches Merkmal Modiglianis auf, das viele seiner Porträts von Freunden gemeinsam haben. Diese Beschriftung, die sich in ihrer ungelenken Pinselführung deutlich von der Signatur unterscheidet, orientierte sich formal an der Tradition von Bildern der Renaissance. Künstler wie Giorgone und Tizian gaben in den Inschriften nicht nur über den Namen des Dargestellten, sondern auch beispielsweise über die Zugehörigkeit zu Geheimbünden Auskunft. Mit dem formalen Zitat kann Modigliani auf eine ähnliche innere Verwandtschaft mit den porträtierten Freunden angespielt haben. Außerdem nutzte er sie zur Auflockerung der Bildkomposition. In den Barock- und Renaissance-Bezügen wird weiterhin deutlich, dass Modigliani seine Kenntnisse im Bereich früherer Kunstepochen, die er in den Studien seiner frühen Lebensjahre erworben hatte, auch in seinen Bildern anwandte.
Amedeo Modigliani malte während seines ganzen Lebens Aktgemälde, welche die zweitgrößte Werkgruppe nach den Porträts darstellen. Die ersten stammen aus dem Jahr 1908, wie zum Beispiel das Bild Leidender Akt – Nudo Dolente. Dieses 81 × 54 Zentimeter große Ölgemälde zeigt eine halbfigurige Frauendarstellung. Die hagere Frau wird vollkommen nackt gezeigt. Der Kopf ist nach hinten geworfen, der Mund geöffnet. Dies ist ein Zeichen von Ekstase, Leid, Schmerz und Sinnlichkeit. Der wahre Ausdruck der Person ist hinter dem maskenartigen Gesicht verborgen. Die Schultern sind nach vorn gezogen. An ihnen hängen die unnatürlich langen Arme lose herab, die Hände ruhen auf den Oberschenkeln. Die Frau ist so dünn, dass sie Ähnlichkeit mit einem Skelett aufweist. Der Akt Modiglianis widersprach damit den klassischen Inhalten dieser Bildgattung, die einen sinnlichen und stark sexuellen Bezug hatten. Vor dem dunklen Bildhintergrund tritt der helle, fast weiße Körper deutlich hervor und wird durch den Hell-Dunkel-Kontrast betont. Der Farbauftrag ist rau und lässt das Bild teilweise unvollendet wirken. In diesem Gemälde wird die ähnliche Körperauffassung von Modigliani in Bezug auf andere Künstler dieser Zeit deutlich. So gibt es Ähnlichkeiten mit Bildern wie Madonna[22] von Edvard Munch aus dem Jahr 1894 oder Werken von George Minne.
Das 60,6 × 92,7 Zentimeter große Gemälde Liegender Akt gehört zu den berühmtesten Werken Modiglianis und stammt ebenfalls aus der Bilderserie der Jahre 1916 und 1917.[23] Es zeigt ein liegendes Modell, das sich zentral in der Bildmitte befindet. Die Frau wird in einer leichten Aufsicht aus nächster Nähe gezeigt, so dass ihre Extremitäten nicht vollständig abgebildet werden. So fehlen die Unterarme mit den Händen und die Beine unterhalb der Hüfte. Das Gesicht ist dem Betrachter zugewandt, die Augen sind geöffnet und blicken den Betrachter direkt an. Die Hüften sind leicht nach hinten gedreht, wodurch die Scham nicht zu erkennen ist. Der Körper befindet sich auf einem roten Bettlaken, was einen leichten Hell-Dunkel-Kontrast erzeugt. Unter dem Kopf befindet sich ein weißes Kissen, das mit dem Ansatz der weißen Bettdecke die hellsten Flächen des Bildes bildet. Im Hintergrund ist die Wand zu erkennen. Insgesamt gibt es neben dem Körper kaum Bildelemente, die von ihm ablenken. Das Bild orientiert sich in der Komposition an die Aktfotografie der Zeit, dabei ist die Erotik nicht überbetont, sondern melancholisch abgestuft. Wobei von der dargestellten Frau Würde und Kühle ausgeht, was einen Anschluss an die Skulpturen Modiglianis darstellt.
Nach der Serie der Jahre 1916 und 1917 malte Amedeo Modigliani nur noch gelegentlich Akte wie Stehender Akt – Elvira aus dem Jahr 1918. Dieses 92 × 60 Zentimeter große Ölgemälde entstand während Modiglianis Aufenthalt in Südfrankreich. Für seine Gemälde dieser Zeit typisch, wurde es mit deutlich helleren Farben gemalt. An die Stelle der dominierenden dunklen Farbtöne, besonders Rot, tritt in diesem Bild Türkis. Das stehende Modell, das nur von den Oberschenkeln an gezeigt wird, nimmt im Bild die zentrale Position ein. Neben einem weißen Laken, das die Scham verdeckt, gibt es keine weiteren kompositorischen Bildelemente. Die Umrisslinien des Körpers sind stark hervorgehoben und die Farben großflächig aufgetragen, womit der Präsenz der Person verstärkt wird.
Landschaften
Unter Amedeo Modiglianis Werken befinden sich nur wenige Landschaftsbilder. Diese entstanden in seinen frühen Jahren in Italien, auf seinen Reisen in seine Heimat und während seines Aufenthaltes in Südfrankreich. Während das 1898 entstandene Bild Landschaft in der Toskana sich noch am Impressionismus orientierte und keine klaren Konturen aufweist, sondern unscharf wirkt, steht im Gegensatz dazu beispielsweise das 1919 gemalte 60 × 45 Zentimeter große Bild Landschaft. Dieses in Südfrankreich entstandene Gemälde wird durch klare Umrisse gegliedert. In den Hügeln im Bildhintergrund bilden die Gebäude klare geometrische Strukturen, die im Kontrast zu den Formen der sie umgebenden Wolken stehen, die jedoch ebenfalls klare Umrisse aufweisen. Im Vordergrund ist eine diagonal durch das Bild verlaufende rote Fläche zu sehen, die entweder einen Weg oder ein Brückengeländer darstellt. Mit dem Rot dieses Bildelementes wird die Farbe der Hausdächer erneut aufgegriffen. Es ist klar von der Umgebung abgegrenzt, was ein Gefühl der Enge und Begrenztheit hervorruft. Die Hügel in der Bildmitte führen terrassenförmig in den Hintergrund und erzeugen einen Eindruck von räumlicher Tiefe. Im Kontrast dazu stehen die Bäume im Vordergrund, die mit ihren langen linearen Strukturen das Bild zusätzlich gliedern.
Die meisten Skulpturen Amedeo Modiglianis stellen Köpfe dar, die er als Säulen der Zärtlichkeit bezeichnete. Laut dem Kunsthistoriker Gerhard Kolberg schwanken diese Skulpturen „zwischen hohem ideellen und bildhauerischem Anspruch und primitiver bis archaischer skulpturaler Ausführung“.[25] Dabei ist besonders auffällig, dass Modigliani trotz seiner Unerfahrenheit als Bildhauer fähig war, seinen Kopf-Skulpturen ein einheitliches stilistisches Aussehen zu verleihen. Sie haben alle ein einheitliches Grundmaß und sind aus hochrechteckigen Steinblöcken gearbeitet. Die Köpfe sind idolhaft und ikonenartig ausgearbeitet und strahlen aufgrund ihrer Schlichtheit eine majestätische Würde aus. In den gemeinsamen Ausstellungen dieser Skulpturen im Jahre 1911 wurde deutlich, dass sie nur in der Gesamtheit, jedoch nicht im Einzelwerk ihre Bedeutung zeigen. Um die Wirkung der Präsentation noch zu steigern, entwickelte Modigliani ein eigenes Beleuchtungskonzept der Objekte. Mit dieser Art der Ausstellung inszenierte er seine Skulpturen so, dass ein mysteriöser und religiös anmutender Eindruck entstand. Ein Exemplar dieser Serie ist der 70,5 × 23, 5 × 7,6 Zentimeter große Kopf einer Frau,[26] der sich im Besitz des Philadelphia Museum of Art befindet. Er weist die typischen Merkmale der Kopfdarstellungen Modiglianis auf. Das Gesicht ist in die Länge gestreckt, so dass Nase und Ohren unnatürlich lang sind. Das Kinn ist spitz zulaufend, der Abstand zwischen den Augen gering. Der Gesichtsausdruck vermittelt keine Emotion, sondern strahlt allein Ruhe aus.
Neben den Kopfskulpturen schuf Amedeo Modigliani nur zwei weitere, die heute bekannt sind: eine stehende Figur und eine Karyatide. Diese weist einen deutlichen Rückbezug zur griechisch-römischen Antike auf. Karyatiden sind Gewandfiguren in menschlicher Gestalt, die als Stützen ganze Gesimse oder Geschosse tragen und seit der Antike ein fester Bestandteil der Architektur waren. Die Skulptur Karyatide[27] aus dem Jahr 1914 weist nur noch durch ihre Haltung einen Bezug zu dieser Funktion auf. Die Figur kniet auf einem Bein, das andere ist angewinkelt an den Körper gezogen. Die kräftige weibliche Gestalt hält beide Arme über den Kopf erhoben. Die Last, die sie tragen musste, deutet Modigliani nur durch eine Platte an. Das Gewicht der Skulptur konzentriert sich allein auf die Zentralachse der Figur, was ihr Standfestigkeit verleiht. Der verwendete Kalksandstein wurde von Modigliani nur grob bearbeitet, was eine raue Oberfläche erzeugte im Gegensatz zu den glatten Oberflächen der Kopfskulpturen. Es ist kein Gesicht herausgearbeitet, so dass die Figur eine besondere Anonymität aufweist.
Während seiner bildhauerischen Schaffensphase malte Modigliani nur wenige Bilder. Diese hatten meist ebenfalls einen Bezug zur Skulptur, waren von Statuen inspiriert oder griffen das Motiv der Karyatide auf. Ein Beispiel für diese Bildergruppe ist das 72,5 × 50 Zentimeter große Ölgemälde Karyatide, das etwa 1911/1912 entstand. Von der Haltung her weist die Figur eine große Ähnlichkeit mit der 1914 entstandenen Skulptur auf. Der Körper ist auf eine geometrische Weise aus einzelnen Elementen zusammengesetzt worden. Der gesamte Körper ist in die Länge gestreckt und weist verlängerte, kraftvolle Arme auf. Das Bild zeigt somit keine sinnliche Darstellung einer Frau, sondern die von Kraft und Ruhe. Das Gesicht der Frau ähnelt denen altägyptischer und mykenischer Statuen, was ebenfalls eine Rezeption der von ihm studierten Werke darstellt. Die Beugung der Figur ist bildhauerisch nicht realisierbar, da die Verteilung des Gewichts an der Basis die Figur umstürzen lassen würde. So stellt das Bild für Modigliani eine Möglichkeit dar, in der Behandlung des Themas nicht an die Beschränkungen der Erschaffung einer Skulptur gebunden zu sein.
Bei der großen Anzahl von Zeichnungen in den Jahren als Bildhauer wird vermutet, dass es sich größtenteils nicht um Vorlagen für konkrete Einzelstücke handelt, sondern dass Modigliani darin Ideen für nicht realisierte Skulpturen festhielt.[29] Dabei ist keine Zeichnung die Kopie einer anderen, aber aufgrund ihrer stilistischen Ähnlichkeit weisen sie laut Claude Roy eine „wunderbare Monotonie der Besessenheit“ auf.[28] Weiterhin existieren viele Porträt- und Aktzeichnungen.
Modigliani selbst hat sich nur selten zu seiner Kunst geäußert. Laut Berichten seiner Zeitgenossen pflegte er das Bild eines jüdischen Außenseiters und Ausländers. Dabei war er nach seinem Selbstverständnis als Künstler ein „superuomo“ (deutsch: „Übermensch“) und Auserwählter der Gesellschaft. Auffällig ist die strikte Trennung des Privatlebens von der Kunst. Er malte nur zwei Selbstbildnisse und griff in seinen Kunstwerken nicht den unsteten Lebensstil auf, sondern entwickelte einen klaren und einfachen Stil. Seine Bilder verbinden die Tradition mit der Moderne. Dabei war Modigliani kein Wegbereiter oder Vorreiter einer künstlerischen Entwicklung. Vielmehr blieb er ein stilistischer Außenseiter und Einzelgänger. Mit dem Brückenschlag zwischen moderner Kunst und vergangenen Kunstepochen leistete Modigliani einen herausragenden individuellen Beitrag in der Kunst des 20. Jahrhunderts.[32]
In der Rezeptionsgeschichte stellen die Aktgemälde Modiglianis den am meisten besprochenen und gerühmten Teil seines Gesamtwerkes dar, obwohl sie nur etwa ein Zehntel an diesem ausmachen. Die Stellung dieser Bilder wurde durch die Zensur, die noch nach Modiglianis Tod bestehen blieb, und die Wirkung auf den Betrachter begründet. Noch nach dem Zweiten Weltkrieg lösten die Akte Diskussionen über ihren pornografischen Gehalt aus. So musste sich das Solomon R. Guggenheim Museum in New York rechtfertigen, als es Reproduktionen des in seinem Besitz befindlichen Gemäldes Akt mit Halskette drucken lassen wollte. Die Akte Modiglianis wurden mit verschiedenen, widersprüchlichen Urteilen belegt. Auf der einen Seite wurden sie positiv als „faszinierend-sinnlich“ bezeichnet, während andere Kritiker sie als „kalt-abstoßend“ empfanden.[33] Amedeo Modigliani entwickelte in den Akten einen eigenen Stil. Während andere Maler dieser Zeit wie Picasso, Matisse, Tsuguharu Foujita oder Kees van Dongen den nackten weiblichen Körper in einem weitergehenden Sujet darstellten, konzentrierte sich Modigliani allein auf die Darstellung des weiblichen Körpers, gab im Bild keine Handlung und auch keine weitergehenden Informationen über das Modell wieder.
Als nach dem Tod Modiglianis seine Kunstwerke im Preis stiegen, wurden zu Beginn authentische Bilder Modiglianis nachträglich mit dessen Signatur versehen. Damit konnten Geschäftsleute den Wert der Bilder noch erheblich steigern. Daneben wurden komplett neue Bilder produziert, die als Werke Modiglianis ausgegeben wurden und ebenfalls gute Preise erzielen konnten. Die Fälschungen wurden von der schweren Feststellbarkeit der Echtheit begünstigt. Eine Aussage darüber ließ sich oft nur über vergleichendes Sehen treffen. Dabei werden durch Studium möglichst vieler Originale die Maltechnik eines Künstlers, Signatur, Farbwahl, Komposition und weitere Merkmale analysiert, so dass andere Gemälde dahingehend verglichen werden können. Aufschluss über Malweise und verwendetes Material konnten auch Röntgenuntersuchungen geben. Auf dem Gebiet der Feststellung der Authentizität von Werken Modiglianis leistete die Pariser Retrospektive aus dem Jahr 1981 Maßgebliches. Während der Vorbereitungen wurden Kriterien zur Beurteilung der Vorgehensweise Modiglianis und der Signatur festgelegt.
Daneben wurde die Echtheit von Werken Modiglianis über das Provenienzprinzip nachgewiesen, so beispielsweise für das Porträt Bildnis Jacques Lipchitz und seine Frau. Es wurde von den privaten Sammlern Frederic Clay und Helen Birch Bartlett aus einer zuverlässigen Quelle erworben und die Entstehung von Lipchitz persönlich bestätigt. Danach wurde es direkt dem Art Institute of Chicago übergeben.
1984 sorgte die Entdeckung von drei angeblichen Steinskulpturen Modiglianis in einem Kanal in Livorno für Aufregung. Diese Arbeiten hätte er während seines letzten Aufenthaltes in seiner Heimatstadt in einem Wutausbruch in das Gewässer geworfen. Die Echtheit der Skulpturen wurde unter Kunsthistorikern kontrovers diskutiert. Nach einiger Zeit gab jedoch eine Gruppe von Studenten sowie ein Hobbykünstler bekannt, diese Skulpturen anlässlich des 100. Geburtstags Amedeo Modiglianis selbst geschaffen und in den Kanal geworfen zu haben.[38]
In Ken Folletts Roman Der Modigliani Skandal[40] stößt die Kunststudentin Dee bei Recherchen zu ihrer Dissertation auf die Spur eines unbekannten Gemäldes von Modigliani. Während sie mit ihrem Freund die Spur verfolgt, bekommen zwei skrupellose Schatzjäger Wind von der Sache und heften sich an ihre Fersen, um womöglich – jeder für sich – selbst als erste an das Bild zu kommen. Dee und ihr Freund gewinnen das Rennen knapp. In einem zweiten Handlungsstrang kämpfen zwei junge, wenig erfolgreiche Maler mit einem spektakulären Coup dafür, dass der florierende Kunsthandel sich sozial für junge Künstler engagiert. Sie verkaufen den wichtigsten Galerien erfundene, selbstgemalte, Werke von Van Gogh, Munch, Picasso etc., erstatten das so ergaunerte Geld allerdings später zurück. Am Ende jedoch werden die beiden von Dees Freund gezwungen, den neu entdeckten Modigliani zweimal zu kopieren. Mit diesen Fälschungen werden die Schatzjäger betrogen und damit in den Augen des Lesers ‚gerechterweise‘ bestraft.
Noël Alexandre: Der unbekannte Modigliani. Zeichnungen aus der Sammlung Paul Alexandre. Mercatorfonds, Antwerpen 1993, ISBN 3-927789-56-9.
David Breuer: Modigliani und seine Modelle [anlässlich der Ausstellung: Modigliani and His Models, in der Royal Academy of Arts, London, 8. Juli – 15. Oktober 2006, übersetzt von Carl Freytag und Marion Kagerer], Hatje, Ostfildern 2006, ISBN 978-3-7757-1811-0.
Anette Kruszynski: Amedeo Modigliani – Akte und Porträts. Prestel, München 1996, ISBN 3-7913-2893-X.
Doris Krystof: Amedeo Modigliani. Die Poesie des Augenblicks. Taschen, Köln 2009, ISBN 978-3-8365-1272-5.
Jacques Lassaigne: Amedeo Modigliani – Werkverzeichnis. Ullstein, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-548-36042-4.
Jane Rogoyska, Frances Alexander: Amedeo Modigliani. Sirocco, London 2005, ISBN 1-84484-342-4, (englisch).
June Rose: Amedeo Modigliani. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit. Fischer-TB 11780, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-596-11780-1.
Der zärtliche Blick – Die Akte von Modigliani. Dokumentarfilm, Deutschland, 2017, 52:13 Min., Buch und Regie: Hilka Sinning, Produktion: Medea Film, ZDF, arte, Erstsendung: 10. Dezember 2017 bei arte, Inhaltsangabe von ARD, Vorschau-Video, 2:13 Min. Unter anderem mit der Modigliani-Biografin Anette Kruszynski, dem Modigliani-Experten und Kurator Marc Restellini und der Tate-Modern-Kuratorin Nancy Ireson.
↑Doris Krystof: Amedeo Modigliani. Taschen, Köln 2006. S. 25.
↑Doris Krystof: Amedeo Modigliani. Taschen, Köln 2006, S. 37.
↑Anette Kruszynski: Amedeo Modigliani – Akte und Porträts. Prestel, München 1996, S. 22.
↑Doris Krystof: Amedeo Modigliani. Taschen, Köln 2006, S. 52.
↑Pierre Cabanne: Dictionnaire international des arts. Paris 1979, Bordas, ISBN 2-04-010750-9, S. 894.
↑Doris Krystof: Amedeo Modigliani. Taschen, Köln 2006, S. 47.
↑Doris Krystof: Amedeo Modigliani. Taschen, Köln 2006, S. 85.
↑Angela Scheider, Anke Daemgen, Gary Tinterow (Hrsg.): Die schönsten Franzosen kommen aus New York. Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 2007, Seite 260.
↑Anette Kruszynski: Amedeo Modigliani – Akte und Porträts. Prestel, München 1996, Seite 20.
↑Anette Kruszynski: Amedeo Modigliani – Akte und Porträts. Prestel, München 1996, Seite 8.
↑Doris Krystof: Amedeo Modigliani. Taschen, Köln 2006. Seite 19
↑Annette King, Nancy Ireson, Simonetta Fraquelli, Joyce H. Townsend: The Modigliani Technical Research Study, An introduction to Modigliani's materials and techniques. In: The Burlington Magazine. issue No. 1380-Vol.160. Tate Project, März 2018.
↑Angela Scheider, Anke Daemgen, Gary Tinterow (Hrsg.): Die schönsten Franzosen kommen aus New York. Nicolaische Verlagsbuchhandlung GmbH, Berlin 2007, Seite 258.
↑Jane Rogoyska, Frances Alexander: Amedeo Modigliani. Sirocco, London 2005, Seite 140.
↑Doris Krystof: Amedeo Modigliani. Taschen, Köln 2006. Seite 28